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Die Desktop-Revolution: Warum der Browser der neue PC ist

Mit dem Wachstum von Browser-Anwendungen hat die IT-Branche die einmalige Gelegenheit, die Windows-GUI durch eine Browser-Schnittstelle zu ersetzen.

In der IT-Branche herrscht das Gefühl vor, dass das Jahr 2018 einen Wendepunkt für die Desktop-IT markiert. Betrachten wir die Entwicklungen in der IT: Anfang der 90er Jahre war WordPerfect das führende Textverarbeitungspaket, und auf den meisten PCs lief MS-DOS. Die Benutzeroberfläche war textbasiert.

Als Microsoft mit Windows 3.1 die wohl erste verwendbare Version seiner gleichnamigen grafischen Benutzeroberfläche (GUI) einführte, gab es eine seismische Verschiebung in der Branche: Fortan dominierte Windows und es wurden fast ausschließlich Windows-Anwendungen entwickelt. In der Folge führte dies zum Untergang von Novell und WordPerfect.

Seit sich Windows in den frühen 2000er Jahren von Windows 2000/Windows Me zu XP, Windows 7 und nun Windows 10 entwickelt hat, sind Microsoft-Anwendungen zur grundlegenden Desktop-Software geworden: Viele beliebte Geschäftsanwendungen im Endanwenderbereich werden von Microsoft-Software abgedeckt.

Nun aber ändert sich etwas Grundlegendes: Mit dem Aufkommen von Business-Anwendungen, die als Software as a Service (SaaS) geliefert werden und dem Wachstum von Browser-Anwendungen, hat die IT-Branche jetzt die einmalige Gelegenheit, Windows durch eine Browser-Schnittstelle zu ersetzen.

An dieser Stelle kommt das Linux-basierte Chrome-Betriebssystem von Google ins Spiel. Das Betriebssystem, das für die Ausführung des Chrome-Browsers auf Chromebook-Geräten entwickelt wurde, gewinnt in Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Chromebooks der Enterprise-Klasse werden jetzt zu einem ähnlichen Preis wie Windows-Laptops ausgeliefert. Dadurch ändert sich die Wahrnehmung, dass Chrome OS eine billige Alternative zu Windows ist. Softwareseitig wird auch daran gearbeitet, Chrome OS auf älterer PC-Hardware laufen zu lassen.

Ein Unternehmen, das an solchen Projekten arbeitet, ist Neverware, dem Entwickler von CloudReady. Neverware legt seinen Schwerpunkt darauf, älteren PCs neues Leben einzuhauchen. Seine Pläne scheinen mit der Entwicklung von Chrome OS in Einklang zu stehen, das seiner Nische im Bildungsbereich auszubrechen beginnt.

Das weit verbreitete Betriebssystem Windows 7 wird im Januar 2020 das Ende seines Support-Lebenszyklus erreichen, so dass Unternehmen in weniger als zwei Jahren eine Migration über die Bühne bringen müssen.

Branchenexperten betrachten die Windows-7-Frist als Gelegenheit, Desktop-Computing neu zu bewerten. Aus Sicht des IT-Managements sollte Windows 10 nicht einfach als die nächste zwingend notwendige Iteration des Windows-Betriebssystems betrachtet werden. Anders als in früheren Windows-Versionen werden Patching, Updates und Security des Betriebssystems nun weitgehend direkt von Microsoft übernommen – und nicht mehr von einem internen IT-Administrator gemanagt.

Computacenter beschreibt dies als „Evergreen Computing“ (PDF) und ist überzeugt, dass Microsoft künftig in Eigenregie Windows verwalten und die Rolle des Desktop-IT-Supports grundsätzlich verändern wird.

Alternative Desktop-Strategie

IT-Experten sehen dies als eine gute Gelegenheit, den Betrieb der Desktop-IT zu überdenken und neu zu bewerten. Und in der Tat scheint die Branche zunehmend an einer alternativen Desktop-Strategie interessiert zu sein.

Konkret stellt sich für viele die Frage: Wenn es eine Menge von Benutzern gibt, die ihre Windows-Maschine überwiegend für browserbasierte und SaaS-Anwendungen verwenden, warum sollte man dann noch Windows einsetzen? Ist Windows in diesem Fall tatsächlich immer noch die beste Option für die Desktop-IT?

Paul Nicholas, Business Manager Google bei Tech Data, sagt: „Eine der größten Herausforderungen für die Unternehmens-IT sind schrumpfende Budgets bei gleichzeitig erhöhten Erwartungen an die betriebliche Effizienz. Die Kosten von Legacy-Anwendungen können einen großen Teil des Budgets eines IT-Managers beanspruchen. Der Einsatz von Chrome-Geräten mit einer Enterprise-Management-Lizenz kann die IT-Kosten in drei Jahren um bis zu 75 Prozent senken.“

Tatsächlich kann Chrome OS eine Alternative sein. Um Chrome OS zu betreiben und zu testen, ist es nicht notwendig, ein physisches Chromebook zu kaufen. Hier setzt Neverware an. CloudReady ist ein Desktop-Betriebssystem für x86-basierte Hardware wie PCs und Macs, das über die Google Management Console verwaltet werden kann.

Im Oktober 2017 startete Neverware seine Finanzierungsrunde der Serie B, an der Google als Erstinvestor beteiligt war. Seit der Investition von Google hat Neverware das Interesse von Firmen aller Größenordnungen erkannt und testet CloudReady mit einer Reihe von Unternehmen.

Erst kürzlich hat das Unternehmen bekannt gegeben, dass es eine Vereinbarung zur Übernahme von Flint Innovations getroffen hat. Flint Innovations ist das britische Unternehmen hinter Flint OS, einem weiteren Chromium-Betriebssystem.

„Mit Flint OS können wir unser internationales Wachstum beschleunigen", sagt Andrew Bauer, CEO von Neverware. „Dies ist eine seltene Gelegenheit, Leute an Bord zu holen, die den Wert von Chrome OS verstehen. Indem wir zusammenarbeiten, können wir dies beschleunigen. Gemeinsam werden wir in Europa und weltweit besser positioniert sein, um in Schulen und Unternehmen das Bewusstsein für die Vorteile der Installation eines sicheren, einfach zu handhabenden Betriebssystems wie CloudReady auf bestehenden Computern zu schärfen.“

„Wir haben Flint mit der Vision entwickelt, dass sich alle Anwendungen und Dienste, die wir heute nutzen, in der Cloud befinden und über ein einziges Browser-Fenster bedienen lassen“, sagt Flint OS CEO und Mitbegründer Will Smith. „Neverware glaubt wie wir an diese Vision. Deshalb freue ich mich darauf, mit ihnen zusammenzuarbeiten – um ein leichtgewichtiges, modernes Betriebssystem auf den europäischen Markt zu bringen.

Support für Microsoft Office

Chrome OS und CloudReady sind für Googles Office-Programm, die G-Suite, optimiert. G-Suite-Anwendungen werden automatisch mit Google Drive synchronisiert, so dass der Benutzer auch offline arbeiten kann. Microsoft Office ist allerdings weit verbreitet und die Unterstützung für das Office-Dateiformat ist ein entscheidender Akzeptanzfaktor.

„Die Vertrautheit mit den Office-Programmen ist eine zentrale Herausforderung bei der Benutzerakzeptanz“, sagt Paul Nicholas, Business Manager Google bei Tech Data. „Das Google Drive-Team hat verstanden, wie wichtig der Office-Support für die Kunden ist, und hat daher vor kurzem die kollaborative Bearbeitung aller Dateitypen in Drive im Google Docs-Stil eingeführt. Word/PPT/Excel muss nicht mehr in Docs/Sheets/Slides für G-Suite konvertiert werden.“

Mit einem Microsoft-Konto ist es auch möglich, Outlook Web Access zu verwenden. Ein Microsoft Office-365-Abonnement bietet Browserversionen von Word, Excel und PowerPoint über Microsoft Office Online. Dokumente können erstellt, geöffnet und auf OneDrive gespeichert werden und es gibt auch eine Integration mit Cloud-Speichern von Drittanbietern wie Box und Dropbox. All dies ist direkt über die Browseroberfläche von Chrome OS möglich.

Einen Konkurrenzkampf mit Google wird es nicht geben: Während Google und seine Partner mit Chromebooks und Chrome OS in die Unternehmen drängen, betrachtet Neverware CloudReady als eine Möglichkeit für die IT-Abteilung, älteren Geräten neues Leben einzuhauchen. „Schulen müssen damit keine neue Hardware beschaffen“, sagt Bauer. „Wir bauen ein Betriebssystem auf, das auf lange Sicht von Unternehmen jeder Größe eingesetzt werden soll, ohne die Benutzerfreundlichkeit zu beeinträchtigen.“

Im Gegensatz zu anderen Linux-Betriebssystemen, die so konzipiert sind, dass sie von einem Live-USB-Stick booten können, soll CloudReady vor allem das bestehende Desktop-Betriebssystem ersetzen. Deshalb überschreibt es das installierte Betriebssystem.

Während das Unternehmen beginnt, seine Strategie für den Enterprise-Einsatz zu konkretisieren, sieht Bauer in der anvisierten Alleinstellung von CloudReady kein Hindernis. „Wir haben CloudReady zusammen mit Windows getestet, aber wir sehen von einem gemeinsamen Betrieb ab“, sagt er. „Wir wollen CloudReady als bestmögliches Desktop-Betriebssystem anbieten.“

Bauer sagt, dass die Investition von Google das Potenzial bietet, CloudReady enger in Chrome OS zu integrieren. „Wir haben eine sehr enge Kommunikation mit ihrem Entwicklungsteam und unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass wir so nah wie möglich an Chrome OS dran sind“, fügt er hinzu.

Das Unternehmen führt eine Liste von 200 CloudReady-zertifizierten Laptops, Desktops und Mac-PCs, die neun bis zehn Jahre alte Hardware umfasst. Auch Thin-Client-Geräte auf Basis von Intel-Chipsätzen werden von CloudReady unterstützt. Bauer sagt, dass ältere Hardware mit CloudReady aktualisiert werden kann, um eine virtuelle Desktop-Umgebung bereitzustellen.

Möglich wird dies durch die Google Management Console, die es der älteren Hardware mit CloudReady ermöglicht, direkt im Kiosk-Modus zu booten. Der Kiosk-Modus ist ein spezieller Modus für Computerprogramme, in dem die Rechte des Benutzers eingeschränkt sind: Im Fall von CloudReady bedeutet das, die Hardware so zu konfigurieren, dass sie nur eine Anwendung ausführen kann. So kann dem Benutzer zum Beispiel ein Remote-Desktop über eine virtuelle Desktop-Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden.

Ältere Windows-Versionen unterstützen

Paul Bray, Chief Technologist for Digital Workplace Technologies bei Computacenter, sagt, dass der Remote-Desktop früher das Aushängeschild für Chromebooks war. Er ermöglichte den Benutzern den Fernzugriff auf ihre Windows-Desktops.

Der Einsatz von Chrome-Geräten mit einer Enterprise-Management-Lizenz kann die IT-Kosten in drei Jahren um bis zu 75 Prozent senken.
Paul NicholasTech Data

Tatsächlich könnte der Remote Access auf Windows-Anwendungen zu einem der zentralen Anwendungsfälle für CloudReady werden. Insbesondere, wenn Unternehmen das Ende der Lebensdauer von Windows 7 in Betracht ziehen, könnten Sie damit einen neuen Ansatz für die Desktop-IT starten. Allerdings wird es immer wieder Anwendungen geben, die nicht browserbasiert oder als Software as a Service verfügbar sind und nur auf einem Windows-Desktop laufen können. Für diese Anwendungen ist eine virtuelle Desktop-Infrastruktur (VDI) der einzige Weg, sie zum Laufen zu bringen – es sei denn, die Applikation wird durch etwas ganz anderes ersetzt.

Die Voraussetzungen für einen VDI-Betrieb sind gut. Sowohl Citrix als auch VMWare bieten Chrome-Browser-Erweiterungen, um einen Windows-Desktop über VDI unter Chrome OS bereitzustellen. In einem kürzlich erschienenen Blog beschreibt Citrix Senior Product Marketing Manager (Allianzen) Sean Donahue wie dies funktioniert: „In Verbindung mit dem Citrix Receiver for Chrome – erhältlich im Chrome-Webshop oder bei Citrix.com – haben die Mitarbeiter die Flexibilität, mit ihren Chromebooks auf Geschäftsanwendungen und virtuelle Desktops mit einem nativen Look and Feel zuzugreifen. Das geht, wo immer sie wollen, in jedem Netzwerk und von jedem Gerät aus.“

Das Design von Chrome OS (und übrigens auch von CloudReady) bedingt, dass das Betriebssystem bei jedem Hochfahren eine saubere Kopie beibehält, was es frei von Malware hält. Da alle Daten und Unternehmensanwendungen im Rechenzentrum gesichert sind, ist auch der virtuelle Desktop sicher.

VMware Horizon ist ebenfalls als Chrome-Erweiterung erhältlich, um über einen virtuellen Desktop auf Anwendungen zuzugreifen. Dennoch hat eine browserbasierte VDI-Nutzung ihre Grenzen. Einige davon können mit Tools von Google, wie zum Beispiel der Management Console, überwunden werden. Google Cloud Print kann verwendet werden, um lokales Drucken über die Cloud bereitzustellen, und Google Drive kann für einfaches File Sharing verwendet werden.

Konsolidierung von Windows-Anwendungen

In vielen großen Unternehmen würde ein Audit von Desktop-Anwendungen wahrscheinlich Hunderte von Windows-Anwendungen aufdecken. Und es dürfte mit ziemlicher Sicherheit auch noch mehrere Versionen davon im Netzwerk geben. Da Windows 7 ausläuft, sollte die IT-Abteilung versuchen, diese Zahl zu reduzieren, indem sie ihre Software-Asset-Management-Audits verschärft.

Wenn CIOs und IT-Entscheider den Umfang ihres Windows-Desktops genau kennen, können sie die Realisierbarkeit von Browser-Anwendungen – und den Einsatz eines browseroptimierten Betriebssystems wie Chrome OS oder CloudReady – gut einschätzen.

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