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Firmen ohne eigene KI-Roadmap drohen neue Abhängigkeiten

Damit sich Unternehmen bei beim Einsatz von generativer KI nicht in neue Abhängigkeiten begeben, müssen sie Anwendungsfälle auf den Prüfstand stellen und KI-Strategien entwickeln.

Immer mehr Unternehmen denken darüber nach, wie sie vom Trend rund um ChatGPT und generative KI profitieren können. Auch in Deutschland plant jedes sechste (17 Prozent) Unternehmen einer Bitkom-Umfrage zufolge den Einsatz von KI-Anwendungen und weitere 23 Prozent denken darüber nach. Auf der anderen Seite war der KI-Monitor des BVDW für das Jahr 2022 erstmalig rückläufig.

Die entscheidende Frage, damit das Thema KI vorankommt, ist: Wie integrieren Unternehmen die Technologie in ihre eigene Infrastruktur, ohne sich wieder von wenigen Großunternehmen wie Google, OpenAI oder Microsoft abhängig zu machen?

Eines vorweg: KI an sich ist nichts neues. Aber erst die Entwicklungen der letzten fünf Jahre haben den exponentiellen Qualitätssprung ermöglicht. Auch die Interfaces von ChatGPT & Co. spielen eine Rolle, da jetzt jeder ohne Vorwissen mit den Modellen interagieren kann.

Sehen wir uns einmal genauer an, wie Unternehmen sich diese Fortschritte zunutze machen und worauf es bei KI-Souveränität ankommt.

KI-Souveränität ist das, was jetzt zählt

Europa hat ein Problem: 88 Prozent aller großen KI-Modelle stammen derzeit aus den USA oder China. Wenn wir den Anschluss nicht verpassen wollen, müssen wir jetzt massiv in die nötige Rechenleistung und KI-Infrastruktur investieren. US-amerikanische Konzerne beherrschen bereits die Märkte für Suchmaschinen, soziale Medien und Cloud-Server, was immer wieder zu Herausforderungen bei Datenschutz und Regulierung führt. Das sollte sich bei KI nicht wiederholen.

Das deutsche Startup Aleph Alpha zeigt, dass Transparenz und Datenschutz bei KI möglich sind. Doch insgesamt braucht es noch mehr Anbieter, die die sichere und datenschutzkonforme Verarbeitung von Unternehmensdaten gewährleisten. Unternehmen auf der ganzen Welt, auch in Deutschland, müssen aus diesem Grund eigene KI-Roadmaps entwickeln. Sonst droht die Gefahr, sich die Spielregeln von großen US-basierten KI-Playern wie Google, OpenAI oder Microsoft diktieren lassen zu müssen.

KI-Roadmaps schaffen Basis für Unabhängigkeit und Flexibilität

Erfolgreiche KI-Strategien gehen im Detail auf die Bedürfnisse von Unternehmen ein. Denn nur das garantiert nutzbringende Use Cases. Doch die Technologie entwickelt sich rasant weiter und es entstehen ständig neue Tools, die Anwendungsfälle zu mehr Effektivität oder Effizienz transformieren können. Hier den Überblick zu bewahren, kann eine echte Herausforderung sein. Unternehmen sollten sich daher gut überlegen, in welchen Bereichen Kunden und Mitarbeitende am meisten von KI profitieren, und ihre Infrastruktur darauf ausrichten.

Unternehmen müssen zunächst diese Fragen beantworten:

  • Welche Anwendungsfälle können kurzfristig mit KI optimiert werden, um schnelle Erfolge und Lerneffekte zu generieren, die mittelfristig in die KI-Roadmap integriert werden können?
  • Wie können wir bei der aktuellen Geschwindigkeit die Entwicklungen im Bereich KI verfolgen und entscheiden, was genauer analysiert werden muss? Und wohin wird sich das Marktumfeld mittelfristig entwickeln, welche KI-Technologien sind dann entscheidend?
  • Für welche Anwendungsfälle eignen sich auch weniger leistungsstarke Open Source Large Language Model (LLM), deren Bereitstellung dafür datensouverän in der unternehmenseigenen Cloud erfolgen kann?
  • Gibt es Partner, mit denen wir beim Aufbau von KI-Ressourcen zusammenarbeiten können, um effizienter zu sein?

Entscheidend für die Umsetzung ist eine klare Aufgabenverteilung. Viele IT-Projekte scheitern, weil nicht klar definiert ist, welche Rahmenvorgaben das Management setzen muss und wie Bottom-up eine Kultur des Experimentierens geschaffen werden kann. Unternehmen dürfen nicht zu viel Respekt vor dem Thema haben. Es muss vermieden werden, dass zu viele Restriktionen von ganz oben oder aus dem mittleren Management kommen: Teams müssen in sicheren Umgebungen mit unkritischen Daten einfach mal ausprobieren können. Gleichzeitig muss das Management die Strategie-Arbeit leisten und Anwendungsfälle identifizieren, die sich innerhalb der bestehenden Architekturen realisieren lassen, statt neue Silos zu schaffen.

IT-Architekturen auf KI vorbereiten

Damit Unternehmen ihre KI-Strategie so schnell und effizient wie möglich umsetzen können, sollten sie parallel zur Erarbeitung der KI-Roadmap ihre IT-Systeme modernisieren. Das ist die Grundlage dafür, um möglichst flexibel eine passende KI-Infrastruktur aufzubauen.

Es steht fest, dass Datensilos nicht funktionieren, wenn es um KI geht. Und auch manche Legacy-Systeme sind nicht flexibel genug, um eine KI-Strategie auf ihnen aufzubauen. Es lohnt sich daher, sich mit Composable-Architekturen zu beschäftigen. Im Zuge der digitalen Transformation erleben wir einen Wandel in der Art und Weise, wie Unternehmen Technologiearchitekturen implementieren müssen. Im Mittelpunkt dieses Wandels steht ein Composable-Ansatz aufbauend auf MACH-Technologien: Microservices, API-first, Cloud-native und Headless. Ziel ist eine agilere, flexiblere und reaktionsfähigere IT-Architektur. Dieser Ansatz ermöglicht es Unternehmen, schneller Anpassungen vorzunehmen und weitere Tools im Sinne des Best-of-Breed-Gedankens einzusetzen, und so flexibel auf sich ändernde Anforderungen reagieren zu können.

Kai Ebert, Valtech

„Unternehmen dürfen sich nicht abhängig machen von großen KI-Playern. Jenseits von Bedenken, was den Datenschutz und einen gesunden Wettbewerb betrifft, lassen sich viele Anwendungsfälle auch in Eigenregie realisieren.“

Kai Ebert, Valtech

Die meisten Unternehmen sind sich dessen bewusst, gehen aber bisher nur in kleinen Schritten voran. Sie sollten die Chancen, die sich durch KI eröffnen, auch als Motivation nutzen, ihre IT-Systeme fit für die Zukunft zu machen. Mehr Flexibilität trägt im Übrigen auch dazu bei, die Kundenerfahrung (Customer Experience, CX) stets auf einem hohen Niveau zu halten – heute eine unabdingbare Voraussetzung.

Open-Source-Modelle unterstützen die Implementierung der eigenen KI-Roadmap

Unternehmen sollten unbedingt eine durchdachte KI-Strategie entwickeln und ihre IT-Systeme modernisieren. Sie sollten es sich bei der Implementierung aber auch nicht unnötig schwer machen und Synergien mitnehmen.

Die reine Verfügbarkeit von KI-Modellen zum Beispiel stellt kein Problem dar. Im Bereich generativer KI gibt es bereits heute viele Open-Source-AI-Modelle wie Dolly oder Falcon und auch die Plattform Hugging Face ist vielversprechend. Open Source bietet Unternehmen den Vorteil, KI-Tools zum Beispiel in der eigenen Cloud nutzen zu können, ohne Daten an große Player wie OpenAI abgeben zu müssen. Dadurch, dass so auch sensible Unternehmensdaten einfließen können, lassen sich die Modelle auf die Unternehmensbedürfnisse finetunen. Das ist unter anderem für die Personalisierung der CX entscheidend.

Letztlich gilt es abzuwägen: Für welche Anwendungsfälle lassen sich die leistungsstarken Modelle von OpenAI & Co. bedenkenlos nutzen? Und wo setzen wir lieber auf Open-Source-Modelle, die vielleicht momentan noch weniger mächtig sind, aber sich dafür lokal einbinden lassen? Letztlich geht es darum, lokale KI-Integrationen dort einzusetzen, wo die Kontrolle über die eigenen Daten geschäftskritisch ist. Passende Anwendungsfälle sind zum Beispiel die zielgruppengenaue Erstellung von Marketing-Content unter Geheimhaltung vor der Produktveröffentlichung oder Auto-Reply-Systeme, die eingehende Kundenanfragen, die sensible Daten enthalten, personalisierter beantworten. Ein Anwendungsfall speziell im B2B-Bereich ist beispielsweise die Erstellung eines digitalen Zwillings von Entscheidungsträgern potenzieller Kunden, um einen Business-Pitch virtuell durchzuspielen.

Fazit: Unternehmen müssen sich unabhängig bei KI machen

Unternehmen dürfen sich nicht abhängig machen von großen KI-Playern. Jenseits von Bedenken, was den Datenschutz und einen gesunden Wettbewerb betrifft, lassen sich wie gezeigt viele Anwendungsfälle auch in Eigenregie realisieren.

Erst Souveränität bei KI hilft Unternehmen, ihre eigenen Innovationsprozesse voranzutreiben. Indem sie in geeigneten Use Cases die volle Kontrolle über ihre KI-Systeme und deren Training haben, können sie maßgeschneiderte Lösungen entwickeln, die einen echten Mehrwert für Kunden wie Mitarbeitende gleichermaßen bieten.

Die für diese Transformation nötigen Technologien, allen voran Composable, stehen zur Verfügung. KI ist gekommen, um zu bleiben, und es führt kein Weg an ihr vorbei. Noch ist der Zeitpunkt günstig: Unternehmen, sollten sich jetzt schnell auf den Weg machen, um ihren Wettbewerbern immer einen Schritt voraus zu sein.

Über den Autor:
Kai Ebert ist General Manager bei Valtech. Seit Januar 2022 ist Kai Ebert als General Manager von Valtech Deutschland für das strategische Marketing der DACH-Region verantwortlich. Weitere Stationen waren Jung von Matt und Fork Unstable Media. Kai Ebert verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Agenturbranche und steht für ein breites Themenspektrum von digitalem Marketing, über KI bis hin zum E-Commerce.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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