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SAP als Service-Provider: ist der Umstieg immer sinnvoll?
Immer mehr kritische Unternehmensbereiche und -funktionen werden in die Hände Dritter gelegt. Doch ist das immer sinnvoll? Was dafür und was dagegen spricht.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diese dem russischen Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924) zugeschriebene Redensart (belegt ist jedoch nur, dass Lenin häufig das russische Sprichwort Vertraue, aber prüfe nach, russisch Dowerjai, no prowerjai gebraucht hat) lässt sich auch heute noch in vielen Lebensbereichen anwenden.
Einer dieser Bereiche ist die Auslagerung von einzelnen Geschäftsfunktionen bis hin zu ganzen Topologien an Service-Provider, sei es per Hosting On- oder Off-Premises – oder in Form eines Komplettangebots mit Cloud-Lösungen, Infrastruktur und Services für die Migration in die Cloud, wie es Rise with SAP anbietet. Und insbesondere beim letztgenannten Beispiel legen die Unternehmen, überspitzt ausgedrückt, ihr Schicksal in die Hand ihres Service Providers.
Durch Rise with SAP ist SAP auf dem Weg zum weltweit größten Service-Provider aufzusteigen. In der Vergangenheit gab es jedoch immer wieder Lösungen, die sich gegen technisch überlegene Konkurrenzprodukte durchgesetzt haben – als Beispiel sei nur der Videoformatkrieg VHS versus Betamax angeführt. Zudem droht bei derart erfolgreichen Fast-Monopolisten wie SAP, dass sie ihre kaum ernsthaft zu leugnende Marktmacht ausnutzen. Zu diesem Thema gibt es bereits zahlreiche kritische Artikel, während innerhalb der SAP-Community eine starke Verunsicherung spürbar ist.
Think before you sign
Umso mehr ist es im Zuge der digitalen Transformation unbedingt ratsam, innezuhalten und sich einige Fragen zu stellen, bevor man seine Unterschrift unter den Vertrag setzt. Der folgende Artikel beleuchtet diese Fragen und nennt einige der Fallstricke, die man tunlichst umgehen sollte.
Bei aller Marktdurchdringung: bedeutet das automatisch, dass Sie mit SAP die für Ihre Belange beste Lösung erhalten? Es wäre in jedem Fall sinnvoll, Alternativen in Betracht zu ziehen. Möglicherweise bieten andere Anbieter unter anderem mehr Flexibilität bei Sonderanforderungen, gehen schneller auf Ihre individuellen Wünsche ein, erlauben die Einbindung hauseigener Lösungen und haben günstigere Lizenzbedingungen.
Aus der SAP-Community hört man zum Teil Beschwerden darüber, dass SAP einen gewissen Druck ausübt, in die Cloud zu transformieren. So bietet das Unternehmen seinen Kunden bestimmte Funktionalitäten und Innovationen nur in Verbindung mit einem Rise-Vertrag an. Hier muss abgewogen werden, wie die eigene Strategie aussieht und ob man sich mit SAP nicht in eine Einbahnstraße ohne Abzweigung begibt. Nicht zuletzt stellt sich in diesem Fall die Frage, ob es sich überhaupt rechnet, meine vorhandenen Lizenzen zu opfern und stattdessen in ein solches Mietmodell zu wechseln.
What’s in for me?
Aber auch wenn Ihre Entscheidung gefallen ist, sei es für SAP oder einen anderen Anbieter, sollten Sie Ihren Füller noch nicht sofort zücken, denn der Teufel steckt wie so oft im Detail.
Da wäre zunächst die Kostenfrage, und die kann sich äußerst komplex gestalten. Hierbei gilt es nicht nur, die reinen Anschaffungs- und Implementierungskosten zu betrachten. Vielmehr müssen die insgesamt anfallenden Kosten im Rahmen der Transformation ins Kalkül gezogen werden:
- Welches Lizenzmodell bietet das beste Preis-Leistungs-Verhältnis und ist weder über- noch unterdimensioniert?
- In welchem Maße schlagen nachträgliche Änderungen und Erweiterungen des Leistungsspektrums zu Buche?
- Gibt es möglicherweise versteckte Kosten, die ich jetzt noch gar nicht überblicken kann?
Zum Beispiel ist im Fall von Rise with SAP die Frage entscheidend: wie viele System-Refreshs pro Jahr sind im Paket enthalten und was würden zusätzliche Refreshs kosten? Welche Kosten verursacht eine derart ressourcenintensive Anwendung, sei es bezogen auf die Hardware oder im Zusammenhang mit IaaS auf die erforderlichen, zu mietenden Cloud-Infrastrukturen?
Genauso muss bis ins Detail geklärt werden, welchen technischen Nutzen mir die Lösung tatsächlich bietet. Denn was nutzen die vermeintlich attraktivsten Konditionen, wenn ich am Ende auf wichtige Funktionen verzichten (beziehungsweise dafür extra bezahlen) muss? Bei Rise with SAP hilft hier die Responsibility Matrix weiter: welche Verantwortlichkeiten liegen bei SAP, welche beim Kunden. Hier ist im Besonderen zu beachten, dass einige Funktionalitäten nicht im Standardpaket enthalten sind. Manche können vom Kunden übernommen oder als optionale Leistung von SAP hinzugebucht werden. Andere können nur von SAP erfüllt werden und wieder andere gelten als Excluded task und können nur vom Kunden erbracht werden.
Ebenso wichtig ist die Verfügbarkeit. Das Standardpaket, Rise Private Cloud Edition Services, bietet eine Systemverfügbarkeit von 99,5 Prozent für produktive Systeme, theoretisch können das maximal 3,6 Stunden Downtime pro Monat sein. Für nicht produktive Systeme sind es nur 95.0 Prozent, diese Systeme können also theoretisch 36 Stunden nicht verfügbar sein, wenn sich das jetzt noch im ungünstigsten Fall auf 4 mal 9 Stunden jeweils Bürozeit verteilt, dann haben Entwickler ein ernstes Problem. Ist das für Ihre Belange ausreichend oder kann das Ihre Geschäftstätigkeit gefährden? Weitere – und längst nicht alle – Punkte sind die Qualität der Cybersicherheit, die Möglichkeiten der Skalierung beziehungsweise Modifizierung sowie die vereinbarten Service Levels in Form von SLAs.
Für sämtliche dieser Fragen gilt: Binden Sie Ihr Personal möglichst früh und möglichst in der Breite ein, oder wie es heute so schön heißt: Holen Sie die Menschen dort ab, wo sie gerade sind, und nehmen Sie sie mit auf die Transformation Journey. Eine Reise, die hochkomplex und langwierig werden kann. Top-Down-Entscheidungen am grünen Tisch versprechen hier kaum Erfolg, sondern sorgen eher für Skepsis bis hin zur klaren Ablehnung.
Keep an eye on it!
Neben dem vermeintlichen Lenin-Zitat kann eine weitere Redensart in Bezug auf Service-Provider und Hosting hilfreich sein: Blindes Vertrauen schadet nur. Übergibt man seine Business Continuity, und damit ohne Übertreibung das Wohl und Wehe des gesamten Unternehmens, in die Hände eines Service-Providers – ob er nun SAP heißt oder anders – kann ein gewisses Maß an Misstrauen oder Vorsicht nicht schaden.
Daher sollte bereits bei Vertragsabschluss darauf bestanden werden, entsprechende Monitoring- und Reporting-Systeme einbinden zu können. Natürlich bieten solche Systeme nicht die Möglichkeit, aktiv steuernd ins Geschehen einzugreifen, aber immerhin können wir damit unserem Hosting-Partner auf die Finger schauen. Denn wenn derart hochkritische Bereiche ausgelagert werden, will man doch wenigstens wissen, was dort passiert – sei es durch Beobachten in Echtzeit, durch automatisierte Alarme bei bestimmten Ereignissen und/oder durch aussagekräftige Reports, die beispielsweise mess- und sichtbar machen, ob vereinbarte KPIs oder Service Levels eingehalten werden.
„Personalisierung spielt sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich eine zentrale Rolle. Denn ein personalisiertes Angebot ist meist ein relevantes.“
Bernd Engist, Avantra
Darüber hinaus überlassen die Dienstleister dem Kunden ein weites Feld, das heißt den gesamten Applikationsbereich, um den er sich weiter selbst kümmern muss. Es ist also mitnichten so, dass CIOs mit der Unterschrift unter dem Servicevertrag sämtliche IT-Aufgaben los sind.
Für diese Zwecke bietet sich beispielsweise die An- und Einbindung einer AIOps-Plattform an, die sich möglichst flexibel und ohne großen Aufwand an den individuellen Überwachungsbedarf anpassen lässt – und die beispielsweise automatisch bei bestimmten Vorkommnissen die zuständigen Personen benachrichtigt.
Fazit
Die Entscheidung für einen Service-Provider, beziehungsweise den Weg mit Rise with SAP zu beschreiten, muss gut überlegt werden, da man sich in einige langfristige Abhängigkeiten begibt. Hierzu sollte man unbedingt neutrale Beratung einholen. Voraussetzung ist, dass man bereits eine eigene Strategie hat oder zumindest die Anforderungen und Besonderheiten seines Unternehmens benennen kann. Binden Sie dabei unbedingt früh auch Ihr Personal ein, um von vornherein eine hohe Akzeptanz im Unternehmen sicherzustellen.
Lassen Sie sich bei der Vertragsunterzeichnung auf keinen Fall von Rabatten und vollmundigen Versprechen blenden. Alle Anforderungen und Wünsche sollten dezidiert im Vertrag aufgeführt sein. Bei Äußerungen des Vertragspartners nach dem Motto „da werden wir uns schon einig werden“ sollten bei Ihnen die Alarmglocken klingeln.
Und schließlich sollte ein Überwachungssystem vorgesehen werden, das die Aktionen und Maßnahmen des Hosting-Partners transparent und nachvollziehbar macht und die Aufgabe der Applikationsüberwachung übernimmt. Zu diesem Zweck bietet sich beispielsweise eine AIOps-Plattform mit entsprechenden Automatikfunktionen an.
Über den Autor:
Bernd Engist ist der Chief Technology Officer von Avantra. Seit der Gründung von Avantra vor 21 Jahren ist Bernd Engist für die technologische Vision und die Produktentwicklung verantwortlich und sorgt für Innovation und erstklassige Qualität. Bernd hat einen MA in Elektrotechnik und Elektronik vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.