Sergey Nivens - stock.adobe.com

Fünf wichtige Cloud-Computing-Trends für 2022 und 2023

Cloud-Computing ist inzwischen überall und verändert den Alltag von Unternehmen und Verbrauchern. Unser Gastautor erklärt, mit welchen Trends wir die nächsten Jahre rechnen müssen.

Wir haben einen Wendepunkt erreicht. Vor 15 Jahren war Cloud Computing noch eine Zukunftstechnologie, mit der sich nur absolute Profis beschäftigten. Mittlerweile ist die Cloud-Infrastruktur so weit entwickelt, dass sie praktisch überall auf der Erde – ja sogar im Weltraum – im Einsatz ist. Was bis vor kurzem noch wie Science-Fiction klang, wird jetzt Realität.

Im Bereich künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) sind die Verfahren und Modelle immer besser geworden. Damit eröffnen sich heute Möglichkeiten, die wir uns früher nur in Filmen und Comics vorstellen konnten. Daten sind in Hülle und Fülle vorhanden und nahezu in Echtzeit verfügbar. Wir besitzen die Fähigkeit, sie quasi automatisch zu verstehen. Trotzdem wird die Cloud uns Menschen nicht ersetzen. Sie verbessert vielmehr die Art und Weise, wie wir mit der Welt umgehen. 2022 kommen wieder aufregende Technologien, die uns und unseren Planeten voranbringen.

KI-gestützte Softwareentwicklung

Softwareentwicklung ist ein kreativer Prozess, der viele sich wiederholende Aufgaben umfasst. In den nächsten Jahren wird ML solche Arbeitsabläufe zunehmend übernehmen. Damit unterstützt die Technologie die Entwickler dabei, sicheren und zuverlässigen Programmcode zu erstellen.

Seit es die Cloud gibt, können Unternehmen weltweit neue Ideen schnell mit Kunden teilen und so die Auslieferung ihrer Produkte beschleunigen. In einem Bereich ist der Zeitaufwand allerdings immer noch unverhältnismäßig hoch: in der Softwareentwicklung. Zwar wurden die entsprechenden Tools sowie Programmiersprachen über die Jahre hinweg kontinuierlich verbessert. Der große Sprung, den wir bei anderen Technologien gesehen haben, ist bisher ausgeblieben. Erst in den letzten Jahren wurden die Weichen für die künftige Softwareentwicklung gestellt.

Durch den Einsatz von ML in der Codeentwicklung und in den Arbeitsabläufen werden Programmierer immer effizienter. Algorithmen entlasten Entwickler von aufwändigen Fleißaufgaben wie Code-Reviews und Bugfixes. Damit bleibt ihnen mehr Zeit für die eigentliche Entwicklung, und sie können anspruchsvolle Systeme schneller programmieren.

Denkbar ist auch, dass der Programmierer in Zukunft lediglich verbal beschreiben muss, wie eine Anwendung arbeiten soll. Die Anfrage wird dann mit natürlicher Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) interpretiert und anschließend als voll funktionsfähiger Code ausgegeben. Dabei suchen ML-Techniken im Hintergrund nach Fehlern und überprüfen kontinuierlich, ob die Anwendung richtig arbeitet.

Die ML-gestützte Softwareentwicklung hat großes Potential. Denn sie ermöglicht es mehr Mitarbeitern, beim Definieren und Erstellen von Applikationen und softwaregesteuerten Produkten mitzuwirken. Auf längere Sicht wird die Technologie aber auch viele andere Bereiche entlasten – sogar Medienschaffende. So können generative KI-Techniken zunehmend auch Filme, Musik und Literatur zumindest teilweise schreiben. Außerdem werden sie eine wichtige Rolle beim Erkennen von Betrug und Fälschungen spielen.

Die Cloud ist überall – mittlerweile auch am Edge

Über speziell konzipierte Geräte und Lösungen lässt sich die Cloud quasi überall erreichen. Ob Lagerhäuser, Restaurants oder Einzelhandelsgeschäfte – Cloud-Lösungen werden künftig an immer mehr Orten zu finden sein.

Wenn wir über die Lieferketten und Transportlogistik sprechen, ist oft von der letzten Meile die Rede. Gemeint ist die Fahrt bis zur Haustür des Endkunden. Für E-Commerce-Anbieter ist sie eine besonders herausfordernde Etappe, da je nach Standort viele Variablen zu berücksichtigen sind. So ist es wesentlich aufwändiger, ein Paket an einer belebten Straße in Tokio zuzustellen als auf einer einsamen Landstraße in den Vereinigten Staaten. Online-Einzelhändler entwickeln immer ausgefeiltere Technologien, um Pakete zuzustellen – beispielsweise autonom fahrende Zulieferfahrzeuge. Auch die Cloud hat mit den Herausforderungen der letzten Meile zu kämpfen. 2022 wird einige Innovationen hervorbringen, um sie zu bewältigen.

Es gibt Cloud-Services, die über die Grenzen der bisherigen Verfügbarkeitsregionen hinausreichen und bis in die Netzwerkränder verfügbar sind – ähnlich wie die letzte Meile im E-Commerce.

Werner Vogels, AWS

„Normalerweise werden Softwarearchitekturen im Hinblick auf Sicherheit, Leistung, Zuverlässigkeit und Kosten optimiert. In diesem Jahr kommt ein weiterer Punkt dazu: Nachhaltigkeit.“

Werner Vogels, AWS

Heute ist es normal, dass die Cloud praktisch überall nutzbar ist. Aber was in diesem Jahr hinzukommt, sind hochspezialisierte Anwendungen am Netzwerkrand, dem sogenannten Edge. Ob Werkstatt, Lager, Restaurant, Einzelhandelsgeschäft oder auch völlig abgelegene Orte: Mit maßgeschneiderten Edge-Lösungen lassen sich die Vorteile der Cloud voll ausschöpfen.

Sie bieten ein hohes Maß an Sicherheit, ausgefeilte Funktionen und eine schnelle Bereitstellung der Cloud, lassen aber sich fast überall auf der Welt installieren. Dabei handelt es sich nicht um isolierte Geräte, sondern um echte Erweiterungen der Cloud und all ihrer Kernfunktionen.

Mit solchen Technologien wird sich die Cloud in völlig neue Umgebungen einbinden lassen: im Auto, im Teekessel und im Fernseher zuhause ebenso wie im Lastwagen auf der Straße, auf Frachtschiffen und in Flugzeugen.

Smarte Funktionen in der Altenpflege

Gebäude arbeiten zunehmend mit smarten Assistenten, welche die Bedürfnisse ihrer Bewohner erkennen. Von solchen Technologien werden in den kommenden Jahren vor allem ältere Menschen profitieren.

Besonders faszinierend ist, dass bald wirklich die komplizierten Probleme der Menschheit lösen können. So gibt es beispielsweise weltweit einen Engpass bei Fachkräften für die Altenpflege. Mit intelligenten Lösungen auf Basis von Sensoren, die an Betten und anderen Stellen im Zimmer angebracht sind, können Pflegekräfte Vitaldaten erfassen und auswerten.

Die ML-Modelle erkennen nicht nur Vitaldaten, sie registrieren auch, wenn der Bewohner zum Beispiel ins Bad geht und nicht zurückkommt, und senden diese Information an einen Mitarbeiter des Pflegeheims. Damit reagieren intelligente Einrichtungssysteme im Grunde wie Menschen reagieren würden, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befänden. Da dieser Bereich besonders sensibel ist, sind solche Systeme allerdings nur mit hoher Sicherheit denkbar.

Auch Smarte Gebäudesysteme werden in den kommenden Jahren immer häufiger zu sehen sein und nicht mehr nur einfache Aufgaben wie das Regulieren von Licht, das Schließen von Türen oder das Abschalten des Herds übernehmen. Sie können zunehmend auch Abweichungen vom normalen Tagesablauf erkennen, Fragen stellen und Lösungen vorschlagen. Intelligente Technologien verbessern die Betreuung und Pflege von älteren Menschen. Sie sorgen für eine Innenausstattung, die sich speziell an die Anforderungen dieser immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe anpasst.

Nachhaltige Softwarearchitekturen

Entwickler beziehen in ihre Entscheidungen zunehmend das Thema Nachhaltigkeit mit ein. Die künftigen Cloud-Architekturen werden sowohl die Anforderungen der Endbenutzer als auch die unseres Planeten berücksichtigen.

Normalerweise werden Softwarearchitekturen im Hinblick auf Sicherheit, Leistung, Zuverlässigkeit und Kosten optimiert. In diesem Jahr kommt ein weiterer Punkt dazu: Nachhaltigkeit. Dieses Thema werden Entwickler beim Lösen spezieller Probleme künftig immer im Blick haben. Ihnen kommt bei der Konzeption nachhaltiger Architekturen eine aktive Rolle zu.

Konsumenten wollen Videos und Musik in bester Qualität streamen, Webseiten schneller laden und immer mehr Fotos speichern. Doch wir wissen auch, dass unsere Bequemlichkeit negative Folgen für die Umwelt hat. Muss der Download wirklich so schnell wie möglich ablaufen? Oder sollten wir uns nicht besser für einen klimafreundlicheren Speicher mit leichten Einbußen bei der Geschwindigkeit entscheiden? Oder ein Video mit weniger als 4K streamen, um unseren CO2-Fußabdruck zu verbessern? Solche Fragen werden künftig schon bei der Konzeption von Software-Architekturen berücksichtigt.

Um den CO2-Fußabdruck einer Anwendung zu reduzieren, lässt sich zum Beispiel festlegen, dass sie nur läuft, wenn grüne Energien zur Verfügung stehen. Die Entwickler definieren zudem die Zeit, in der eine Aufgabe erledigt wird. Auch die Wahl des Chipsatzes fällt ins Gewicht. Im Web haben oft schon kleine Einsparungen große Auswirkungen. Auch das Ausschalten von Geräten wird zunehmend zur Option. Denn das bislang lautende Mantra Always On hat einen hohen Preis. Zukunftsweisender ist der Slogan: Die grünste Energie ist die, die wir nicht nutzen. Das heißt nicht, dass wir nicht auf eine hohe Verfügbarkeit hinarbeiten. Aber gleichzeitig müssen die Architekturen nachhaltig sein.

Um es auf den Punkt zu bringen: Technologie nutzt Energie. Viele Unternehmen verpflichten sich daher, auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Cloud mit Wind, Sonne oder Wasserkraft zu betreiben, ist aber nur ein Teil der Lösung. Es geht um die gemeinsame Verantwortung und um ernst gemeinte Bemühungen, die Verbraucher, Beschäftigte sowie potenzielle neue Mitarbeiter zunehmend einfordern.

Neue Anwendungen durch flächendeckende Vernetzung

Durch Satelliten im erdnahen Orbit (Low Earth Orbit, LEO) werden Breitbandzugänge in jedem Winkel der Erde erschwinglich. Das verändert das Leben von Milliarden von Menschen. Ob Lehrer, Studierende oder kleine Unternehmen – jeder kann online sein.

In den nächsten fünf Jahren werden mehr als 20.000 Satelliten in die erdnahe Umlaufbahn geschossen. Sie sollen für bislang unterversorgten Regionen schnelle und günstige Internetzugänge schaffen. Von dieser Breitbandoffensive werden aber auch neue Anwendungen profitieren.

Denn aufgrund geringer Bitraten und Verbindungsunterbrechungen schränkt das heutige Internet die meisten digitalen Anwendungen ein. Systeme, die wir offline nutzen, veralten schnell oder ihre Funktionalität ist im Vergleich zu ihren vernetzten Pendants begrenzt. Denken Sie nur an ein traditionelles GPS-Gerät im Vergleich zu einer Navigations-App auf dem Handy. Mit der Schaffung von erschwinglichen Internetanschlüssen auf Basis von LEO-Satelliten gehören schlechte Verbindungen, geringe Bandbreiten und hohe Wartezeiten der Vergangenheit an.

Durch eine flächendeckende Vernetzung eröffnen sich Einsatzmöglichkeiten, die heute kaum denkbar sind. Stellen Sie sich vor, allen Kindern auf der Welt stünden die gleichen Lernmittel zur Verfügung. Kleine Unternehmen könnten mit digitalen Anwendungen neue Kunden gewinnen, wachsen und überall auf der Welt Jobs in ländlichen Gemeinden schaffen.

Auch an abgelegenen Orten ließen sich Aufforstungen überwachen und Katastrophen wie Brände und Überflutungen feststellen und schnell bekämpfen. Die Nutzung und Wartung von Solaranlagen, großen Maschinen und weit entfernten Gebäuden würde optimiert. Transportunternehmen könnten auf die Daten von LKW, Flugzeugen und Schiffen in der Cloud zugreifen und für ihre Aktualisierung am Boden, in der Luft und auf dem Wasser regelmäßig Updates herunterladen. Die flächendeckende Vernetzung kann Städte, Länder und am Ende die ganze Welt intelligenter machen.

Über den Autor:
Dr. Werner Vogels ist Vice President und Chief Technology Officer von Amazon.com und treibt in seiner Funktion die Technologieinnovationen innerhalb des Unternehmens voran. Der studierte Informatiker ist bereits seit 2004 bei Amazon tätig und schreibt parallel seit fast 20 Jahren in seinem Blog All Things Distributed über Technologiethemen.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

Erfahren Sie mehr über Cloud Computing

ComputerWeekly.de
Close