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Die Zukunft der Anwendungsentwicklung im KI-Zeitalter
Das Potenzial von KI und Low-Code besteht nicht darin, Programmierer zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen, indem sie schneller arbeiten und Stakeholder einbeziehen können.
Künstliche Intelligenz (KI) sorgt in der Anwendungsentwicklung für Aufsehen. Dabei verändern sich Rollen, Anforderungen an Tech-Teams und die Art der Zusammenarbeit innerhalb von Organisationen.
Angesichts dieser Entwicklungen eröffnen Low-Code-Plattformen neue Wege, auf denen Mensch und Maschine gemeinsam produktiver werden können. Zudem kann ein erweiterter Personenkreis in die Entwicklung einbezogen werden, um bessere Ergebnisse zu erzielen und mit Marktanforderungen agil Schritt zu halten.
KI-Hype als Ausgangspunkt einer tiefgreifenden Veränderung
Der Hype um künstliche Intelligenz (KI) ist ungebrochen und die Technologie sorgt weiterhin für Schlagzeilen. Der Fokus liegt dabei auf den potenziellen Auswirkungen und dem Wert, den KI für Teams und Unternehmen unterschiedlichster Branchen haben kann. Insbesondere in der Softwareentwicklung stellt sich die Frage, ob KI menschliche Programmierer ersetzen kann. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen und die wachsende Bedeutung von Low-Code-Ansätzen zeigt jedoch, dass keine Verdrängung, sondern eine Neudefinition von Rollen im Vordergrund steht – im Zusammenspiel mit leistungsfähigen Plattformen. Menschliche Entwickler bleiben somit essenziell.
Die Mendix-Studie The Low-Code Perspective zeigt, dass 98 Prozent der weltweit 2.000 befragten IT-Führungskräfte Low-Code und 34 Prozent KI-gestützte Programmierung umfassend einsetzen. Weitere 47 Prozent befinden sich in der Experimentierphase mit KI. Low-Code-Plattformen und KI-Technologien stellen aber nicht nur neue Werkzeuge bereit, sondern bringen auch neue Verantwortlichkeiten für alle an der Anwendungsentwicklung Beteiligten mit sich. Um das Potenzial KI-gestützter Low-Code-Ansätze voll auszuschöpfen, braucht es deshalb Klarheit über die erforderlichen Fähigkeiten innerhalb der Teams.
Die Zukunft der Anwendungsentwicklung wird somit maßgeblich davon geprägt sein, wie Organisationen ihre Mitarbeitenden weiterbilden und wie sie die Einbindung relevanter Stakeholder gestalten.
Vom Programmierer zum Komponisten: Wie sich die Entwicklerrolle verändert
Generative KI-Tools wie ChatGPT oder GitHub Copilot werden bereits eingesetzt, um Code-Snippets vorzuschlagen, Fehler zu beheben und sogar funktionale Codeblöcke anhand einfacher Eingabeaufforderungen zu vervollständigen. Ihr derzeitiger Fokus liegt damit auf der Automatisierung repetitiver Aufgaben und der Reduktion von Tätigkeiten mit geringer Wertschöpfung.
Gleichzeitig entwickelt sich die Technologie rasant weiter. In naher Zukunft können Entwickler vermehrt mit solchen Tools zusammenarbeiten. So ist es beispielsweise denkbar, dass GenAI ein Anforderungsdokument, ein bestehendes Datenschema oder eine in natürlicher Sprache formulierte Idee auswertet, um daraus ein Datenmodell abzuleiten, das anschließend von einem Entwickler validiert wird. Die manuelle Erstellung eines Datenmodells wäre damit überflüssig. Ähnliches gilt für Benutzeroberflächen: Statt sie von Grund auf neu zu erstellen, können Entwickler Low-Fidelity-Skizzen aus einer Whiteboard-Sitzung hochladen, um daraus erste Layouts generieren zu lassen, die sie anschließend weiter ausarbeiten.
Diese Produktivitätsvorteile werfen die Frage auf, ob GenAI langfristig Raum für Low-Code-Plattformen lässt. Tatsächlich deutet aber vieles darauf hin, dass sich beide Technologien nicht ausschließen, sondern auf sinnvolle Weise ergänzen und sich wechselseitig verstärken. Visuelle Entwicklungsumgebungen, wie sie Low-Code ermöglicht, bieten einen niedrigschwelligen Zugang zur Softwareentwicklung – gerade für Menschen mit wenig Programmiererfahrung.
Damit entsteht eine Grundlage, auf der unterschiedliche Disziplinen zusammenkommen und gemeinsam Anwendungen entwickeln können. Wenn GenAI in eine solche Umgebung integriert wird, erhöht sie nicht nur das Entwicklungstempo, sondern auch die Effizienz über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Die Ergebnisse der oben genannten Studie belegen das Zusammenspiel: 85 Prozent der Befragten geben an, dass die Kombination von KI und Low-Code in ihren Organisationen zu schnellerer Innovation beiträgt.
Die Rolle des Entwicklers könnte sich hier zunehmend in Richtung eines Komponisten verlagern, der die Arbeit autonomer virtueller Softwareagenten orchestriert und überwacht. Im Zentrum steht dann nicht mehr das Codieren im klassischen Sinne, sondern die übergeordnete Steuerung und Qualitätssicherung. Gleichzeitig bleibt das menschliche Fachwissen unverzichtbar, insbesondere wenn es darum geht, Benutzerbedarfe zu verstehen, potenzielle Systemausfälle vorherzusehen oder bestehende IT-Infrastrukturen sinnvoll zu integrieren. Denn KI kann solche Kontexte und Nuancen nicht vollständig erfassen – der Mensch hingegen schon. Wenn KI weiter in die Anwendungsentwicklung integriert wird, wird sie den Bedarf an qualifizierten Programmierern nicht beseitigen, sondern ihn neu gestalten.
In den Austausch gehen: Stakeholder müssen Technologie besser verstehen
Neben der rasanten technischen Weiterentwicklung und den sich verändernden Rollen, sehen sich technische Teams auch organisatorischen Herausforderungen bei der Einbindung und Steuerung unterschiedlicher Stakeholder gegenüber. Zum Beispiel, um Akzeptanz für wichtige Technologien oder Finanzierungszusagen für die Umsetzung der Entwicklungs-Roadmap zu sichern.
IT-Führungskräfte stellen zunehmend Spannungen zwischen ihren Zielen und denen ihrer Stakeholder fest. So berichten 41 Prozent der befragten IT-Führungskräfte, dass es der Führungsebene häufig an technischem Verständnis fehlt, um das Potenzial von Low-Code vollumfänglich zu verstehen. Dies ist besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass IT-Führungskräfte ihren COO als am stärksten involvierten Entscheidungsträger bei Low-Code-Initiativen nennen, gefolgt vom CEO. Bei den 400 deutschen Befragten rangiert der CEO mit 48 Prozent sogar leicht vor dem COO mit 45 Prozent.
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„Low-Code-Plattformen senken die Einstiegshürden für die App-Entwicklung und reduzieren Komplexität. Gleichzeitig beschleunigen KI-Tools die Programmierung.“
Hans de Visser, Mendix
Das macht die kontinuierliche Kommunikation zwischen technischen und nicht-technischen Führungskräften umso wichtiger. Nur durch regelmäßigen Austausch kann ein gemeinsames Verständnis über notwendige Investitionen entstehen. Denn ein verbreiteter Irrtum besteht darin, dass nutzerfreundliche Anwendungen wie Low-Code und KI technisches Know-how gänzlich überflüssig machen. So glauben 39 Prozent der Befragten, dass ihre nicht-technischen Führungskräfte Low-Code einsetzen wollen, um Entwickler zu ersetzen.
Da nicht-technische Stakeholder in der Geschäftsleitung zunehmend wichtige Entscheidungsträger bei IT-Investitionen und -Programmen sind, werden kontinuierliche Gespräche zu einem besseren Verständnis der Vorteile von Low-Code und KI-Technologie beitragen.
Die Zukunft ist kollaborativ – wenn Kompetenzen richtig zusammenwirken
Low-Code-Plattformen senken die Einstiegshürden für die App-Entwicklung und reduzieren Komplexität. Gleichzeitig beschleunigen KI-Tools die Programmierung. Daraus entsteht ein Ökosystem, in dem technische Teams effizienter arbeiten und nicht-technische Team unmittelbar partizipieren können, um gemeinsam an Software zu arbeiten.
Doch gerade KI-Technologien entwickeln sich rasant und die Notwendigkeit, Kompetenzen gezielt weiterzuentwickeln, steigt – um einem Anwachsen der KI-Qualifikationslücke, sowohl bei Entwicklern als auch in der breiten Belegschaft, entgegenzuwirken. Die regelmäßige Weiterbildung von Mitarbeitenden ist daher essenziell, damit Unternehmen ihre Produktivität steigern und wettbewerbsfähig bleiben können.
Grundlage dafür sind verständliche und leistungsfähige Tools, die eine effizientere Entwicklung ermöglichen und Technikteams zur unternehmensweiten Kollaboration sowie schnelleren Problemlösung befähigen. Dabei liegt auf der Hand, dass das wahre Potenzial von KI und Low-Code nicht darin besteht, Programmierer zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen, indem sie schneller arbeiten und Stakeholder unmittelbar einbeziehen können. So entstehen Unternehmen, die sich dynamisch an ein sich schnell veränderndes technologisches Umfeld anpassen.
Über den Autor:
Von Hans de Visser ist Chief Product Officer bei Mendix, ein Siemens-Unternehmen.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.