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Cloud-Souveränität: Wie Banken ihre digitale Zukunft sichern
Immer mehr Banken und Versicherungen sehen die starke Abhängigkeit von US-Hyperscalern kritisch. Sie erkennen die Notwendigkeit, verstärkt auf europäische Alternativen zu setzen.
Cloud-Technologie galt lange als Mittel zur Effizienzsteigerung und Kostenoptimierung. Doch geopolitische Spannungen haben die Perspektive verändert: Digitale Infrastruktur ist heute ein Schauplatz globaler Machtspiele, in denen Daten und Plattformen als strategische Hebel dienen. Banken und Versicherungen erkennen zunehmend die realen Risiken geopolitischer Abhängigkeiten – die Wahrscheinlichkeit, dass diese Risiken eintreten, wächst.
Vor allem die unberechenbaren politischen Entwicklungen in den USA sorgen für Unsicherheit. Szenarien reichen von verschärften Zöllen bis hin zu Sanktionen, die US-Technologieanbieter dazu zwingen könnten, ihre Dienste in Europa einzustellen oder Innovationen erst verzögert zugänglich zu machen. Für die Finanzbranche in Europa kann das bedeuten: höhere Kosten, eingeschränkte Handlungsfähigkeit und ein wachsender Druck, technologische Alternativen in Europa zu entwickeln.
US-Hyperscaler dominieren den europäischen Finanzsektor
Das sind keine Gründe, in Alarmismus zu verfallen. Doch jüngste Entwicklungen üben Druck auf hiesige Banken und Versicherungen aus, ihr Portfolio an Cloud-Dienstleistern zu diversifizieren und auch auf europäische Anbieter zu setzen.
Doch was können Banken und Versicherer überhaupt tun? Denn nach heutigem Stand gibt es keine wirklichen Alternativen zu den Hyperscalern aus Übersee. So zeigt eine aktuelle Untersuchung der Europäischen Zentralbank (EZB), dass bereits 58 Prozent der ausgelagerten kritischen Funktionen in Großbanken von Dienstleistern erbracht werden, die mehrheitlich in den USA ansässig sind. Nur ein Bruchteil dieser Prozesse ließe sich im Notfall kurzfristig ersetzen. Diese Zahlen verdeutlichen, wie fragil die digitale Souveränität des europäischen Finanzsektors ist.
Es wird also Zeit und politischen Willen brauchen, um den bestehenden Rückstand aufzuholen und sich von der Technologie-Überlegenheit – nicht nur in Bezug auf Cloud-Dienste – der USA zu lösen. Dabei stehen die Institute vor einem echten Dilemma: Wenn Europas Banken sensible Daten und kritische Prozesse an globale Anbieter auslagern, begeben sie sich in eine Abhängigkeit. Gleichzeitig ist die europäische Technologie einfach noch nicht so weit, um die Lücke zu schließen, die aus der Abnabelung von US-Cloud-Services entsteht. Würde man auf deren Services gänzlich verzichten, würde man ganz bewusst einen Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen.
Das sieht auch die deutsche Wirtschaft so: Laut Bitkom Cloud-Report 2025 wünschen sich 82 Prozent der Unternehmen große europäische Hyperscaler, die mit den US-Marktführern mithalten können – diese gibt es bislang jedoch nicht.
Multi Cloud: Der Weg aus der Abhängigkeit
Doch die Welt ist nicht schwarz und weiß – und so verhält es sich auch bei dieser Problematik. Unternehmen in Europa haben die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden, indem sie die Souveränität über ihre Cloud-Daten mit Hilfe einer intelligenten Multi-Cloud-Strategie Schritt für Schritt zurückgewinnen. Das bedeutet: Banken können ihre Workloads gezielt auf verschiedene Anbieter verteilen, um Abhängigkeiten zu reduzieren, ohne Gefahr zu laufen, global abgehängt zu werden.
Dabei sollte nicht vergessen werden: Multi Cloud bringt auch erhebliche Herausforderungen mit sich. In erster Linie steigt die Komplexität der IT-Architektur: Je mehr Plattformen im Einsatz sind, desto schwieriger wird es, den Überblick zu behalten und alles sauber zu integrieren. Ein typisches Problem ist die Abstimmung von Schnittstellen und Datenflüssen zwischen verschiedenen Clouds – hier drohen schnell Sicherheitslücken oder Performance-Einbußen bei falschen Architekturentscheidungen. Doch einheitliche Standards, eine effiziente Cloud Governance und passende Management-Tools können helfen, die Komplexität beherrschbar zu machen.
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„Die Politik schafft dafür die Rahmenbedingungen, doch der entscheidende Impuls sollte aus der Branche kommen. Eine abgestimmte Branchenstrategie kann den Aufbau leistungsfähiger europäischer Cloud-Infrastrukturen vorantreiben, gemeinsame Standards fördern und die Innovationskraft des gesamten Sektors stärken.“
Daniel Wagenknecht, KPMG
Europas Cloud-Markt im Wandel
Unternehmen verfügen demnach über verschiedene Handlungsmöglichkeiten, um ihre Cloud-basierten Workloads auf mehrere Schultern zu verteilen. Diese Maßnahmen sind wichtige erste Schritte, um Abhängigkeiten zu reduzieren und die Kontrolle über eigene Daten zu behalten. Doch die Herausforderungen, vor denen der europäische Finanzsektor steht, lassen sich nicht allein auf Unternehmensebene lösen. Es braucht ein gemeinsames Vorgehen von Unternehmen, Technologieanbietern, Verbänden und Politik, damit eine souveräne und zukunftsfähige Cloud-Landschaft entstehen kann.
Dafür ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt: Das Interesse an europäischen Lösungen wächst, und die Tech-Branche könnte dadurch einen echten Innovationsschub bekommen. Allerdings hat sich gezeigt, dass Initiativen wie Gaia-X bisher nicht die erhoffte Dynamik entfalten konnten. Ein Neustart mit klaren Zielen und mehr Pragmatismus wäre nötig, um wirklich konkurrenzfähige europäische Cloud-Angebote zu schaffen, die praxistauglich sind.
Die Politik schafft dafür die Rahmenbedingungen, doch der entscheidende Impuls sollte aus der Branche kommen. Eine abgestimmte Branchenstrategie kann den Aufbau leistungsfähiger europäischer Cloud-Infrastrukturen vorantreiben, gemeinsame Standards fördern und die Innovationskraft des gesamten Sektors stärken. Auf diese Weise steigen die Chancen, dass Europa in Zukunft über eine digitale Infrastruktur verfügt, die auf eigenen Füßen steht.
Über den Autor:
Daniel Wagenknecht ist Partner bei KPMG im Bereich Financial Services. Er berät Banken und Versicherer bei IT-Management-Themen. Fokussiert hat er sich auf die Themen Cloud-Transformationsberatung – insbesondere unterstützt er Kunden bei der Entwicklung von Cloud-Strategien, Auswahl passender Cloud Service Provider, Vertragsgestaltungen, Transformation der IT, Beschleunigung der Digitalisierung sowie bei der Umsetzung von Cloud Compliance, Security und Datenschutzanforderungen in Cloud-Vorhaben.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.