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Strukturiertes Replatforming: sicher zur IT-Modernisierung

Ein Big-Bang-Ansatz beim Replatforming scheitert oft. Unternehmen modernisieren erfolgreicher durch modulare Schritte, klare Prioritäten und ein kontrolliertes Vorgehen.

Jeder, der schon einmal ein größeres IT-Modernisierungsprojekt begleitet hat, kennt die Fallstricke: Budgets, die sich verdoppeln, Termine, die sich um Monate verschieben, und am Ende ein funktionsfähiges Setup, das die erhofften Verbesserungen jedoch verfehlt.

Trotzdem setzen viele Unternehmen weiterhin auf den Big-Bang-Ansatz beim Replatforming: Eine vollständige und parallele Migration – in der Hoffnung auf den großen Durchbruch. Dieses Vorgehen ist allerdings oft der Grund für das Scheitern.

Das Dilemma der gewachsenen Systemlandschaften

Moderne Unternehmen stehen vor einem Paradox: Ihre digitalen Systeme sind unverzichtbar und hinderlich zugleich. Über Jahre gewachsene CMS-Landschaften, veraltete E-Commerce-Plattformen oder monolithische Anwendungen erfüllen zwar ihren Zweck, bremsen aber Innovation und Agilität aus. Das Ausrollen von neuen Features dauert Monate statt Wochen, selbst kleine Änderungen erfordern komplexe Abstimmungen, und die Integration neuer Tools wird zum Kraftakt.

Gleichzeitig sind diese Systeme tief in bestehende Geschäftsprozesse eingebettet. Mitarbeitende sind mit den Workflows vertraut, Kunden setzen bestimmte Funktionen voraus, und kritische Daten verteilen sich über verschiedene Komponenten. Ein abrupter Systemwechsel würde nicht nur technische, sondern auch organisatorische Erschütterungen verursachen.

Warum der Alles-oder-nichts-Ansatz meist scheitert

Die Verlockung ist groß: Einmal richtig in die Systemerneuerung investieren, um dann langfristig von den Vorteilen zu profitieren. In der Realität führt diese Herangehensweise jedoch häufig zu kostspieligen Fehlschlägen. Die Gründe sind vielfältig:

  • Unterschätzte Komplexität: Gewachsene IT-Systeme haben unzählige, oft undokumentierte Abhängigkeiten. Was auf den ersten Blick wie eine einfache Migration aussieht, entpuppt sich als vielschichtiges Puzzle mit kritischen Verbindungen zwischen scheinbar unabhängigen Elementen.
  • Überforderung der Teams: Während das neue System entwickelt wird, muss der Betrieb weiterlaufen. Teams jonglieren zwischen Wartung, Migration und dem Erlernen neuer Technologien – eine Belastung, die oft unterschätzt wird.
  • Fehlende Rückfalloptionen: Bei einem Komplettaustausch gibt es keinen Weg zurück. Treten Probleme auf, steht das gesamte digitale Ökosystem still.
  • Der modulare Weg: Evolution schlägt Revolution. Erfolgreiche Replatforming-Projekte folgen einem anderen Prinzip: Schrittweise modernisieren und dabei die Kontrolle über Risiken und Ressourcen behalten. Statt das gesamte System auf einmal zu ersetzen, erfolgt die Migration von einzelnen Komponenten schrittweise und isoliert voneinander.

Ein praktisches Beispiel: Ein Einzelhändler möchte sein veraltetes Content-Management-System (CMS) modernisieren. Anstatt die komplette Website neu zu entwickeln, beginnt er mit dem Blog-Bereich. Dieser lässt sich als eigenständige Komponente auslagern, ohne die Hauptseite zu beeinträchtigen. Das Team sammelt Erfahrungen mit der neuen Technologie, optimiert Prozesse und baut Vertrauen auf – und das bei minimalem Risiko. Nach der erfolgreichen Migration des Blogs folgen weitere Bereiche: Landingpages für Kampagnen, Produktkataloge und schließlich die Checkout-Prozesse. Jeder Schritt baut auf den Erfahrungen des vorherigen auf und reduziert die Komplexität des nächsten.

Praktische Schritte für kontrolliertes Replatforming

Damit Replatforming zum planbaren Erfolg wird, lohnt sich ein strukturiertes Vorgehen. Mithilfe der folgenden Praxistipps behalten Unternehmen die Kontrolle und treiben die Modernisierung Schritt für Schritt voran:

  • Bestandsaufnahme und Priorisierung: Welche Systemteile verursachen die größten Probleme? Wo ist der Leidensdruck am höchsten? Diese Bereiche sind ideale Kandidaten für den Einstieg. Oft sind es nicht die spektakulärsten, sondern die schmerzhaftesten Punkte, die den größten Nutzen versprechen.
  • Entkopplung schaffen: Moderne Architekturen wie Headless-Systeme oder Microservices ermöglichen es, einzelne Funktionen unabhängig zu betreiben. APIs schlagen eine Brücke zwischen alter und neuer Welt. Diese Entkopplung ist auch organisatorisch sinnvoll, da Teams auf diese Weise autonomer arbeiten und schneller iterieren können.
  • Pilotprojekte definieren: Kleine, abgrenzbare Anwendungsfälle eignen sich perfekt für den Projektauftakt. Eine Landingpage, Produktseiten oder ein Kundenportal lassen sich isoliert migrieren und testen. Der Schlüssel liegt darin, Bestandteile zu wählen, die sowohl technisch machbar als auch geschäftlich relevant sind.
  • Parallelbetrieb nutzen: Neue und alte Systeme können eine Zeit lang nebeneinander laufen. Das schafft Sicherheit und ermöglicht ausgiebige Tests unter realen Bedingungen. Nutzer können schrittweise auf das neue System umgestellt werden, während das alte als Fallback bereitsteht.

Stolperfallen vermeiden

Auch bei modularem Vorgehen lauern Fallstricke. Ein häufiger Fehler ist die Unterschätzung organisatorischer Aspekte: Neue Technologien erfordern oft neue Arbeitsweisen, veränderte Rollen und angepasste Prozesse. Wer nur die Technik modernisiert, aber Workflows unverändert lässt, verschenkt Potenzial. Ebenso kritisch ist die Vernachlässigung von Standards und Governance. Ohne klare Regeln für APIs, Datenformate und Schnittstellen entstehen neue Silos – nur eben mit modernerer Technologie. Teams brauchen gemeinsame Richtlinien, um auch in einer modularen Architektur konsistent sowie abteilungsübergreifend zu arbeiten.

Facundo Giuliani, Storyblok

„Erfolgreiches Replatforming ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Unternehmen, die ihre Systeme modular und schrittweise modernisieren, schaffen die Grundlage für künftige Erneuerungen, statt nur kurzfristige Verbesserungen.“

Facundo Giuliani, Storyblok

Ein weiteres Hindernis ist die mangelnde Kommunikation mit Stakeholdern. Schrittweise zu migrieren bedeutet, dass Verbesserungen nicht sofort in vollem Umfang sichtbar sind. Führungskräfte und Fachabteilungen müssen verstehen und kommunizieren, warum dieser Ansatz langfristig erfolgreicher ist, auch wenn er zunächst weniger spektakulär und mühsam erscheint.

Der Weg zur zukunftsfähigen Architektur

Erfolgreiches Replatforming ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Unternehmen, die ihre Systeme modular und schrittweise modernisieren, schaffen die Grundlage für künftige Erneuerungen, statt nur kurzfristige Verbesserungen. Die Investition in flexible, entkoppelte Architekturen zahlt sich langfristig aus: Neue Technologien lassen sich einfacher integrieren, Änderungen sind weniger risikoreich, und Teams können agiler auf Marktanforderungen reagieren. Dank moderner Architekturen können Unternehmen ihre Systeme kontinuierlich weiterentwickeln, ohne in riskante Mammutprojekte investieren zu müssen.

Wer heute mit der schrittweisen Modernisierung beginnt, legt das Fundament für eine zukunftsfähige, anpassungsfähige Infrastruktur. Der Weg mag länger erscheinen, aber er führt sicher ans Ziel – bei kontrollierbaren Risiken und messbaren Fortschritten.

Über den Autor:
Facundo Giuliani ist Teamleiter für den Bereich Solutions Engineering bei Storyblok. Mit Sitz in Buenos Aires, Argentinien, bringt er über 15 Jahre Erfahrung in der Software- und Webentwicklung mit. Er engagiert sich mit großer Leidenschaft in der Entwickler-Community und tritt regelmäßig auf Events und Konferenzen auf. Facundo ist einer der Organisatoren von React Buenos Aires, der größten React-Community Argentiniens, und organisiert zudem die Entwickler-Community DevSummit AR. Für sein Engagement wurde er als Prisma Ambassador, Auth0 Ambassador und Cloudinary Media Developer Expert ausgezeichnet.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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