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Warum Microsofts Lizenzpraktiken der Allgemeinheit schaden

Microsoft bündelt Softwarelizenzen mit Services aus der Azure Cloud. So verdrängt der Anbieter nicht nur Wettbewerber, sondern schadet auch Wirtschaft und Verbraucher.

Die Cloud ist für Unternehmen unverzichtbar, um die Digitalisierung voranzutreiben, die Innovationskraft zu steigern und auf einem globalisierten Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Wer derzeit noch keine Cloud-Technologie nutzt, plant dies zumindest in den nächsten Jahren. Unter den Cloud Providern herrscht daher ein reger Wettstreit um die Gunst der Kunden. 

Diesen Wettstreit führt Microsoft mit unlauteren Mitteln – und nach einem bekannten Muster. Schon in der Vergangenheit stand das Unternehmen wiederholt wegen unlauterer Wettbewerbspraktiken in der Kritik. 2014 musste der Softwaregigant zum Beispiel ein hohes Bußgeld zahlen, weil die Einbettung des Windows Media Player in das Windows-Betriebssystem gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstieß. 

Die Bündelungsstrategie, die Microsoft heute verfolgt, ist ähnlich gestrickt: Der Anbieter verknüpft Softwarelizenzenmit Cloud-Services und diskriminiert dadurch die Konkurrenz. Unternehmen, die bereits Windows- oder Office-Lizenzen besitzen, können diese ohne oder nur mit geringen Zusatzkosten in Microsoft Azure einsetzen. Möchten sie ihre Microsoft-Software dagegen auf der Cloud-Infrastruktur eines anderen großen Providers hosten, fallen dafür hohe Gebühren an.

Welche Auswirkungen hat eine solche Bündelungspraxis auf Geschäftskunden, Verbraucher und die deutsche Wirtschaft? Das haben Experten der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin und der Frankfurt School of Finance untersucht. Die Ergebnisse ihrer Studie (PDF) geben Anlass zur Besorgnis und zeigen, dass akuter Handlungsbedarf besteht.

Der Leverage-Effekt

Grundsätzlich versteht man unter Bündelung, dass ein Anbieter zwei oder mehr Produkte zusammen zu einem Preis verkauft, der in der Regel günstiger ist, als wenn der Kunde die Produkte separat erwirbt. Diese Praxis ist unbedenklich, solange sie dem Wohl der Konsumenten dient. Im Falle von Microsoft ist das aber nicht gegeben. 

Es ist unbestritten, dass der Hersteller seit Jahren den Softwaremarkt dominiert. Die Mehrheit der Unternehmen und Behörden hat Windows und Office tief in ihre IT-Landschaft integriert und ist darauf angewiesen, die Software auch in der Cloud weiterhin zu nutzen. Technisch ist es zwar möglich, Microsoft-Produkte auf der Cloud-Infrastruktur beliebiger Anbieter zu hosten. Praktisch ist das jedoch teurer als im Bündel mit Azure-Services, sodass die Microsoft-Cloud für die meisten Kunden alternativlos scheint. Dadurch kann der Riese aus Redmond seine Marktmacht aus dem Software- auf den Cloud-Bereich ausweiten. Es entsteht ein sogenannter Leverage-Effekt: Durch die Bündelung verschafft sich Microsoft einen Vorteil und verdrängt Wettbewerber, die nur auf einem der beiden Märkte aktiv sind.

Qualität und Innovationen leiden

Das gefährliche an diesem Leverage-Effekt ist, dass er selbst dann eintritt, wenn das marktbeherrschende Unternehmen in seinem Bündel ein qualitativ schlechteres Produkt anbietet als ein Wettbewerber, der ein konkurrierendes Produkt einzeln verkauft. Häufig entscheiden sich Kunden dann trotzdem für das Bündel, obwohl eine andere Lösung vielleicht besser für ihre Bedürfnisse geeignet ist. Aus Kostengründen verzichten sie auf Technologien und Funktionen, die sie eigentlich brauchen. Dadurch schränken sie ihre Entwicklungsmöglichkeiten ein und nehmen Qualitätseinbußen in Kauf. Sofern ein Geschäftskunde die minderwertige Lösung aus dem Bündel nutzt, um Produkte für Endkunden herzustellen, wirken sich diese Einschränkungen auch auf die Verbraucher aus. 

Gleichzeitig kann durch diese Praktiken das generelle Innovationstempo auf dem Cloud-Markt abnehmen. Denn während der dominierende Anbieter immer mehr Kunden an sich bindet, haben Wettbewerber geringere Anreize, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Wenn sie Marktanteile verlieren, machen sie weniger Umsatz. Für R&D fallen aber hohe Fixkosten an, die sich nur dann lohnen, wenn der künftige Absatz stimmt. Ist das nicht zu erwarten, müssen Einprodukt-Unternehmen zwangsläufig ihre Innovationsausgaben herunterfahren. Sie verlieren dadurch an Attraktivität, kommen ins Hintertreffen und verschwinden schließlich vom Markt. Auch der Anbieter des Softwarebündels hat dann weniger Anreize, in neue Entwicklungen zu investieren. Denn als Monopolist steht er nicht mehr unter Druck, besser zu sein als der Wettbewerb. Am Ende leiden darunter die Kunden, da es weniger Fortschritt gibt.

Wahlfreiheit nimmt ab 

Der Verdrängungseffekt auf dem Cloud-Markt setzt schnell ein. Oft erfolgt er schon innerhalb einer Produktgeneration. Da es in der Regel aufwendig und teuer ist, Daten und Workloads von einer Cloud in eine andere umzuziehen, bleiben die meisten Kunden bei dem Anbieter, für den sie sich anfangs entschieden haben. In Folge verschwinden vor allem kleinere Cloud Provider vom Markt. Dadurch nimmt die Vielfalt ab und Kunden haben weniger Wahlfreiheit. Umso größer wird indes die Macht des dominierenden Anbieters: Er kann jetzt immer stärker Preise und Bedingungen diktieren.

Stefan Wagner, ESMT Berlin

„Die Mehrheit der Unternehmen und Behörden hat Windows und Office tief in ihre IT-Landschaft integriert und ist darauf angewiesen, die Software auch in der Cloud weiterhin zu nutzen.“

Stefan Wagner, European School of Management and Technology

Was das bedeutet, bekamen Microsoft-Kunden schon einmal zu spüren, als der Hersteller 2019 überraschend seine Lizenzbestimmungen änderte. Dadurch waren einige Bestandslizenzen plötzlich nicht mehr in der Cloud gültig, sodass betroffene Kunden erneut zahlen mussten. Die erhofften Einsparungen, die die Cloud-Migration eigentlich bringen sollte, waren hinfällig. Das wirkte sich wiederum auf andere Projekte aus, denn plötzlich fehlte fest eingeplantes Budget, das nun den erhöhten Lizenzkosten zum Opfer fiel. 

Fazit: Kartellrechtliches Eingreifen ist nötig

Sieht man sich die Entwicklung der letzten Jahre an, scheint Microsofts Bündelungsstrategie aufzugehen: Seit 2018 konnte der Anbieter seinen Marktanteil im Bereich Public Cloud Computing von 13 Prozent auf 21 Prozent im Jahr 2021 steigern. Die Anteile der großen Wettbewerber sind dagegen stagniert. Die kleineren Cloud Provider verlieren derzeit sogar deutlich. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, ist mit allen genannten Folgen zu rechnen: Kunden haben weniger Wahlfreiheit, Qualität und Innovationskraft sinken und die Konsumentenwohlfahrt leidet. 

Um das zu vermeiden, ist ein frühzeitiges wettbewerbspolitisches Gegensteuern dringend erforderlich. Die Unternehmen Slack, OVHCloud/Aruba und NextCloud haben bereits Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht – ebenso wie die Vereinigung europäischer Cloud-Infrastruktur-Betreiber CISPE. Es bleibt in unser aller Interesse zu hoffen, dass sie erfolgreich sind.

Über den Autor:

Stefan Wagner ist Professor of Strategy and Innovation an der European School of Management and Technology (ESMT Berlin). Sein Forschungsinteresse gilt der Schnittstelle von Unternehmensstrategie, technologischer Innovation, Industrieökonomik und rechtlicher Regulierung.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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