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VMware-Exit: Wie Kunden aus der Lizenzfalle kommen
Die Broadcom-Übernahme zwingt Unternehmen zum Handeln. AWS positioniert sich mit neuen Diensten als attraktive Alternative – doch der Weg dorthin will gut geplant sein.
Die Übernahme von VMware durch Broadcom hat die Virtualisierungslandschaft fundamental verändert. Mit Preiserhöhungen von teilweise 300 bis über 1.000 Prozent, dem Ende von Dauerlizenzen (Perpetual-Lizenzen) und einem Mindestbezug von 72 Cores stehen viele Unternehmen vor einer strategischen Grundsatzentscheidung: Weiter mit VMware – oder den Weg in alternative Infrastrukturen suchen?
Auf der re:Invent 2025 hat Amazon Web Services (AWS) eine Antwort formuliert: Man will VMware-Kunden eine Heimat bieten – und zwar mit mehreren Migrationspfaden, die unterschiedliche Transformationsgrade ermöglichen.
Die Ausgangslage: Warum VMware-Kunden handeln müssen
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut einer Umfrage von Gartner suchen 73 Prozent der befragten Unternehmen nach Alternativen zu ihren bestehenden VMware-Umgebungen. Gleichzeitig prognostizieren die Analysten, dass 95 Prozent neuer Workloads künftig Cloud-nativ entwickelt werden. Broadcom hat mit seiner Lizenzpolitik – Umstellung auf Subscription-only, Core-basierte Abrechnung, Wegfall von Partnerrabatten – den Druck erhöht.
Für deutsche Unternehmen kommt erschwerend hinzu, dass europäische Cloud-Provider bereits Wettbewerbsbeschwerden eingereicht haben. Die European Cloud Competition Observatory (ECCO) berichtet (PDF) von Preiserhöhungen um den Faktor acht bis fünfzehn und unfairen Lizenzpraktiken. Ein niederländisches Gericht hat Broadcom kürzlich verpflichtet, einer Regierungsbehörde Migrations-Support zu gewähren – ein Präzedenzfall, der die Spannung im Markt verdeutlicht.
AWS-Migrationspfade im Überblick
AWS bietet keine Einheitslösung, sondern ein abgestuftes Portfolio für unterschiedliche Anforderungen. Die Kunst liegt darin, den richtigen Pfad für die jeweilige Workload-Charakteristik zu wählen.
Amazon Elastic VMware Service (EVS): Die Brücke für VCF-Umgebungen
Mit dem im August 2025 allgemein verfügbar gewordenen Amazon Elastic VMware Service (EVS) adressiert AWS Kunden, die ihre Investitionen in VMware Cloud Foundation (VCF) erhalten wollen. Der Dienst ermöglicht den Betrieb von VCF 5.2.1 direkt innerhalb der eigenen Amazon Virtual Private Cloud (VPC) auf i4i.metal Bare-Metal-Instanzen.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Bestehende VMware-Skills bleiben nutzbar, IP-Adressen können beibehalten werden, und operative Runbooks müssen nicht umgeschrieben werden. Mit Infrastrukturkosten, die laut AWS etwa 46 Prozent unter dem bisherigen VMware-Cloud-on-AWS-Angebot liegen, positioniert sich EVS als kosteneffiziente Alternative. Die VCF-Lizenz muss der Kunde selbst mitbringen. Verfügbar ist der Dienst aktuell in sechs Regionen, darunter Frankfurt und Irland – für deutsche Unternehmen ein wichtiger Aspekt.
Allerdings handelt es sich um einen selbstverwalteten Service: Unternehmen behalten die volle administrative Kontrolle, tragen aber auch die Verantwortung für Patching und Betrieb. Zudem ist für EVS ein AWS Business Support Plan (oder höher) verpflichtend. Wer Managed Services bevorzugt, kann auf AWS-Partner zurückgreifen, die entsprechende Angebote auf EVS-Basis aufbauen.
AWS Transform: KI-gestützte Migration
Ein Game Changer kann AWS Transform für VMware werden, der laut AWS erste agentenbasierte KI-Service für die Modernisierung von VMware-Workloads. Der ursprünglich auf der re:Invent 2024 vorgestellte und inzwischen allgemein verfügbare Dienst automatisiert den gesamten Migrationszyklus: von der Discovery über Dependency-Mapping bis zur Netzwerkübersetzung und EC2-Optimierung.
Die Zahlen aus AWS-Tests sind vielversprechend: Migrationswellenpläne für 500 virtuelle Maschinen (VM) wurden in 15 Minuten erstellt, Netzwerkübersetzungen erfolgten bis zu 80-mal schneller als mit herkömmlichen Methoden. Partner berichten von Zeitersparnissen bis zu 90 Prozent. Entscheidend ist der Human-in-the-Loop-Ansatz: Alle generierten Artefakte werden vor der Ausführung validiert, was das Risiko ungewollter Änderungen minimiert.
Rehosting auf EC2: Der pragmatische Lift and Shift
Für Unternehmen, die schnell aus VMware-Lizenzverpflichtungen aussteigen möchten, bietet sich das direkte Rehosting auf Amazon EC2 an. Mit dem AWS Application Migration Service (MGN) können VMs mit minimalen Änderungen auf EC2-Instanzen migriert werden. Dieser Ansatz eignet sich besonders für Workloads, bei denen eine tiefgreifende Modernisierung zunächst nicht erforderlich oder wirtschaftlich nicht sinnvoll ist.
Der Vorteil: Schnelle Time-to-Cloud bei geringem Risiko. Der Nachteil: Ineffiziente On-Premises-Architekturen werden einfach in die Cloud übernommen. Unternehmen sollten Rehosting daher als Zwischenschritt betrachten – als Basis für eine spätere schrittweise Modernisierung.
Containerisierung und Cloud-Native: Der Transformationspfad
Wer die Migration als Gelegenheit zur echten Modernisierung nutzen will, findet in Amazon Elastic Container Service (ECS) und Elastic Kubernetes Service (EKS) leistungsfähige Containerplattformen. Der Übergang von VMs zu Containern erfordert zwar mehr Aufwand, ermöglicht aber langfristig höhere Agilität, bessere Skalierbarkeit und potenziell niedrigere Betriebskosten.
Für Datenbank-Workloads bietet sich das Replatforming auf Amazon Relational Database Service (RDS) an, für Dateiserver Amazon FSx. Wer den kompletten Sprung wagen will, kann mit AWS Lambda und Serverless-Architekturen eine vollständige Refaktorierung anstreben. Hier ist allerdings Realismus gefragt: Gartner schätzt, dass große VMware-Migrationen 18 bis 48 Monate dauern können, mit Kosten zwischen 300 und 3.000 US-Dollar pro VM.
Das Ökosystem: Cohesity, Veeam und Pure Storage als Enabler
Eine Migration zu AWS bedeutet nicht, auf bewährte Enterprise-Tools verzichten zu müssen. Auf der AWS re:Invent zeigten mehrere Hersteller, wie sie VMware-Kunden auf ihrem Weg in die Cloud begleiten.
Cohesity: Datensicherung über Infrastrukturgrenzen hinweg
Cohesity positioniert sich als Anbieter von Cyberresilienz für hybride VMware-Umgebungen. Mit DataProtect as a Service können Unternehmen VMware-Workloads sowohl On-Premises als auch in VMware Cloud on AWS, Azure VMware Solution und Google Cloud VMware Engine sichern. Die kürzlich angekündigte Unterstützung für vSphere 9.0 zeigt, dass Cohesity auch nach der Broadcom-Übernahme an der VMware-Integration festhält.
Für Migrationsszenarien besonders interessant: Die CloudSpin-Funktion ermöglicht das automatische Replizieren, Konvertieren und Hochfahren von On-Premises-VMs als EC2-Instanzen – eine Brücke zwischen VMware-Welt und AWS.
Veeam: Backup als Migrationsvehikel
Veeam Backup & Replication hat sich als De-facto-Standard für VMware-Datensicherung etabliert. Mit Veeam Cloud Mobility können Backups direkt auf AWS, Microsoft Azure oder Azure Stack wiederhergestellt werden – unabhängig davon, ob es sich um VMware-, Hyper-V- oder physische Workloads handelt. Diese Plattformunabhängigkeit macht Veeam zu einem strategischen Asset für Migrationsvorhaben.
Die Direct-Restore-Funktionalität vereinfacht den Weg in die Public Cloud erheblich. Gleichzeitig unterstützt Veeam mit Instant VM Recovery die schnelle Wiederherstellung von VMs aus Backups – ein wichtiger Aspekt für Disaster-Recovery-Szenarien während und nach der Migration.
Pure Storage: Enterprise-Storage für EVS
Pure Storage hat mit der Unterstützung für Amazon EVS einen wichtigen Meilenstein erreicht. Pure Cloud Block Store ermöglicht es EVS-Kunden, die gleichen Enterprise-Storage-Funktionen zu nutzen, die sie aus dem eigenen Rechenzentrum kennen: unveränderliche Snapshots, Replikation und SafeMode-Ransomware-Schutz.
Die Unterstützung für NVMe-oF/TCP statt nur iSCSI reduziert den CPU-Overhead auf EVS-Hosts erheblich. Laut Pure Storage können Kunden mit der Kombination aus EVS und Pure Cloud Block Store bis zu 50 Prozent beim TCO einsparen – ein starkes Argument für storage-intensive Workloads. Über den AWS Marketplace ist Pure Cloud Block Store direkt verfügbar, was die Beschaffung vereinfacht.
Strategische Handlungsempfehlungen
Die Entscheidung für einen Migrationspfad sollte nicht von Panik getrieben sein, sondern von einer nüchternen Analyse der Workload-Charakteristika, Geschäftsanforderungen und verfügbaren Ressourcen:
- Inventory erstellen. Nutzen Sie Tools wie AWS Migration Hub oder die Discovery-Funktionen von AWS Transform, um einen vollständigen Überblick über Ihre VMware-Landschaft zu gewinnen. Welche Workloads sind geschäftskritisch? Welche haben komplexe Abhängigkeiten? Welche sind Kandidaten für eine Stilllegung?
- Kosten modellieren. Vergleichen Sie die Total Cost of Ownership für verschiedene Szenarien. Das kostenlose AWS Optimization and Licensing Assessment (OLA) kann dabei unterstützen, Einsparpotenziale zu identifizieren. Berücksichtigen Sie dabei nicht nur Lizenz- und Infrastrukturkosten, sondern auch Migrationsaufwände und Schulungsbedarf.
- Schrittweise vorgehen. Eine Big-Bang-Migration ist selten der richtige Ansatz. Beginnen Sie mit weniger kritischen Workloads, sammeln Sie Erfahrungen, und skalieren Sie dann. Amazon EVS eignet sich hervorragend als Brückentechnologie, die VMware-Kontinuität bietet, während parallel Modernisierungsvorhaben vorangetrieben werden.
- Partner einbinden. Die Komplexität von VMware-Migrationen sollte nicht unterschätzt werden. AWS Migration Competency Partner verfügen über spezialisiertes Know-how und können Zugang zu MAP-Credits (Migration Acceleration Program) ermöglichen, die einen erheblichen Teil der Migrationskosten abdecken können.
Fazit: Die Cloud als Ausweg aus der Lizenzfalle
Die Broadcom-Übernahme hat VMware-Kunden in eine schwierige Lage gebracht. AWS bietet mit seinem Portfolio aus EVS, Transform, MGN und nativen Cloud-Diensten jedoch realistische Auswege. Die Kunst liegt darin, den richtigen Mix aus Kontinuität und Transformation zu finden.
Für Unternehmen, die kurzfristig aus VMware-Verträgen aussteigen müssen, bietet Amazon EVS eine schnelle Lösung bei erhaltenen VMware-Skills. Wer langfristig denkt, sollte die Migration als Chance zur Modernisierung begreifen. Mit AWS Transform steht erstmals ein KI-gestütztes Werkzeug zur Verfügung, das diese Transformation erheblich beschleunigen kann.
Eines ist klar: Abwarten ist keine Option mehr. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie und wann VMware-Kunden ihre Infrastrukturstrategie neu ausrichten. AWS hat sich in Position gebracht, um diese Transformation zu unterstützen – nun liegt es an den Unternehmen, die Gelegenheit zu nutzen.