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OCRE-Rahmenvertrag: Cloud-Beschaffung für die Wissenschaft

Der OCRE-Rahmenvertrag bietet Forschungseinrichtungen die Möglichkeit, Cloud-Anbieter flexibel auszuwählen und erlaubt eine maßgeschneiderte Anpassung der Cloud-Dienste.

In der modernen Wissenschaft sind skalierbare Rechenressourcen unerlässlich geworden. Wissenschaftliche Durchbrüche hängen zunehmend von der Fähigkeit ab, große Datenmengen effizient zu verarbeiten und komplexe Berechnungen durchzuführen. Doch gerade öffentliche Forschungseinrichtungen stehen oft vor der Herausforderung, Cloud-Dienste schnell, rechtssicher und kostengünstig zu beschaffen.

Traditionelle Beschaffungsprozesse sind häufig zeitaufwendig und bürokratisch, was die agile Umsetzung innovativer Forschungsprojekte behindert. Das OCRE-Framework (Open Clouds Research Environment), initiiert von GÉANT, dem europäischen Netzwerk nationaler Forschungs- und Bildungsnetze, bietet hierfür eine elegante Lösung mit seinem kaskadierenden Beschaffungsmodell, das speziell auf die Bedürfnisse von Forschungseinrichtungen zugeschnitten ist.

Kaskadierendes Procurement wahrt Flexibilität

Das Prinzip des kaskadierenden Procurements stellt einen zentralen Mechanismus im OCRE-Rahmenvertrag dar. Dieses Modell ermöglicht es den teilnehmenden Forschungseinrichtungen, aus mehreren zugelassenen Anbietern pro Cloud-Plattform auszuwählen, wobei diese Anbieter in einer definierten Rangfolge gelistet sind.

Konkret bedeutet dies, dass für jede große Cloud-Plattform wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure oder Google Cloud mehrere Anbieter in einer festgelegten Reihenfolge zur Verfügung stehen. Organisationen sollten grundsätzlich zunächst den erstplatzierten Anbieter konsultieren, haben jedoch die Flexibilität, auf nachrangige Anbieter zurückzugreifen, wenn bestimmte spezifische Anforderungen vom Erstplatzierten nicht erfüllt werden können. Diese hierarchische Struktur gewährleistet einerseits einen geordneten Auswahlprozess, der den europäischen Vergaberichtlinien entspricht, bietet andererseits aber auch den notwendigen Spielraum, um auf die spezifischen Anforderungen wissenschaftlicher Projekte eingehen zu können.

Neben dem kaskadierenden Auswahlverfahren erlaubt der OCRE-Rahmenvertrag den teilnehmenden Einrichtungen auch, einen Anbieter direkt auszuwählen – sofern dies sachlich begründet und verhältnismäßig erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Organisation überzeugt ist, dass nur ein spezifischer Anbieter ihren Anforderungen gerecht wird – etwa aufgrund besonderer technischer Kompetenzen, branchenspezifischer Erfahrung oder eines spezialisierten Serviceportfolios. In solchen Fällen kann die direkte Auswahl eines nachrangig gelisteten Partners sinnvoll sein, ohne das gesamte kaskadierende Verfahren durchlaufen zu müssen. Dieses flexible Element des OCRE-Modells stellt sicher, dass wissenschaftliche und forschungsnahe Institutionen nicht nur effizient, sondern auch bedarfsgerecht auf Cloud-Leistungen zugreifen können.

Spezifische Anforderungen bestimmen Anbieterwahl

Diese Flexibilität ist besonders wertvoll, wenn es um spezialisierte Bedürfnisse geht. Kann beispielsweise der erstplatzierte Anbieter keine ausreichenden Garantien zur digitalen Souveränität bieten oder verfügt nicht über die erforderlichen Zertifizierungen im Bereich Education oder Non-Profit, dürfen Forschungseinrichtungen ohne eigene Ausschreibung auf nachrangige Anbieter zurückgreifen. Dies erfolgt vollständig EU-konform und wurde speziell entwickelt, um wissenschaftlichen Einrichtungen langwierige und komplexe Vergabeprozesse zu ersparen.

In der Praxis bedeutet dies, dass ein Forschungsinstitut, das beispielsweise besondere Anforderungen an den Datenschutz oder die lokale Präsenz des Anbieters stellt, nicht an den Erstplatzierten gebunden ist, wenn dieser diese Kriterien nicht erfüllen kann. Stattdessen kann es direkt den nächsten qualifizierten Anbieter in der Kaskade kontaktieren. Diese Flexibilität ermöglicht eine signifikante Beschleunigung von Forschungsprojekten, da zeitaufwendige Neuausschreibungen entfallen und die speziellen Bedürfnisse der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin unmittelbar berücksichtigt werden können.

Auswahlkriterien für die Anbieterauswahl definieren

Bei der Auswahl des optimalen Anbieters innerhalb des OCRE-Frameworks sollten Forschungseinrichtungen verschiedene Kriterien berücksichtigen. Tiefe Marktkenntnisse und Expertise im Forschungsumfeld sind fundamentale Voraussetzungen, ebenso wie eine nachgewiesene Multi-Cloud-Kompetenz, da hybride Multi-Cloud-Umgebungen heute als Standard gelten. Zudem spielen die Garantie digitaler Souveränität und eine starke lokale Präsenz, insbesondere in der DACH-Region, eine entscheidende Rolle für die Datenkontrolle und vereinfachte Prozesse. Ein umfangreiches und flexibles Serviceportfolio ermöglicht es, auf die individuellen und sich wandelnden Bedürfnisse der Institute einzugehen. Nicht zuletzt sind spezielle Zertifizierungen in den Bereichen Education, Non-Profit und Digital Sovereignty essenziell, um die Qualifikation eines Anbieters für Forschungseinrichtungen zu bewerten.

Besonders im Kontext sensibler Forschungsdaten oder bei internationalen Kooperationsprojekten ist es entscheidend, einen Partner zu wählen, der nicht nur technisch versiert ist, sondern auch die regulatorischen und datenschutzrechtlichen Besonderheiten des europäischen Forschungsraums versteht und umsetzen kann. Die sorgfältige Berücksichtigung dieser Kriterien stellt sicher, dass Forschungseinrichtungen einen Partner finden, der ihre spezifischen Anforderungen optimal erfüllen kann. In der aktuellen dritten OCRE-Vergaberunde finden sich mehrere Anbieter pro Cloud-Plattform.

OCRE beschleunigt Forschungsinnovation

Die wirtschaftlichen und technologischen Vorteile des OCRE-Frameworks sind beachtlich. Teilnehmende Einrichtungen profitieren von Preisnachlässen bei führenden Cloud-Anbietern von bis zu 16 Prozent und dem Entfall kostspieliger Datenübertragungsgebühren. Die beschleunigten Prozesse durch den Wegfall separater Ausschreibungen führen zu einer erheblichen Vereinfachung der Beschaffungsprozesse. Gleichzeitig gewährleisten die im OCRE-Framework vertretenen Anbieter höchste Standards in Bezug auf Datensicherheit und Compliance – ein kritischer Faktor angesichts der strengen europäischen Datenschutzbestimmungen.

Florian Schultz, SoftwareOne

„Das OCRE-Framework mit seinem kaskadierenden Procurement-Modell stellt eine entscheidende Innovation für die europäische Forschungslandschaft dar. Es verbindet Flexibilität mit Rechtssicherheit und ermöglicht Forschungseinrichtungen den Zugang zu modernen Cloud-Technologien ohne bürokratische Hürden.“

Florian Schultz, SoftwareOne

Der wirtschaftliche Nutzen erstreckt sich dabei weit über die direkten Kostenersparnisse hinaus. Die Möglichkeit, schnell und flexibel auf Cloud-Ressourcen zuzugreifen, ermöglicht es Forschungsteams, innovative Projekte mit hohem Daten- oder Rechenleistungsbedarf schneller umzusetzen. Dies führt zu einer Beschleunigung des gesamten Forschungszyklus, von der Hypothesenbildung bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse. In datenintensiven Bereichen wie der Genomforschung, der Klimamodellierung oder der KI-Entwicklung kann dieser Zeitvorteil entscheidend für den wissenschaftlichen Erfolg und die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Forschungseinrichtungen sein.

Abrufverträge vereinfachen Ressourcenzugang

Die praktische Umsetzung wird durch spezielle Abrufverträge (Call of Agreements) vereinfacht. Diese vorkonfigurierten Dokumente bieten volle Transparenz bezüglich Konditionen, Zuständigkeiten und Leistungsumfang und ermöglichen es Institutionen, schnell und unkompliziert Cloud-Ressourcen über den Rahmenvertrag zu beziehen. Dadurch wird nicht nur der administrative Aufwand reduziert, sondern auch die Planungssicherheit für Forschungsprojekte erhöht.

Die standardisierten Vertragsvorlagen decken alle rechtlichen und technischen Aspekte ab, die für den Bezug von Cloud-Diensten relevant sind, und können bei Bedarf an spezifische Anforderungen angepasst werden. Dies entlastet insbesondere die IT- und Rechtsabteilungen der Forschungseinrichtungen, die nicht für jedes Projekt individuelle Verträge aushandeln müssen. Die klare Strukturierung der Abrufverträge erleichtert zudem die Budgetplanung und das Kostenmanagement, da die Konditionen transparent und vorhersehbar sind.

Forschung transformiert durch flexible Rahmenbedingungen

Das OCRE-Framework mit seinem kaskadierenden Procurement-Modell stellt eine entscheidende Innovation für die europäische Forschungslandschaft dar. Es verbindet Flexibilität mit Rechtssicherheit und ermöglicht Forschungseinrichtungen den Zugang zu modernen Cloud-Technologien ohne bürokratische Hürden. Da datenintensive Forschung und KI-Anwendungen zunehmend an Bedeutung gewinnen, schafft OCRE die notwendigen technischen und rechtlichen Grundlagen für wissenschaftlichen Fortschritt.

Über den Autor:
Florian Schultz ist Global Public Sector Leader bei SoftwareOne und seit zwölf Jahren im Unternehmen tätig. Er verfügt über 20 Jahre internationale Führungserfahrung in High-Tech, Plattformlösungen, Cloud- und KI-Bereichen. Schultz betreut für SoftwareOne Kunden aus den Bereichen Bildung, Non-Profit-Organisationen und Gesundheitswesen und ist zentraler Ansprechpartner für den OCRE-Vertrag, den SoftwareOne mit drei Hyperscalern in der DACH-Region vertritt.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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