Definition

Echtzeit (Realtime)

Was ist Echtzeit?

Echtzeit beschreibt die Fähigkeit eines Systems, spezifizierte Aufgaben innerhalb vorgegebener Zeitgrenzen (Deadlines) deterministisch zu erledigen. Dabei ist nicht das gefühlte sofort entscheidend, sondern die garantierte maximale Reaktionszeit. Ein Echtzeitsystem ist somit zeitgebunden. Ausführungsbeginn und -ende werden so geplant, dass alle Deadlines unter allen spezifizierten Last- und Fehlerbedingungen eingehalten werden.

Echtzeit bedeutet nicht schnell

Bevor wir uns mit Kategorien und Technik befassen, ist die Abgrenzung zu Performance wichtig.

Nicht jeder schnelle Rechner ist ein Echtzeitsystem. Ein hoher Durchsatz oder eine niedrige durchschnittliche Latenz genügen nicht. Maßgeblich sind die Worst-Case-Latenz und der Jitter (die Schwankung der Latenz). Ein System kann im Mittel sehr schnell sein und dennoch keine Echtzeitgarantie bieten, wenn die Reaktionszeiten unter Last unvorhersagbar werden.

Kategorien von Echtzeit

Die folgende Einordnung hilft bei der Anforderungsspezifikation und bei Architekturentscheidungen. Die drei gängigen Kategorien unterscheiden sich darin, wie kritisch eine Deadline-Verletzung ist:

  • Hard Real Time: Deadline-Verletzungen sind unzulässig, da sie zu gefährlichen oder unbrauchbaren Zuständen führen (zum Beispiel Antriebs-/Bremsregelung, Strahlentherapiesteuerung).
  • Firm Real Time: Verspätete Ergebnisse sind wertlos, vereinzelte Verstöße sind tolerierbar (zum Beispiel industrielle Bildverarbeitung mit Taktbindung).
  • Soft Real Time: Deadline-Verletzungen verschlechtern die Qualität, sind aber akzeptabel (zum Beispiel Audio-/Video-Streaming, UI-Interaktionen).

Zentrale Metriken und Begriffe

Die Grundlage für die Bewertung realer Systeme ist die Kenntnis grundlegender Metriken. Diese Begriffe beschreiben das Verhalten und die Anforderungen präzise:

  • Deadline: Der späteste zulässige Zeitpunkt für ein Ergebnis.
  • Determinismus: Vorhersagbarkeit der Reaktionszeit im zulässigen Bereich.
  • Worst-Case Execution Time (WCET): Obergrenze der Ausführungszeit einer Aufgabe.
  • Latenz/Jitter: Die Verzögerung und deren Schwankung über Wiederholungen.
  • Verfügbarkeit vs. Echtzeit: Eine hohe Verfügbarkeit ersetzt keine Garantien für die Einhaltung von Deadlines.

Technische Bausteine für Echtzeit

Echtzeiteigenschaften entstehen aus dem Zusammenspiel von Hardware, Betriebssystem und Anwendung. In der Praxis sind die folgenden Bausteine und Maßnahmen besonders relevant:

  • Scheduling und Prioritäten: Feste Prioritäten (Rate Monotonic) und Earliest Deadline First (EDF) erlauben formale Analysen der Einhaltbarkeit.
  • Interrupt- und Systemaufruf-Latenzen: Kurze, vorhersagbare ISR-Laufzeiten und ein sorgfältiger Umgang mit nicht präemptiven Abschnitten.
  • Locking/IPC: Vermeidung von Prioritätsinversion (zum Beispiel Priority Inheritance/Ceiling); schlanke, wartearme Kommunikationspfade.
  • Speicher- und I/O-Pfade: Pinned Memory, Zero-Copy, Polling-I/O statt blockierendem Zugriff, deterministische DMA-Nutzung.
  • Zeitbasis und Synchronisation: Präzise Uhren und Zeitsynchronisation mittels PTP/IEEE 1588, für Time-Sensitive Networking (TSN).
  • Plattformen: RTOS mit harter Präemption, Linux mit PREEMPT_RT für engere Latenzbudgets in Soft-/Firm-Szenarien.
  • Analyse/Verifikation: WCET-Analyse, Response-Time-Analyse, Messung realer Latenzprofile inklusive Jitter unter Worst-Case-Last.

Typische Anwendungsfälle

Die folgende Auswahl zeigt, in welchen Bereichen heute Echtzeitanforderungen üblich sind – mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen bei Deadline-Verletzungen..

Je nach Domäne variiert die zulässige Verzögerung von Mikrosekunden bis hin zu Millisekunden im zweistelligen Bereich.

  • Industrie/OT & Robotik: Motion-Control, Sicherheitssteuerungen, taktsynchrone Fertigung.
  • Automotive: Antriebs-, Brems- und Lenkregelsysteme, ADAS (Advanced Driver Assistance Systems), verteilte Steuergeräte mit TSN-Backbone.
  • Medizintechnik: Patientenüberwachung, Dosier- und Strahlungssteuerung.
  • Energie: Schutz- und Regeltechnik, Frequenz- und Spannungshaltung.
  • IT/Medien: Soft-Echtzeit in Conferencing, AR/VR, Live-Transcoding; Firm-Echtzeit bei Förderbandinspektionen.
  • Finanzhandel: Niedrigste Latenzen mit stabilen Varianzen, meist Soft-/Firm-Anforderungen.

Architektur- und Designhinweise

Für Projekte mit Echtzeitanforderungen lohnt es sich, einige Prinzipien früh zu verankern. Die folgenden Empfehlungen adressieren häufige Fallstricke bei der Spezifikation, Implementierung und im Betrieb:

  • Klare Anforderungsdefinition: Deadlines, Toleranzen und Fehlermodi quantifizieren, Test- und Messverfahren festlegen.
  • Ressourcenkontrolle: Heap-Allokationen zur Laufzeit minimieren, Garbage Collection vermeiden oder deterministisch machen.
  • Isolation: Kritische Pfade von unkritischen trennen (Core/CPU-Affinity, Shielding, isolcpus).
  • Fehlerbehandlung: Zeitkonstante Fallbacks, Fail Operational vs. Fail Safe definieren.
  • Observability: Latenz-Tracing und Event-Zeitleisten sollten von Anfang an integriert werden.
  • Netzwerkdesign: Traffic-Klassen, Shaping, Zeitschlitze (TSN) und PTP-Domänen konsistent konfigurieren.

Abgrenzung zur Echtzeitanalyse und Echtzeitüberwachung

Die Begriffe Echtzeit, Echtzeitanalyse und Echtzeitüberwachung werden oft gleichgesetzt, verfolgen aber unterschiedliche Ziele.

  • Echtzeit bezeichnet eine fristgebundene, deterministische Verarbeitung: Aufgaben müssen innerhalb definierter Obergrenzen abgeschlossen werden.
  • Die Echtzeitanalyse zielt auf schnelle Erkenntnisse aus Datenströmen ab, etwa auf die Erkennung von Mustern oder Anomalien in kurzen Zeitfenstern. Sie optimiert den Durchsatz und die Ende-zu-Ende-Verarbeitungszeit, garantiert aber typischerweise keine harten Fristen.
  • Die Echtzeitüberwachung macht schließlich Systemzustände zeitnah sichtbar und löst Alarme aus. Dabei sind Aktualisierungsintervalle, Alarm-Latenz und Datenverlustquoten entscheidend, nicht deterministische Reaktionsgarantien.

In der Praxis ergänzen sich die drei Perspektiven: Steuer- und Regelpfade benötigen echte Echtzeit, die Betriebsführung profitiert von Überwachung, Optimierung und Diagnose durch Analyse.

Wichtig ist eine saubere Schnittstelle zwischen den Welten: Telemetrie und Analytics verbessern die Transparenz, ersetzen aber keine Fristgarantien im Steuerpfad. Umgekehrt liefert ein echtzeitfähiges Teilsystem noch keine ausreichende Betriebssicht.

Kurz: Echtzeit erzwingt Pünktlichkeit, Analyse liefert Einsichten und Überwachung zeigt Zustände.

Fazit

Echtzeit bedeutet Vorhersagbarkeit unter Garantiebedingungen, nicht reine Geschwindigkeit. Wer Anforderungen sauber klassifiziert (hart/fest/weich), Metriken wie Worst-Case-Latenz und Jitter misst und die passenden Systembausteine wählt, kann verlässliche Echtzeiteigenschaften erreichen – vom eingebetteten Regler bis zur verteilten TSN-Architektur.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2025 aktualisiert und erweitert.

Erfahren Sie mehr über LAN-Design und Netzwerkbetrieb