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Digitale Souveränität: Die Basis unternehmerischer Resilienz

Eine durchdachte Multi-Cloud schafft Spielraum: Sie verteilt Lasten, trennt Daten von kryptografischen Schlüsseln und erlaubt den Betrieb unter EU-Recht – ohne Innovationsstopp.

Daten sind heute der zentrale Rohstoff der Wirtschaft – und zugleich ihr empfindlichster Schwachpunkt. Wer sie...

kontrolliert, bestimmt über Innovationskraft, Sicherheit und letztlich über Souveränität. Doch in einer Welt, in der Cloud-Dienste global verteilt, Software-Lieferketten komplex und geopolitische Spannungen allgegenwärtig sind, wird die scheinbar einfache Frage Wer kontrolliert wirklich unsere Daten? zur strategischen Schlüsselfrage.

Digitale Souveränität geht deshalb über das Thema Datenschutz hinaus. Sie ist die Fähigkeit, digitale Werte – also Daten, Identitäten und Systeme – unter eigener Kontrolle zu behalten und sie nach eigenen Regeln zu schützen, zu betreiben und weiterzuentwickeln. Sie entscheidet darüber, ob Unternehmen in kritischen Situationen handlungsfähig bleiben oder von externen Akteuren abhängig sind.

Dabei umfasst Souveränität drei untrennbare Dimensionen:

  • Rechtliche Souveränität: Unter welcher Jurisdiktion stehen Daten, Infrastruktur und Anbieter und welche Gesetze können darauf zugreifen?
  • Technische Souveränität: Wer kontrolliert die kryptografischen Schlüssel, den Code und die Architektur, auf der die eigenen Prozesse laufen?
  • Operative Souveränität: Wer hat tatsächlich Zugriff, wer betreibt die Systeme und wer kann sie im Ernstfall eigenständig weiterführen?

In Europa ist aus dieser Diskussion längst ein geopolitisches Thema geworden. Digitale Souveränität bedeutet strategische Autonomie: die Fähigkeit, kritische digitale Ressourcen unabhängig zu betreiben, abzusichern und fortzuentwickeln – ohne sich dabei von Dritten politisch oder wirtschaftlich erpressbar zu machen. Und genau hier stehen Unternehmen heute unter Zugzwang. Die globalen Abhängigkeiten wachsen, die Regulierungen verschärfen sich, und mit ihnen steigt der Druck, digitale Eigenständigkeit technisch, rechtlich und organisatorisch abzusichern. An welchen Stellschrauben müssen Unternehmen jetzt drehen, um echte digitale Souveränität zu erreichen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben?

Warum jetzt? Geopolitik trifft Regulierung

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Daten kein reines Wirtschaftsgut mehr sind, sondern ein Machtfaktor. Extraterritoriale Gesetze wie der US Cloud Act oder die chinesischen Sicherheitsgesetze können den Zugriff auf Daten selbst dann erzwingen, wenn diese physisch in der EU gespeichert werden. Gleichzeitig verlangen europäische Regulierungen wie DSGVO, NIS2 oder DORA höchste Transparenz und Kontrollierbarkeit. Unternehmen stehen damit zwischen zwei Polen: globaler Technologieabhängigkeit und europäischer Rechtstreue. Wer in dieser Situation digitale Souveränität erreichen will, muss beides vereinen – Datenschutz und Wettbewerbsfähigkeit.

Die Stellschrauben für echte digitale Souveränität

Echte Souveränität entsteht nicht durch Deklarationen, sondern durch überprüfbare technische und organisatorische Maßnahmen. Vier Stellschrauben sind entscheidend:

Jurisdiktionsklarheit

Daten sollten nur in Ländern gespeichert werden, deren Rechtssystem Datenschutz als Grundrecht anerkennt und keinen extraterritorialen Zugriff erlaubt. Für europäische Unternehmen bedeutet das: EU- oder Schweiz-basierte Infrastruktur ist nicht nur eine Compliance-Frage, sondern strategische Absicherung.

Schlüsselhoheit und Verschlüsselung

Ohne kryptografische Kontrolle gibt es keine Souveränität. Unternehmen sollten auf Architekturen setzen, bei denen sie ihre Verschlüsselungsschlüssel selbst verwalten (BYOK, External Key Management) oder bei einem vertrauenswürdigen europäischen Dienstleister hosten. Zero-Knowledge-Designs garantieren, dass selbst der Betreiber keinen Zugriff auf Klartextdaten hat.

Operative Kontrolle

Entscheidend ist, wer auf Management- und Supportebene tatsächlich Zugriff besitzt. Souveräne Cloud-Modelle müssen sicherstellen, dass nur EU- oder schweizerisches Personal mit Zugriff auf kritische Systeme arbeitet und das auditiert und protokolliert.

Interoperabilität und Multi-Cloud-Kompetenz

Proprietäre Lock-ins verhindern Souveränität. Unternehmen brauchen offene Standards und echte Exit-Strategien, um Daten, Workloads und Identitäten portieren zu können – unabhängig vom Anbieter.

Multi-Cloud als Schlüssel zur Unabhängigkeit

Digitale Souveränität entsteht nicht über Nacht. Für viele Unternehmen ist sie kein Zustand, sondern ein Prozess, der technologische, organisatorische und rechtliche Transformation verlangt. Zwischen kurzfristigen Geschäftsanforderungen und langfristiger Unabhängigkeit müssen sie die Balance finden: Wie lässt sich Souveränität aufbauen, ohne Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren?

 Alexander Sommer, DSwiss AG

„Digitale Souveränität ist längst nicht mehr nur ein Compliance-Thema. Sie wird zum Differenzierungsfaktor am Markt.“

Alexander Sommer, DSwiss AG

Genau hier liegt die Stärke einer Multi-Cloud-Strategie. Sie ist kein Selbstzweck, sondern ein pragmatischer Übergangsweg, um Abhängigkeiten schrittweise zu reduzieren, ohne Leistungsfähigkeit und Skalierbarkeit aufzugeben. Richtig gestaltet, kann sie Unternehmen erlauben, moderne Cloud-Technologien zu nutzen – und gleichzeitig die Grundlagen für echte digitale Eigenständigkeit zu schaffen. Eine souveräne Multi-Cloud-Architektur sollte auf drei Prinzipien beruhen:

Trennung nach Kritikalität

Nicht jeder Workload braucht die gleiche Schutzstufe. Hochsensible Daten – etwa in Verwaltung, Energie oder Gesundheitswesen – gehören in souveräne Cloud- oder On-Premises-Umgebungen unter EU- oder Schweizer Recht. Standard-Workloads können in regulierten, aber nicht souveränen Clouds betrieben werden.

Daten- und Schlüssel-Segmentierung

In einer Multi-Cloud-Architektur sollten Datenverschlüsselung und Schlüsselverwaltung strikt voneinander getrennt sein. Der Betreiber der Cloud darf nie zugleich die Schlüssel kontrollieren. Nur so lassen sich rechtliche Zugriffe von außen technisch ausschließen.

Portabilität und Standardisierung

APIs, Containerisierung und föderierte Identitätslösungen (zum Beispiel via SAML/OIDC) schaffen Wechsel- und Integrationsfähigkeit. Das mindert Abhängigkeiten und ermöglicht es, auf geopolitische oder regulatorische Veränderungen flexibel zu reagieren.

So wird Multi-Cloud zur Brückenarchitektur auf dem Weg zur digitalen Souveränität und verbindet die Innovationskraft globaler Anbieter mit der Rechts- und Kontrollsicherheit lokaler Akteure. Unternehmen, die diesen Weg gehen, sichern sich schrittweise ihre Unabhängigkeit ohne direkt auf Performance, Skalierbarkeit oder Wettbewerbsfähigkeit zu verzichten.

Von Compliance zum Wettbewerbsvorteil

Digitale Souveränität ist längst nicht mehr nur ein Compliance-Thema. Sie wird zum Differenzierungsfaktor am Markt. Unternehmen, die nachweisen können, dass sie die Hoheit über ihre Daten und Systeme behalten, gewinnen Vertrauen von Kunden, Partnern und Aufsichtsbehörden. Der europäische Trend zeigt: Souveränität und Wirtschaftlichkeit schließen sich nicht aus. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Wer Souveränität technisch und organisatorisch verankert, steigert gleichzeitig Resilienz, langfristige Innovationsfähigkeit und rechtliche Sicherheit. Digitale Souveränität bedeutet heute: Kontrolle behalten – über Technik, Recht und Betrieb. Sie braucht eine Architektur, die Kontrolle, Verschlüsselung und Verantwortung zusammenführt. Unternehmen, die diese Prinzipien in ihre Multi-Cloud-Strategie integrieren, schaffen nicht nur Datenschutz-Compliance, sondern den ersten Schritt zur echten, digitalen Souveränität – und damit die Basis für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend fragmentierten Welt.

Über den Autor:
Alexander Sommer ist CEO der DSwiss AG und spezialisiert auf die sichere und effiziente Verwaltung sensibler Daten. Er unterstützt Unternehmen dabei, ihre Daten in einer zunehmend komplexen und schnelllebigen Umgebung zu schützen. Die DSwiss AG entwickelt in Zürich, Roveredo und Lissabon ISO-27001-zertifizierte Lösungen für die sichere Verwaltung sensibler Daten.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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