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Digitale Cloud-Souveränität: Europäische Perspektive
Digitale Souveränität entscheidet über Europas Unabhängigkeit. US-Hyperscaler werben mit Sovereign Clouds, doch Kontrolle gelingt nur durch ein starkes europäisches Cloud-Ökosystem.
Digitale Souveränität ist längst zu einer strategischen Priorität für Europas Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft geworden. Gleichzeitig erleben wir das Phänomen des Sovereignty Washing: US-Hyperscaler locken mit Sovereign-Cloud-Angeboten. Bei näherem Hinsehen bleibt oftmals unklar, wer tatsächlich die Kontrolle behält. Laufen Updates und Patches nicht weiterhin zentral über den Anbieter? Gibt es exklusive Root-Zugriffsrechte wirklich nur für europäische Kunden? Und macht eine physische Präsenz mit Rechenzentren auf europäischem Boden überhaupt einen Unterschied, solange der US Cloud Act den Datenzugriff aus Übersee ermöglicht?
Gerade hier treten europäische Cloud-Anbieter als Alternativen auf den Plan – aber wie weit ist Europa damit wirklich? Und was braucht es für tatsächliche Souveränität?
Das aktuelle Dilemma der Souveränität beginnt damit, dass es kein einheitliches Verständnis des Begriffs gibt. Für uns beschreibt digitale Souveränität die Fähigkeit von Staaten, Unternehmen und Individuen, ihre Daten und digitale Infrastruktur unabhängig und selbstbestimmt zu kontrollieren – ohne ungewollte Abhängigkeiten von Drittparteien.
Die Sovereign Cloud-Versprechen der US-Hyperscaler auf dem Prüfstand
Die großen US-Hyperscaler haben es längst erkannt: Europa und insbesondere Deutschland sind Cloud-Wachstumsmärkte und bieten in Bezug auf eine notwendige Digitalisierung großes Aufholpotential. Viele US-Hyperscaler haben ihre Cloud-Angebote demnach um das Etikett souverän erweitert. Doch echte Unabhängigkeit sieht anders aus. Wer kann beispielsweise sicherstellen, dass auf sensible Daten nicht doch zugegriffen wird, wenn dies von einer Regierung verlangt wird? Die Provider betonen zwar, dass ein Herausgabeprozess strengen Regeln unterliegt – dennoch erfordert der Cloud Act von US-Unternehmen, auch im Ausland, Daten bereitzustellen, wenn US-Behörden dies anordnen. Jüngste eidgebundene Aussagen vor dem französischen Parlament zeigen, wie real solche Risiken sind.
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„Nur ein starkes, eigenständiges Cloud-Ökosystem wird Europa langfristig Wohlstand und Handlungsfreiheit sichern.“
Stefan Schäfer, OVHcloud
Zudem bleibt die Illusion souveräner Rechenzentren bestehen: Selbst wenn Daten in einem europäischen Rechenzentrum lagern, laufen die entscheidenden Teile vieler Dienste auf Software-Stacks und APIs, die außerhalb Europas entwickelt und kontrolliert werden. Dadurch entstehen Abhängigkeiten, die durch KI/ML-Dienste (künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen), proprietäre Datenbanken oder spezielle Entwicklungswerkzeuge weiter verstärkt werden – ganz zu schweigen von den handfesten Lock-in-Effekten, die einen Wechsel zu anderen Anbietern erschweren. Die schillernden Werbeversprechen einer souveränen Cloud ändern nichts an der nationalen Bindung an Gesetze wie den US Cloud Act und sind mehr denn je Etikettenschwindel. Dennoch bringen sie Menschen, Unternehmen sowie die Gesellschaft in eine Zwickmühle und erschweren die Entscheidung für einen hiesigen oder globalen Cloud-Anbieter.
Notwendigkeit eines europäischen Cloud-Ökosystems
Warum also braucht Europa eigene digitale Infrastrukturen? Die Kontrolle über kritische Daten, insbesondere für sensible Sektoren wie Energie, Verkehr oder Gesundheit, ist eine Frage der Resilienz, Sicherheit und strategischen Autonomie. Nur durch eigene Kompetenzen, Standards und Infrastrukturen lassen sich ungewollte Datenabflüsse und einseitige Abhängigkeiten vermeiden. Eine zu große Abhängigkeit von Hyperscalern birgt ein weiteres Risiko: Die Schwächung europäischer Wettbewerber und Innovationskraft.
Nur ein starkes, eigenständiges Cloud-Ökosystem wird Europa langfristig Wohlstand und Handlungsfreiheit sichern. Es ist höchste Zeit, dass wir Schlüsseltechnologien im IT-Bereich wieder in Europa entwickeln und nicht importieren. Wer sich in strategischen Zukunftstechnologien vom Rest der Welt abhängig macht, riskiert nicht nur den Zugriff auf Innovationen, sondern setzt auch die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige aufs Spiel.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen können von einem europäischen Datenraum profitieren: Sie erhalten durch offene Standards, interoperable Dienste und einen fairen Zugang zu fortschrittlicher Technologie endlich die Chancen, eigene digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln und in neue Märkte vorzustoßen – ohne Angst vor politischen Zugriffen aus Übersee. Ein starkes europäisches Cloud-Ökosystem ist das Fundament für Innovation, Wertschöpfung und digitale Souveränität unserer Wirtschaft.
Der Weg zur digitalen Souveränität – Chancen und Herausforderungen
Der Weg hin zu echter Souveränität ist kein Selbstläufer. Technologische Komplexität, Migrationskosten bestehender Anwendungen und ein erheblicher Bedarf an Know-how sind Hürden, die sowohl Unternehmen als auch Verwaltungen meistern müssen. Multi- und Hybrid-Cloud-Lösungen können einen realistischen Zwischenschritt bieten: Durch Risikostreuung und die Vermeidung von Lock-in-Effekten bleibt man flexibel, ohne auf Innovationskraft verzichten zu müssen.
Europäische Cloud-Anbieter zeigen, dass es Alternativen gibt. Sie setzen auf Transparenz, garantierte Datenhoheit und die Durchsetzung europäischen Rechts – und adressieren die spezifischen Bedürfnisse lokaler Unternehmen und Behörden. Gerade in Hinsicht auf Transparenz und Rechtssicherheit bieten sie Vorteile, die US-Hyperscaler auf absehbare Zeit schwerlich nachbilden können.
Souveränität europäisch deuten: Kontrolle und Datenhoheit behalten
Zwischen Versprechen und Realität der Sovereign-Cloud-Angebote klafft oft eine erhebliche Lücke. Europas Weg zur echten digitalen Souveränität führt über eine konsequente Strategie: gute politische Rahmenbedingungen und gezielte Förderung europäischer Anbieter und Ökosysteme sind zentrale Voraussetzungen. Wir müssen ein gemeinsames und europäisches Verständnis von Souveränität entwickeln und den Begriff für uns wieder vereinnahmen. Souveränität war und bleibt die Kontrolle über die eigenen Daten, Selbstbestimmtheit, Datenhoheit und ein hoher Schutz von Nutzerinnen und Nutzern.
Es gilt, Etikettenschwindel entschieden entgegenzutreten und europäische Alternativen zu stärken – technisch, wirtschaftlich und politisch. Nur so kann Europa in der digitalen Welt von heute und morgen tatsächlich souverän agieren.
Über den Autor:
Stefan Schäfer arbeitet seit über 15 Jahren in der Cloud-Computing-Branche, bei dem europäischen Cloudanbieter OVHcloud leitet er das deutsche Marketing-Team. Dort setzt er sich für datensouveräne Lösungen, Open-Source-Standards und sichere Cloud-Infrastrukturen aus Europa ein. Zuvor war Stefan Schäfer in leitenden Positionen in IT-Projekten und für Cloud Services bei der Deutschen Telekom und Huawei tätig. In dieser Zeit begleitete er unterschiedliche IT-Projekte mit großen Partnern aus der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor in UK, China und Deutschland. Die IT begleitet Stefan Schäfer schon seit dem Studium, in Bonn studierte er Informatik und Philosophie. Er ist Dozent für Innovation Management an der FOM-University of Applied Sciences for Economics and Management und wohnt in Köln.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.