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Agentic AI und Entscheidungsagenten ebnen den Weg

Seit dem Start von ChatGPT wächst das KI-Interesse. Doch nur 4 von 36 KI-Proof-of-Concepts werden operativ genutzt. Agentic AI mit Entscheidungsagenten überbrückt die Kluft.

Seit dem Launch von ChatGPT 2022 ist das Interesse an KI immens gewachsen – und die Erwartungen an sie auch. Insbesondere in Foundational Large Language Models (LLM) wurde weltweit massiv investiert.

Unternehmen haben laut einer Studie von Gartner im Durchschnitt 36 KI-Proof-of-Concept-Projekte am Laufen – aber nur etwa vier davon werden tatsächlich operativ angewendet. Die Folge davon sind erhebliche Verluste durch verschwendete Zeit und Ausgaben.

KI-Kluft: Erwartungshaltung versus Realität

Die Hauptursache für diese Kluft zwischen hoher Erwartungshaltung an und dem fehlenden Nutzen von KI in der Realität in Unternehmen ist die mangelnde Operationalisierung von KI und die oft fehlende Skalierung. Denn um einen entsprechenden ROI und Mehrwert zu bringen, muss KI in der Regel in großem Umfang operativ eingesetzt werden.

Kritisch ist außerdem das Fehlen von Transparenz und Kontrolle über KI-gesteuerte Ergebnisse. Denn treffen KI-Systeme Entscheidungen in großem Maßstab, können selbst kleine Fehler gravierende Folgen haben. Viele Führungsteams scheuen genau diese Risiken. Neben technischen Faktoren wie Modell-Halluzination, Daten-Drift und Adversarial Attacks ist das unzureichende Vertrauen in KI eines der größten Probleme von Mehrwert durch KI. Es überrascht also nicht, dass 90 Prozent der CIOs in einer Gartner-Umfrage von 2024 berichten, dass ihr Führungsteam noch nicht bereit sei für KI. Es mangelt am Vertrauen.

Um aber mithilfe von KI schnell und skalierbar Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen gewisse Vorrausetzungen auf Business- und technischer Eben erfüllt sein. Dazu zählen der Aufbau robuster Datenpipelines, die Zielsetzung, Ergebnisse in Echtzeit und im großen Maßstab zu generieren, die Integration mit Legacy-Systemen sowie der Umgang mit Modell-Drift. Nur so lässt sich die Lücke zwischen KI-Hype und KI-Mehrwert wirklich überbrücken.

Agentic AI als Brücke

Während viele Unternehmen mittlerweile mit der harten Realität konfrontiert wurden, dass ihre KI-Initiativen hinter den Erwartungen zurückbleiben, ist etwas Neues entstanden – Agentic AI. Gartner definiert KI-Agenten als „autonome oder halbautonome Einheiten, die KI-Techniken nutzen, um Entscheidungen herbeizuführen und zu treffen, Aktionen auszuführen und Ziele zu erreichen – in ihrer digitalen oder physischen Umgebung.“

So definiert, sind KI-Agenten nicht einfach nur ein anderes Label für generative KI (GenAI). Zwar können sie eine Natural Language-Schnittstelle beinhalten oder auf einem Large Language Model (LLM) basieren – notwendig ist das jedoch nicht. Im Kern muss ein KI-Agent Entscheidungen vorbereiten, treffen und eigenständig Aktionen ausführen, um ein definiertes Ziel zu erreichen.

Außerdem lassen sich KI-Agenten nach Entwicklungsstadien einteilen: von einfachen Impuls-Reaktions-Agenten, die unmittelbar auf Aktionen reagieren, bis hin zu ausgeklügelten Multiagenten-Systemen, in denen Teams von digitalen Agenten zusammenarbeiten, um strategische Ziele zu erreichen. Genauso wie es verschiedene Typen von Agenten gibt, lassen sich auch unterschiedliche Level an Ergebnissen erzielen. Sie rangieren von einfacheren, taktischen Anforderungen wie Hilf mir bitte, ein Ticket nach Paris zu buchen bis hin zu komplexeren, strategischen Anforderungen wie Hilf mir bitte, Strategien zu mehr Profitabilität in einem bestehenden Geschäftsfeld zu entwickeln und diese Strategie operativ umzusetzen.

Vier verschiedene Level von KI-Agenten lassen sich daher definieren (siehe auch Abbildung 1):

  • Level 1: Hier wird der KI-Agent vom Geschäftsanwender definiert und von Decision-Modellen ermöglicht. Er ist in der Lage, Entscheidungen mit hohem Risiko zu treffen, die nachvollziehbar sind.
  • Level 2: Hier gibt der Mensch die Richtung vor. Der KI-Agent weist eine nützliche Intelligenz auf und ist einfach interpretierbar. Er basiert auf prädiktiven Machine-Learning- und Sprachmodellen.
  • Level 3: Hier gibt der Mensch beziehungsweise Geschäftsanwender ein Ergebnis vor. Verschiedene KI-Agenten arbeiten innerhalb von Leitplanken zusammen, um konkurrierende Prioritäten auszugleichen. Diese Agenten sind selbst-lernend, mit einem ambitionierten, aber vertrauenswürdigen Verhalten.
  • Level 4: Hier ist die menschliche Leitplanke absichtsgesteuert. Enterprise Agent-Teams erarbeiten Ergebnisse auf Executive-Niveau und erzielen KPIs auf Business-Niveau. Die KI-Agenten sind auf die Intervention und Erweiterung bestimmter Geschäftsziele ausgerichtet.
Die vier Level von Agentic AI in Unternehmen
Abbildung 1: Agentic AI-Levels im modernen Unternehmen.

Decision Agents für Ergebnisse mit Mehrwert fürs Business

Angesichts dieser breiten Definition ist es sinnvoll, den Teil des KI-Agenten genauer zu betrachten, der sich mit dem Treffen von Entscheidungen beschäftigt. Wir nennen ihn Decision Agent oder Entscheidungsagent.

Entscheidungsagenten sind Softwareagenten, die darauf ausgelegt sind, transparente, vertrauenswürdige und vorhersehbare Entscheidungen zu treffen. Sie können in Multiagenten-Enterprise-Systemen eingesetzt werden. Dieser ergebnisorientierte Ansatz überbrückt die KI-Kluft insofern, da Entscheidungsagenten von Haus aus ziel- und handlungsorientiert agieren.

Komplexe Geschäftsentscheidungen erfordern ausgeklügelte KI-Ansätze. Dazu gehört der Einsatz von interpretierbaren Entscheidungsagenten, die sicherstellen, dass Menschen das System jederzeit kontrollieren und steuern können. Nehmen wir ein Beispiel für eine anspruchsvolle Geschäftsentscheidung: Wie sollte ein Unternehmen einen Kunden behandeln, der mit einer Zahlung im Verzug ist? Einfach nur Geld einzufordern, mag zwar die Zahlung erzwingen, kann aber auch dazu führen, dass der Kunde nie wieder Geschäfte mit dem Unternehmen macht. Dadurch sinkt der Lifetime Value des Kunden gegen Null. Schlimmer noch: Der Kunde teilt am Ende seine negative Erfahrung mit Familie und Freunden, was der Reputation und dem Markenimage des Unternehmens erheblichen Schaden zufügt. Außerdem sind in diesem Fall auch regulatorische Anforderungen für das Forderungsmanagement und etwaige nachgelagerte Audits zu berücksichtigen.

Es geht also nicht um eine eindimensionale Entscheidung, sondern um ein komplexes Geflecht von Entscheidungen, die sich gegenseitig beeinflussen und sowohl kurz- als auch langfristige Auswirkungen eruieren. Um zu sehen, welche nachgelagerten Effekte solche Entscheidungen haben, benötigt das System entsprechende Fähigkeiten. Ein Multiagent-Intelligent-Decisioning-System sorgt dafür, dass Führungsteams strategische Ergebnisse vorhersehen, Risiken effizient managen und Innovationen schnell und selbstbewusst auf den Weg bringen.

Folgendes Beispiel eines realen Business-Prozesses verdeutlicht die Funktionalität eines Multiagent-Intelligent-Decisioning-Systems. Ein Vertriebsleiter möchte einen neuen Online-Shop für seine Produkte aufsetzen und definiert dafür folgende KPIs: Umsatzerhöhung von 20 Prozent, eine möglichst hohe Verbesserung der Profitabilität sowie einen Produktbestand von fünf Prozent. Ein Multiagent-Intelligent-Decisioning-System, bestehend aus mehreren individuellen Agenten, ist in der Lage, folgende Aktivitäten auszuführen: Optimierung der Produktverfügbarkeit, dynamische Preisanpassung zur Verbesserung der Profitabilität und Kundenakzeptanz, Hyperpersonalisierung der Kunden sowie zielgerichtetes Marketing für eine optimale Customer Experience.  Zudem kommunizieren die Agenten untereinander, um eine nahtlose und abgestimmte Zusammenarbeit sicherzustellen.

Jens Dauner, FICO

„Komplexe Geschäftsentscheidungen erfordern ausgeklügelte KI-Ansätze. Dazu gehört der Einsatz von interpretierbaren Entscheidungsagenten, die sicherstellen, dass Menschen das System jederzeit kontrollieren und steuern können.“

Jens Dauner, FICO

So kann der Vertriebsleiter seine Ergebnisse um ein Vielfaches verbessern – mit nur wenigen zusätzlichen Mitarbeitern. Wir bezeichnen diesen Ansatz KPI-basierter Business Outcomes, die von Entscheidungsagenten unterstützt werden, Business Intervention Management.

Rückblick und Ausblick

Outcome Augmentation, zu Deutsch Ergebnisorientierung, ist das neue Paradigma, wenn es darum geht, wie Unternehmen mit KI echten Mehrwert schaffen. Damit das funktioniert, müssen Mitarbeitende in Unternehmen eine neue Sprache und Strukturen entwickeln, um ihre Geschäftsanforderungen richtig an die KI zu artikulieren – analog dazu, wie wir Prompts für ChatGPT iterativ anpassen, um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten.

Die Erfahrung zeigt, dass Start-ups in der Vergangenheit viel mehr von KI profitieren konnten als etablierte Unternehmen. Venture Capital-Unternehmen berichten, dass Start-ups insbesondere ihre Time-to-Market verkürzen und ihren Kapitalbedarf dank KI-Einsatz reduzieren. Doch etablierte Unternehmen holen mittlerweile auf. Viele setzen nicht nur ihre Enterprise-Architektur neu auf, sondern entwickeln neue Prozesse und fördern AI-First-Skillsets, um schneller und agiler auf neue Kundenanforderungen, wirtschaftliche Volatilität und globale Unsicherheiten reagieren zu können.

Agentic AI und Entscheidungsagenten spielen hierbei eine zentrale Rolle. Außerdem ermöglichen Technologien wie Augmented oder automatisierte Simulation, mit denen multiple digitale Zwillinge erzeugt und getestet werden können, disruptive Experimente und die Neuaufstellung von Geschäftsstrukturen. Auf diese Weise lassen sich konkurrierende Geschäftsanforderungen ausbalancieren und optimale Lösungen für komplexe Aufgabenstellungen erarbeiten.

Über den Autor:
Jens Dauner, Vice President und Head of Central Europe bei FICO, kann einen fast 20-jährigen Erfahrungsschatz im internationalen Vertrieb in der IT-Branche vorweisen. Seine thematischen Schwerpunkte liegen in der Digitalisierung des Bankenbereichs, im Machine Learning und in Künstlicher Intelligenz.

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