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Die Vor- und Nachteile KI-gestützter Bewerbungen

KI revolutioniert den Bewerbungsprozess. Bewerber, die herausstechen möchten, müssen die richtige Balance zwischen persönlicher Authentizität und dem Einsatz von KI finden.

Die Vorteile generativer KI-Modelle wie ChatGPT, Gemini & Co. für Bewerber liegen auf der Hand, sind sie doch eine große Hilfe, um die eigenen Bewerbungsunterlagen zu optimieren. Sie unterstützen bei der Erstellung von Lebensläufen und Anschreiben, die auf die spezifischen Anforderungen eines Jobs zugeschnitten sind.

Durch die Analyse von Stellenbeschreibungen identifiziert die KI relevante Schlüsselwörter und Kompetenzen, die in den Bewerbungsunterlagen hervorgehoben werden sollten. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, positiv aufzufallen und von automatisierten Bewerbermanagementsystemen erkannt zu werden. Zudem helfen KI-Tools bei der Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche und Einstellungstests, indem sie potenzielle Fragen und Aufgabenstellungen antizipieren und passende Antworten vorschlagen.

Umgekehrt kann KI auch HR-Abteilungen im Recruiting-Prozess unter die Arme greifen. Laut einem Report von LinkedIn blicken bereits 65 Prozent der Personalentscheider in Deutschland, Österreich und der Schweiz positiv auf den KI-Einsatz im Recruiting. Der Report geht davon aus, dass die Akzeptanz weiter zunehmen wird, da Recruiting-Teams ein immer besseres Verständnis dafür entwickeln, wie sie KI gezielt einsetzen können, etwa bei der Personalsuche über eine personalisierte Ansprache oder beim Abgleich interner Kandidaten mit offenen Stellen.

Zugleich kann der Einsatz von KI den Bewerbungsvorgang beschleunigen: unseriöse oder offensichtlich unpassende Bewerbungen können schnell aussortiert werden. Hier ist jedoch genau darauf zu achten, dass die verwendeten KI-Modelle keine unbewussten Vorurteile replizieren. Dies wird auch von einer Mehrheit der Bewerbenden begrüßt: einer Studie des HR-Software-Hauses Bullhorn zufolge befürworten 81 Prozent der Kandidaten den Einsatz von KI im Bewerbungsprozess – 79 Prozent allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass die Personalisierung nicht darunter leidet.

KI sorgt für Bewerbungsflut

Gerade hier kommt jedoch die Schattenseite des KI-gestützten Bewerbungsprozesses zum Vorschein. Im August 2024 berichtete die Financial Times, dass rund die Hälfte aller Arbeitssuchenden inzwischen KI-Tools nutzt, um sich auf Stellen zu bewerben – und so Unternehmen und Personalverantwortliche mit eine Flut von Bewerbungen überschwemmen, die auf den ersten Blick vielleicht professionell wirken, tatsächlich jedoch qualitativ minderwertig und nichtssagend sind. Personaler berichten nicht nur von einem deutlichen Anstieg der Bewerbungen pro offener Stelle. Der achtlose Einsatz von KI führt auch zu einer generischen Sprache und einem Mangel an Persönlichkeit in den Bewerbungen, die es den Personalverantwortlichen zunehmend erschweren, Kandidaten effektiv zu beurteilen.

Zudem macht KI Schummelei im Bewerbungsprozess leichter denn je. Das betrifft insbesondere die inzwischen weit verbreitete Praxis, die eigenen Qualifikationen mittels KI aufzuplustern – laut einer Umfrage des Software-Marktplatzes Capterra übertreiben 87 Prozent der Kandidaten mithilfe von KI-Tools ihre Fähigkeiten in Bewerbungen – eine durchaus riskante Strategie, die einem spätestens im Jobinterview auf die Füße fallen kann. Zudem kann sie eine neue Chancenungleichheit schaffen. So zitiert die Financial Times im erwähnten Artikel Studien, laut denen Bewerber, die eine kostenpflichtige und damit leistungsstärkere Version von ChatGPT für ihre Bewerbungen nutzten, Einstellungstests im Schnitt deutlich besser bestanden als solche, die die kostenfreie Basisversion nutzten.

KI als Werkzeug, nicht als Ersatz

Was können Bewerber also tun, um nicht im Meer der KI-generierten Bewerbungen unterzugehen? Obwohl KI eine nützliche Hilfestellung sein kann, bleiben Sorgfalt und Authentizität weiterhin das A und O. KI sollte als Hilfsmittel und nicht als vollständiger Ersatz für das Verfassen persönlicher Bewerbungen eingesetzt werden. Sie eignet sich hervorragend zum Erstellen erster Entwürfe, jedoch sollten Bewerber diese sorgfältig bearbeiten und personalisieren, um ihre einzigartigen Fähigkeiten, Erfahrungen und ihre Persönlichkeit widerzuspiegeln.

Generische Formulierungen und Floskeln sollten vermieden und stattdessen konkrete persönliche Erfahrungen und spezifische Beispiele integriert werden. Dies verleiht der Bewerbung eine persönliche Note und zeigt dem potenziellen Arbeitgeber, dass eine echte Person hinter der Bewerbung steht. Auch sollten Bewerbungsdokumente frei von Rechtschreib-, Grammatik- und Übersetzungsfehlern sein – eigentlich eine Binsenweisheit, doch leider beim Einsatz generativer KI immer wieder unterschätzt. Eine sorgfältige Endkontrolle ist daher unerlässlich. Schließlich wissen auch die Recruiter, dass die Bewerber wahrscheinlich KI zu Hilfe genommen haben. Eine Bewerbung muss deshalb stets einen individuellen Touch haben, um nicht als achtlos anmutende Massenaussendung identifiziert zu werden.

Andre Bechtold, SAP

„Obwohl KI eine nützliche Hilfestellung sein kann, bleiben Sorgfalt und Authentizität weiterhin das A und O. KI sollte als Hilfsmittel und nicht als vollständiger Ersatz für das Verfassen persönlicher Bewerbungen eingesetzt werden.“

Andre Bechtold, SAP

Ebenso wichtig sind Transparenz und Ehrlichkeit, was den Umgang mit KI betrifft. Im Bewerbungsgespräch darauf angesprochen, sollten Bewerber offen über die Verwendung von KI-Tools sprechen. Diese offen zu kommunizieren und gleichzeitig eine kritische Bearbeitung der generierten Inhalte zu zeigen, signalisiert schließlich die Fähigkeit zum kompetenten Einsatz von KI-Werkzeugen und dem reflektierten Umgang mit ihren Ergebnissen – eine in der heutigen Arbeitswelt unerlässliche Fähigkeit.

Hard Skills bleiben gefragt

Überhaupt sind es die nachweisbaren Qualifikationen, die auch im KI-Zeitalter ihren Wert behalten, und im Vergleich zu anderen Ländern legen gerade deutsche Unternehmen noch immer einen hohen Wert auf formelle Abschlüsse und Qualifikationen. Das betrifft längst nicht nur Schul- und Hochschulabschlüsse. Wer berufsbegleitend erworbene Weiterbildungen und Zertifizierungen nachweisen kann, punktet damit auch über reine Formulierungskünste hinaus, denn sie signalisieren nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch die Bereitschaft zur kontinuierlichen persönlichen Weiterentwicklung – das Thema KI-Kompetenz ist hier das beste Beispiel.

Wie in vielen Bereichen des modernen Arbeitslebens kommt es heute auch bei Bewerbungen auf das richtige Zusammenspiel von Mensch und Maschine an. KI kann ein hilfreiches Instrument sein, doch ihr verantwortungsvoller Einsatz erfordert sorgfältige Bearbeitung, menschliches Urteilsvermögen, Ehrlichkeit und den Fokus auf die einzigartige eigene Persönlichkeit und die eigenen Fähigkeiten. Bewerber, die dies beachten, tun nicht nur Personalverantwortlichen, sondern vor allem sich selbst einen großen Gefallen.

Über den Autor:
Andre Bechtold ist Senior Vice President und Head of Solution & Innovation Experience bei SAP. In dieser Funktion ist er dafür verantwortlich, Kunden, Partnern und Mitarbeitern Lern- und Schulungsangebote zu Produkten und Lösungen bereitzustellen. Er verantwortet die Lern-, Trainings- und Kunden-Demos bei SAP sowie die SAP Experience Center.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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