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Europas Weg in die digitale Unabhängigkeit
Die Rückkehr Trumps erschüttert das Vertrauen in US-Software. Europas ITSM-Branche muss umdenken, digitale Souveränität rückt stärker in den Fokus, um Abhängigkeiten zu reduzieren.
Es hat nur wenige Minuten gebraucht, um die Weltordnung ins Wanken zu bringen. Trumps Rückkehr ins Weiße Haus hat das transatlantische Bündnis erschüttert – nicht nur im Ton, sondern im Kern. Und das betrifft auch die digitale Welt. Vor allem die ITSM-Branche mit ihren verschiedenen Cloud-Lösungen fragt sich: Können wir US-Software noch vertrauen? Und was gibt es für Alternativen?
Am 2. April 2025 trat US-Präsident Donald Trump im Rosengarten des Weißen Hauses vor die Presse. Ausgestattet mit einer großen Tafel, auf der er die neu verhängten Zölle zeigte, erklärte er den Tag zum Liberation Day – den Tag der Befreiung vom, nach seiner Ansicht, unfairen Umgang mit den USA. Dies war einer der vielen Momente, bei dem sich der Rest der Welt nur über die erratische Wirtschaftspolitik in den Staaten wundern konnte.
Die Veränderungen in Washington kamen nicht über Nacht, aber sie haben in den letzten Monaten an Tempo gewonnen. Auch auf sicherheitspolitischer Ebene, was vor allem die Ukraine zu spüren bekommen hat: Nachdem die Vereinigten Staaten vorübergehend ihre Unterstützung mit Aufklärungsdaten unterbrochen hatten, sollen der russischen Armee größere Gebietseroberungen gelungen sein. Das Vertrauen in amerikanische Dienste ist erschüttert und beim Umgang mit US-Produkten hat bereits ein Umdenken begonnen. An manchen Stellen ist der Verzicht einfach, an anderen dagegen sehr kompliziert. Besonders die IT-Servicemanagement-Branche steht vor großen Herausforderungen, da viele Lösungen auf Cloud-Technologien beruhen.
Die Vertrauensfrage in der Cloud
Auf den Branchen-Events und Konferenzen war in den letzten Wochen zu spüren, wie sehr das Thema die ITSM-Welt umtreibt. Viel zu lange haben wir uns auf die Cloud-Lösungen amerikanischer Hersteller verlassen. Grund zu zweifeln gab es auch selten, sie sind schließlich effizient, skalierbar und stehen, zumindest bisher, jederzeit zur Verfügung. Wie schnell sich die Lage ändern kann, zeigt das Beispiel der unterbrochenen Satellitenaufklärung in der Ukraine. Ein solches Szenario kann es auch jederzeit bei Cloud-Diensten geben. In Zeiten globaler Spannungen wird diese technologische Kontrolle dann schnell zur Waffe.
Doch auch abgesehen von solch dystopischen Schreckensszenarien haben wir uns durch eine gewisse Bequemlichkeit in eine Situation der Abhängigkeit manövriert. Selbst bei Lösungen, die eine Speicherung auf deutschen oder europäischen Rechenzentren versprechen, ist die Datensicherheit nicht gewährleistet. Gesetzliche Regelungen wie der Cloud Act oder der Patriot Act ermöglichen US-Behörden trotzdem den Zugriff darauf. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat das bereits 2020 bestätigt.
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„Digitale Souveränität und Resilienz lassen sich nicht importieren, sie müssen hier entwickelt werden.“
Rico Barth, KIX Service Software
Wie gefährdet die Daten der Bürger sind, hat zuletzt die Debatte um die amerikanische Datenplattform Palantir und dessen umstrittenen Mitgründer Peter Thiel gezeigt. Noch weitreichender, vor allem bei einem Totalausfall, wären die Folgen aber für staatliche Institutionen und kritische Infrastrukturen. Also jene Bereiche, in denen ein Ausfall nicht nur wirtschaftliche, sondern gesellschaftliche Konsequenzen hätte: Verwaltungen, Krankenhäuser, Sicherheitsbehörden, Energieversorger. Noch immer dominieren dort ITSM-Lösungen aus amerikanischer Produktion. Eine echte Neubewertng der Risiken steht häufig noch aus, obwohl regulatorische Vorgaben längst in diese Richtung weisen. Und natürlich sorgt ein Umstieg für zeitlichen und finanziellen Aufwand. Aber er ist möglich.
Digitale Souveränität lässt sich nicht importieren
Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie wir in diese Situation der Abhängigkeit geraten sind, bringt uns nicht weiter – die Entscheidungen liegen schließlich mitunter schon Jahrzehnte zurück. Stattdessen sollten wir uns fragen: Wie unabhängig kann ich ein System im Ernstfall betreiben? Wie steht es um die Kontrollierbarkeit des Codes? Und welche Optionen bestehen bei einer Unterbrechung der Dienste?
Diese Fragen lassen schnell beantworten: Mit europäischer Open-Source-Software. Lösungen mit einem offenen Quellcode sorgen nicht nur für mehr Sicherheit, sie sind auch transparenter und auditierbar und können letztendlich ein entscheidendes Puzzleteil aus der Abhängigkeit sein. Wer auf Open-Source-Modelle setzt, reduziert nicht nur die Gefahr externer Zugriffsmöglichkeiten, sondern gewinnt auch die Kontrolle über die eigenen Daten und Prozesse zurück. Das betrifft nicht nur die technische Ebene, sondern auch Fragen der Preispolitik und des langfristigen Betriebsmodells.
Und natürlich sollte gleichzeitig auch der Umstieg auf europäische Cloud-Anbieter im Mittelpunkt stehen. Zahlreiche Unternehmen und öffentliche Einrichtungen haben diesen Weg bereits eingeschlagen – teils strukturell, teils in Modellprojekten. Andere beschreiten hybride Pfade: durch Kombination europäischer Cloud-Anbieter mit lokaler Datenhaltung. Solche Ansätze schaffen Redundanz, ermöglichen Ausfallsicherheit und eröffnen neue Handlungsoptionen – gerade im Fall politischer oder wirtschaftlicher Verwerfungen. Klar, der Wechsel wird nicht einfach, aber Abwarten macht alles nur komplizierter.
Schließlich würden diese Optionen nicht nur der ITSM-Branche mehr Sicherheit bringen, sondern dem gesamten europäischen Binnenmarkt. Digitale Souveränität und Resilienz lassen sich nicht importieren, sie müssen hier entwickelt werden. Staaten wie China oder Indien verfolgen schon seit Jahren eine Politik der digitalen Autarkie und investieren massiv in die Entwicklung heimischer Prozessoren, Betriebssysteme und Plattformdienste. Europa hingegen verharrt oft in Abstimmungsprozessen und juristischen Prüfverfahren.
Ein erneuertes digitales Europa bedeutet dabei nicht, auf technologische Zusammenarbeit zu verzichten. Es bedeutet vielmehr, diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu führen. Wer eigene Kompetenzen, Infrastrukturen und Standards etabliert, kann international partnerschaftlich agieren, ohne sich erpressbar zu machen. Es ist nicht auszuschließen, dass auch nach der Ära Trump ein Präsident mit ähnlichen Zielen die Vereinigten Staaten lenken wird. Deshalb sollten wir die Situation als Chance sehen, uns auf unsere europäischen Grundwerte und Technologien zu berufen. Nur so können wir dem Rest der Welt als gleichberechtigter Partner die Hand reichen. Es liegt allein an uns.
Über den Autor:
Rico Barth, Jahrgang 1976, ist einer der digitalen Vorreiter im Lande. 2006 hat er zusammen mit drei Kollegen das Unternehmen KIX Service Software, vormals cape IT, gegründet. Seit 2011 ist er im Vorstand der Open Source Business Alliance. Barth macht mit seinem Unternehmen die IT-Abläufe des deutschen Mittelstands fit für die Zukunft – dafür hat er gemeinsam mit seinen Kollegen sogar den Innovationspreis IT in der Kategorie Open Source auf der CeBIT gewonnen.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.