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Jenseits der US-Wolken kann die Freiheit grenzenlos sein

Viele Firmen, die bei der Cloud-Strategie nur auf die Hyperscaler aus den USA setzten, versuchen neue Ansätze zu finden, die ihnen mehr digitale Souveränität gewährleisten können.

Stellen Sie sich vor, die gesamte digitale Infrastruktur Ihres Unternehmens läuft auf Servern, über die Sie im Ernstfall keine Kontrolle haben. Für 89 Prozent der deutschen Unternehmen ist das laut Bitkom keine Dystopie, sondern Alltag. Die Dominanz US-amerikanischer Cloud-Anbieter hat in der aktuellen Weltlage und einer zweiten Amtszeit von Donald Trump eine neue geopolitische Dimension erreicht – und Europa diskutiert endlich mit der nötigen Ernsthaftigkeit die Frage: Wie viel Abhängigkeit können wir uns noch leisten?

Wolkig mit Aussicht auf US-Flaggen

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: AWS, Microsoft Azure und Google Cloud kontrollieren gemeinsam über 65 Prozent des globalen Cloud-Marktes. In Deutschland ist die Situation noch eindeutiger – hier teilen sich die drei Giganten einen noch größeren Anteil des Kuchens. Die eingangs zitierte Bitkom-Umfrage zeigt: Fast neun von zehn deutschen Unternehmen nutzen Cloud-Dienste, überwiegend von den großen US-Anbietern. Diese Abhängigkeit hat sich in den letzten Jahren nicht verringert, sondern verstärkt. Warum? Die Antwort ist simpel: Die Hyperscaler bieten schlicht das bessere Produkt – mehr Features, höhere Verfügbarkeit, globale Skalierung.

Die unbequeme Wahrheit über Regulierung

Was bedeutet es, wenn kritische Infrastrukturen, Gesundheitsdaten und Unternehmensgeheimnisse potenziell auf Servern gespeichert sind, die dem US Cloud Act unterliegen? Die Antwort ist unbequem: Im Zweifelsfall haben amerikanische Behörden Zugriff – unabhängig davon, wo die Server physisch stehen. Der US Cloud Act verpflichtet amerikanische Unternehmen, auf Anfrage US-amerikanischer Behörden Daten herauszugeben – auch wenn diese in Europa gespeichert sind. Für Unternehmen in regulierten Branchen wie Banken, Versicherungen oder dem Gesundheitswesen ist das ein massives Compliance-Risiko.

Richtlinien wie die DSGVO und der AI Act sind Europas Versuche, früh digitale Standards zu setzen. Und ja, wir sind damit globale Vorreiter in der vorausschauenden Regulierung von Technologie-Märkten. Doch Regulierung allein wird uns nichts schützen, wenn wir die Dienstleistungen überwiegend von US-Anbietern beziehen (müssen). Europa versucht, sinnvolle Grenzen zu setzen – die USA hingegen setzen auf unternehmerische Freiheit. Und während wir noch über Datenschutz debattieren, entstehen bei den Hyperscaler längst KI-Services, um die Unternehmen zukünftig vielleicht nicht herumkommen. Gleichzeitig bedeutet jede Nutzung mehr Abhängigkeit. Wie balancieren wir also Innovation und Unabhängigkeit, Kontrolle und Anreize?

Europäische Initiativen: Jenseits von Gaia-X

Mit gezielter Industriepolitik und einem eigenen Cloud-Gesetz fördert Frankreich seit einer Weile nationale Champions. Deutsche Cloud-Anbieter wie IONOS oder StackIT haben durchaus ihre Daseinsberechtigung. Ihre Stärken liegen in der lokalen Datenhaltung und der rechtlichen Klarheit. Doch die fragmentierte Herangehensweise birgt auch den Nachteil, dass ein einzelnes europäisches Land nie so viele Ressourcen bündeln kann wie etwa die USA.

Andreas Ritter, Exxeta

„ Digitale Souveränität bedeutet nicht, auf US-amerikanische Dienste prinzipiell zu verzichten. Es bedeutet, Daten und Workloads genau zu klassifizieren. Es bedeutet, Alternativen zu haben, wenn sich die geopolitische Lage schlagartig ändert. Unternehmen müssen ihre Cloud-Strategien zukünftig risikobasierter aufstellen.“

Andreas Ritter, Exxeta

Gaia-X sollte Europas Antwort auf die Cloud-Giganten werden. Fünf Jahre später steht fest: Die Initiative ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Als Verein konzipiert, fehlen ihr die wirtschaftliche Schlagkraft und der klare Fokus. Die neue Eurostack-Initiative setzt auf direkte Investition. Sie will über 10 Jahre hinweg 300 Milliarden Euro in Europas digitale Souveränität investieren. Das ist kein Kleingeld, könnte aber noch weit unter dem notwendigen Investitionsvolumen liegen.

Der golden-hybride Mittelweg

Europäische Anbieter werden möglicherweise nie das Niveau der Hyperscaler erreichen. Doch das müssen sie auch nicht. Ihre Aufgabe ist es nicht, AWS zu ersetzen, sondern eine Alternative für sensible Einsatzszenarien zu bieten. Immer dann, wenn es etwa um Gesundheitsdaten, Finanztransaktionen oder Regierungskommunikation geht. Die Delos Cloud zeigt eine weitere Alternative, wie beide Welten vereint werden könnten: Azure-Technologie in deutschen Rechenzentren, unter deutscher Kontrolle.

Die Zukunft liegt wie so oft nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als-auch. Das Problem: Viele Unternehmen wollen keine Multi-Cloud-Strategien fahren. Multi-Cloud bedeutet nach wie vor Mehraufwand: mehr Schnittstellen, komplexere Sicherheitskonzepte, komplexere Governance. Doch die Einstellung gegenüber hybriden und Multi-Cloud-Ansätzen hat sich von anfänglicher Skepsis hin zu einer größeren Offenheit gewandelt. Denn auch die technologische Grundlage ist im Vergleich zu den Anfangsjahren des Cloud-Computings weit fortgeschritten.

Fazit: Risiken und Alternativen sinnvoll abwägen

Digitale Souveränität bedeutet nicht, auf US-amerikanische Dienste prinzipiell zu verzichten. Es bedeutet, Daten und Workloads genau zu klassifizieren. Es bedeutet, Alternativen zu haben, wenn sich die geopolitische Lage schlagartig ändert. Unternehmen müssen ihre Cloud-Strategien zukünftig risikobasierter aufstellen. Dabei gibt es neben der technischen auch eine strategische Dimension: Akzeptieren wir das Risiko digitaler Abhängigkeit als Preis für Innovation? Oder investieren wir in pragmatische Alternativen und hiesige Projekte, auch wenn Letztere nie ganz aufschließen werden? Die Diskussion um digitale Souveränität ist keine abstrakte geopolitische Debatte im Europaparlament, sondern ein geschäftskritischer Teil von Unternehmensstrategien. Sicher ist: Wer heute keine Alternativen aufbaut, hat morgen vielleicht keine Wahl mehr.

Über den Autor:
Andreas Ritter ist Co-Founder und Gründer der Technologie- und IT-Beratung Exxeta. Er verantwortet die strategische Entwicklung des Unternehmens, das IT und Business konsequent zusammendenkt. Sein Fokus liegt dabei auf einer nachhaltigen Positionierung, dem Ausbau des Leistungsportfolios sowie der klaren Ausrichtung auf zukunftsrelevante Themen wie AI und Cloud. Andreas Ritter ist studierter Informatiker und war vor der Gründung von Exxeta unter anderem als CTO des IT-Anbieters Entory AG und Geschäftsführer der ceta GmbH tätig. 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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