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Warum Barrierefreiheit eine strategische Aufgabe ist

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt Deutschland die europäische Barrierefreiheitsrichtlinie um. Doch wie integrieren Unternehmen Barrierefreiheit richtig?

Barrierefreiheit ist längst kein Randthema mehr, sondern eine zentrale gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufgabe. Mit Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) am 28. Juni 2025 wird sie für viele Unternehmen in Deutschland zur Pflicht. Worauf gilt es zu achten?

Grundpfeiler moderner Unternehmensführung

Unter Barrierefreiheit versteht man eine Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen und Umgebungen, die sicherstellt, dass sie von allen Menschen unabhängig von ihren körperlichen oder geistigen Fähigkeiten genutzt werden können. Dabei geht es nicht nur um die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen. Insbesondere im Kontext einer alternden Gesellschaft und zunehmender Digitalisierung wächst die Bedeutung barrierefreier Angebote. Im digitalen Kontext bedeutet dies beispielsweise, dass Informationen sowohl visuell als auch auditiv zugänglich gemacht werden, Benutzeroberflächen intuitiv gestaltet sind und technische Anpassungen wie Schriftgrößen, Kontraste oder Sprachausgaben möglich sind.

Die Umsetzung solcher Maßnahmen trägt dazu bei, dass alle Menschen gleichberechtigt am digitalen Leben teilhaben können. Das Ziel ist Inklusion – ein Wert, der nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich von zentraler Bedeutung ist. Denn Barrierefreiheit verbessert die Nutzbarkeit für alle und fördert damit eine breitere Akzeptanz von Produkten und Dienstleistungen.

Neue Anforderungen für Unternehmen

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt Deutschland die europäische Barrierefreiheitsrichtlinie um. Das Gesetz wurde bereits im Juli 2020 verabschiedet und tritt ab Juni 2025 in Kraft. Die Regelungen betreffen digitale Produkte und Dienstleistungen, die für Endnutzerinnen und Endnutzer bestimmt sind. Dazu zählen elektronische Geräte wie Smartphones und Tablets, Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten oder Fahrkartenautomaten sowie digitale Dienstleistungen wie Online-Banking, Telekommunikationsdienste und E-Commerce-Websites.

Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Angebote entsprechend anpassen müssen. Hersteller sind verpflichtet, ihre Produkte einem Bewertungsverfahren zu unterziehen und auf Barrierefreiheit hin zu überprüfen. Händler und Importeure dürfen nur Produkte vertreiben, die den neuen Anforderungen entsprechen und Dienstleister müssen ihre digitalen Angebote barrierefrei und verständlich gestalten. Ausgenommen von diesen Regelungen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von maximal zwei Millionen Euro.

Chance für Unternehmen

Die Umsetzung von Barrierefreiheit ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern bietet Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten. Einer der wichtigsten ist die Erschließung neuer Zielgruppen. In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt zum Jahresende 2023 rund 7,9 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung. Hinzu kommt eine wachsende Zahl älterer Menschen, deren Anteil aufgrund des demografischen Wandels stetig zunimmt. Barrierefreie Angebote ermöglichen es Unternehmen, diese Zielgruppen besser zu erreichen.

Darüber hinaus erhöht eine konsequent umgesetzte Barrierefreiheit die allgemeine Nutzerfreundlichkeit. Eine gut strukturierte Website, verständliche Inhalte und intuitive Bedienkonzepte kommen allen Kunden zugute, nicht nur Menschen mit Einschränkungen. Diese umfassend gedachte Nutzerfreundlichkeit kann somit die Kundenzufriedenheit erhöhen und die Kundenbindung stärken. Beispielsweise ermöglicht die konsequente Tastatursteuerung Menschen mit motorischen Einschränkungen verbesserten Zugriff. Ebenso wichtig sind Screen-Reader-Funktionen, die Menschen mit Sehbehinderung unterstützen, sowie individuell anpassbare Kontrastmodi, um Menschen mit Farbsehschwächen entgegenzukommen. Ein weiterer Schwerpunkt kann auf der Verwendung einfacher Sprache liegen. Dadurch wird sichergestellt, dass auch Personen mit eingeschränktem Sprachverständnis oder geringerer technischer Erfahrung problemlos mit der Software arbeiten können.

Zudem positionieren sich Unternehmen glaubwürdig als gesellschaftlich verantwortungsvolle Akteure. Unternehmen, die sich aktiv für Barrierefreiheit einsetzen, zeigen soziale Verantwortung und fördern Inklusion. Dies wird von Kunden und Geschäftspartnern positiv wahrgenommen und stärkt die Reputation des Unternehmens.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit stellt Unternehmen zunächst vor anspruchsvolle Aufgaben, denn bestehende Produkte und Services sind häufig nicht mit Blick auf umfassende Zugänglichkeit konzipiert worden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen vorhandene digitale Angebote oft grundlegend überarbeitet und technologisch angepasst werden.  Dies erfordert technisches Know-how und gegebenenfalls die Zusammenarbeit mit spezialisierten Dienstleistern. Insbesondere für kleinere Unternehmen können die erforderlichen Investitionen eine Hürde darstellen. Der langfristige Nutzen des nachhaltigen Wettbewerbsvorteils und erweiterte Kundengruppen sollte jedoch die anfänglichen Kosten rechtfertigen.

Eine weitere Herausforderung ist die Komplexität des Themas. Barrierefreiheit berücksichtigt unterschiedliche Bedürfnisse, zum Beispiel von Menschen mit Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Lösungen möglichst viele dieser Bedürfnisse abdecken. Dies erfordert eine sorgfältige Planung und gegebenenfalls eine Schulung der Mitarbeiter, damit sie die Prinzipien der Barrierefreiheit verstehen und umsetzen können.

Außerdem ist Barrierefreiheit kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Die technologischen und gesellschaftlichen Anforderungen entwickeln sich ständig weiter, sodass Unternehmen regelmäßig überprüfen müssen, ob ihre Angebote den aktuellen Standards entsprechen. Dies erfordert eine kontinuierliche Optimierung und eine klare strategische Ausrichtung.

Praxisstrategien für den Erfolg

Um die Anforderungen des BFSG zu erfüllen, ist ein strategisches Vorgehen erforderlich. Zunächst sollten Unternehmen eine umfassende Ist-Analyse durchführen, um festzustellen, welche ihrer Produkte und Dienstleistungen barrierefrei sind und wo Verbesserungsbedarf besteht. Externe Berater können dabei wertvolle Unterstützung leisten.

Die Orientierung an bestehenden Standards wie den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) bietet eine solide Grundlage für die Entwicklung barrierefreier Lösungen. Richtlinien helfen Unternehmen, die technischen und gestalterischen Anforderungen zu verstehen und umzusetzen.

Sabine Preußer, Sage

„Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist nicht nur eine regulatorische Herausforderung, sondern vielmehr eine Aufforderung an Unternehmen, sich aktiv mit dem Thema Barrierefreiheit auseinanderzusetzen.“

Sabine Preußer, Sage

Darüber hinaus sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter schulen und sensibilisieren, um ein Bewusstsein für die Bedeutung von Barrierefreiheit zu schaffen.

Genau wie der Prozess hin zu einer barrierefreien Digitalwelt selbst, sollte auch die Kundenkommunikation entsprechend dynamisch erfolgen. Unternehmen sollten ihre Kunden aktiv darüber informieren, welche Maßnahmen sie ergriffen haben, um ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Das schafft Vertrauen und zeigt, dass das Unternehmen regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen der digitalen Angebote vornimmt und gesellschaftliche Verantwortung übernimmt.

Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist nicht nur eine regulatorische Herausforderung, sondern vielmehr eine Aufforderung an Unternehmen, sich aktiv mit dem Thema Barrierefreiheit auseinanderzusetzen. Wer jetzt strategisch handelt, positioniert sich nachhaltig als verantwortungsvolles, kundenorientiertes und zukunftsfähiges Unternehmen.

Die Umsetzung mag auf den ersten Blick komplex erscheinen, doch mit einer klaren Strategie und der richtigen Unterstützung können Unternehmen die Anforderungen erfüllen. Barrierefreiheit ist nicht nur ein Gebot der Stunde, sondern ein Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit in einer zunehmend digitalen Welt.

Über den Autor:
Sabine Preußer ist seit über 30 Jahren in verschiedenen Positionen für Sage tätig und beschäftigt sich im Produktmanagement seit vielen Jahren mit dem Thema Digitalisierung und den damit verbundenen rechtlichen Aspekten.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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