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Generative KI wird Low-Code nicht ersetzen – aber verbessern
Kann generative KI Low-Code-Plattformen ersetzen? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Richtig eingesetzt, kann generative KI Low-Code auf ein neues Level heben.
Werkzeuge wie ChatGPT ermöglichen es, auf Basis einfacher natürlicher Sprache automatisiert Programmcode zu generieren. Eine kurze Beschreibung der gewünschten Anwendung genügt oft, um ein Ergebnis zu erhalten. Dadurch erhalten auch Nutzer aus den Geschäftsbereichen, die keine klassischen Programmierkenntnisse besitzen, die Möglichkeit, sich aktiv in den unternehmensinternen Softwareentwicklungsprozess einzubringen.
Bisher war dies typischerweise eine Rolle, die sogenannte Low-Code-Plattformen erfüllten, die Entwicklungsprozesse mithilfe grafischer UIs (User Interfaces) und wiederverwendbarer Module vereinfachen. Doch nun stellt sich die Frage: Lösen generative KI-Modelle diese bereits sehr intuitiven Plattformen ab, da sie einen noch niedrigschwelligeren Zugang für Mitarbeitende ohne Programmierkenntnisse bieten?
Risiken und Nebenwirkungen von GenAI
Die Antwort ist ein klares Nein. Die automatische Codegenerierung durch KI-Modelle bringt nämlich zahlreiche Fallstricke mit sich. So sind Entwickler beispielsweise gezwungen, den ausgegebenen Code Zeile für Zeile zu überprüfen. Nur so können sie dessen Qualität, Sicherheit und Compliance-Konformität sicherstellen. Oft greifen KI-Systeme zudem auf externe Bibliotheken zurück, die aus regulatorischer Sicht nicht zulässig sind.
Der von GenAI-Tools generierte Code ist erfahrungsgemäß in neun von zehn Fällen zwar durchaus brauchbar, doch in dem einen bestimmten Fall weist er häufig erhebliche Mängel auf. Diese problematischen Stellen müssen die Nutzerinnen und Nutzer dann manuell nachbessern oder durch modifizierte Prompts erneut generieren lassen. Ein solch iteratives Vorgehen birgt allerdings die Gefahr eines inkonsistenten Quellcodes, denn KI-Systeme gehen die Codeentwicklung radikal anders an als menschliche Entwickler und erzeugen bei wiederholten Anfragen oft unterschiedliche Ergebnisse.
Die Nachbearbeitung dieser Codeblöcke führt zu einer fragmentierten Struktur und zu Logikproblemen, was sowohl die Nachvollziehbarkeit der Anwendungsfunktionalität als auch die Wartung des Quelltexts erschwert. Wiederverwendbar ist der Code dann kaum noch, und auch eine spätere Erweiterung scheitert häufig an der undurchsichtigen und unlogischen Codebasis. Wer sie debuggen und Fehler beheben möchte, hat zudem einen erheblichen Zusatzaufwand gegenüber kohärenteren Tools.
Oder anders ausgedrückt: Der durch generative KI erzeugte Code verursacht technische Schulden, deren Behebung kostspielig und zeitintensiv ist. Diese Problematik wird zusätzlich dadurch verschärft, dass KI-Systeme zwar sehr schnell große Mengen an Code erzeugen können, die Pflege dieser Codebasis jedoch weiterhin in menschlicher Hand bleibt, da sich Künstliche Intelligenz für diese Tätigkeiten bislang kaum eignet.
Low-Code profitiert von GenAI
Vor diesem Hintergrund markiert generative KI keineswegs das Aus von Low-Code-Plattformen. Vielmehr ergänzen sich beide Technologien auf sinnvolle Weise. Der Nutzen der generativen KI liegt in diesem Zusammenhang weniger im Programmieren selbst, sondern vielmehr darin, den Designprozesses von Anwendungen zu automatisieren.
Die Verbindung von GenAI mit Low-Code-Plattformen ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern zum Beispiel, funktionale Anforderungen in natürlicher Sprache zu beschreiben. Die KI fungiert in diesem Fall als Übersetzer und weist der Low-Code-Plattform die nötigen Informationen zu, um automatisiert ein initiales Applikationsdesign zu erstellen. Dieses umfasst dann bereits alle wesentlichen Workflow-Elemente, Datenstrukturen sowie Nutzerrollen und bildet sogar die User Experience über verschiedene Zielgruppen hinweg ab.
Im Idealfall greift die Plattform dafür nicht auf die generative KI zurück und schränkt deren Freiraum durch vordefinierte, branchenspezifische sowie unternehmensinterne Best Practices sinnvoll ein. Zum Beispiel ähneln sich Schadenregulierungsprozesse in der Versicherungsbranche in weiten Teilen, variieren aber je nach Produkttyp oder individuellen Berechnungsmodellen der Versicherungsgesellschaften. Indem die KI diese Standards berücksichtigt und in die Designvorschläge integriert, entstehen qualitativ hochwertige, praxiserprobte Entwürfe für das Applikationsdesign.
Die Zusammenarbeit von Business- und IT-Mitarbeitenden in sogenannten Fusion Teams, also bereichsübergreifenden Arbeitsgruppen profitiert davon erheblich. Das initiale Applikationsdesign entwickeln sie gemeinsam weiter und optimieren es je nach Bedarf. Auch dabei unterstützt die KI, indem sie Verbesserungsvorschläge macht oder auf Wunsch Varianten mit neuen Parametern erstellt. Nach der Finalisierung lässt sich das Design mit wenigen Klicks direkt in das Entwicklungs-Framework der Plattform überführen, welches daraus dann automatisch eine lauffähige Anwendung generiert. An dieser Stelle kommen dann ausschließlich getestete, sichere und miteinander kompatible Softwarebausteine des Anbieters zum Einsatz, was die typischen Probleme generativer Codeerstellung egalisiert.
Low-Code-Plattformen auf einem neuen Level
Die Einbindung generativer KI in den Designprozess hebt Low-Code-Plattformen auf ein ganz neues Level. Sie senkt einerseits die Einstiegshürden für engagierte User aus den Fusion Teams deutlich, sodass sie erste Designentwürfe schnell und einfach mit Beschreibungen in natürlicher Sprache erstellen lassen können. Langwierige Abstimmungen und Meetings entfallen somit, wodurch sich wiederum die Entwicklungszeiten erheblich verkürzen. Da kein Quellcode, sondern ein visuelles Modell erzeugt wird, steht den Fusion Teams andererseits auch eine allgemein verständliche Basis zur Verfügung, die eine effektive Zusammenarbeit an Anwendungsdesigns fördert. Fehler lassen sich leichter identifizieren und beheben, was die Qualität erhöht und Workflows beschleunigt.
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„Die Verbindung von GenAI mit Low-Code-Plattformen ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern zum Beispiel, funktionale Anforderungen in natürlicher Sprache zu beschreiben. Die KI fungiert in diesem Fall als Übersetzer und weist der Low-Code-Plattform die nötigen Informationen zu, um automatisiert ein initiales Applikationsdesign zu erstellen.“
Uwe Specht, Pegasystems
Ein zusätzlicher Vorteil besteht darin, dass die auf diese Weise generierten Applikationen bereits vollständige Datenmodelle enthalten. Das gemeinsame Verständnis für relevante Datenobjekte fällt somit leichter, denn oft verwenden Entwickler Fachtermini, die in anderen Abteilungen nicht geläufig sind. Da eine KI hingegen auf fachlich passende Ausdrücke zurückgreift, ist die Validierung der Applikation auf Fachseite einfacher und schneller möglich. Fehlende Datenfelder oder Variablen lassen sich so frühzeitig identifizieren und die Expertinnen und Experten können sofort sehen, ob die Datenstruktur für sie sinnvoll ist.
Welche Rolle spielt Agentic AI in der Softwareentwicklung?
Generative KI eignet sich aktuell auch als Teil von Low-Code-Plattformen nicht für die zuverlässige Erstellung von Programmcode: der erstellte Quelltext ist dafür einfach noch zu inkonsistent, dessen Wartung zu schwer und die Qualität nicht immer befriedigend. Zukünftig kann jedoch Agentic AI, also agentische KI, an dieser Stelle Abhilfe schaffen. Spezialisierten KI-Agenten, die miteinander interagieren und kommunizieren, können strukturiertere und standardkonforme Entwicklungsprozesse ermöglichen. Damit ist sie deutlich eher in der Lage, den Anforderungen professioneller Softwareentwicklung zu entsprechen als heutige Prompt-basierte GenAI-Lösungen.
Über den Autor:
Uwe Specht ist Senior Specialist Solutions Consultant bei Pegasystems.
Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.