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Fünf Tipps für die Zusammenarbeit in digitalen Supply Chains

Jedes zweite deutsche Industrieunternehmen kämpft derzeit mit Lieferengpässen. Sie können dem entgegenwirken, indem sie ihre Lieferkette mit digitalen Tools effizienter gestalten.

Die Bestellungen trudeln ein, die Mikrochips nicht – und Schuld daran ist ein einziges, auf Sand gelaufenes Containerschiff. Als die 400 Meter lange Ever Given Ende März 2021 im Suezkanal feststeckte, war der wirtschaftlich bedeutende Wasserweg zwischen Asien und Europa sechs Tage lang blockiert – ein unvorhersehbares Ereignis, das einmal mehr klar machte, wie störanfällig globale Lieferketten sind. Nicht nur die Automobilindustrie wartet seither auf neue Halbleiter für die Produktion. Hinter dem Schiff stauten sich 400 Frachter mit über 25 Mio. Tonnen Waren, der Schaden liegt im dreistelligen Millionenbereich.

Auf derartige Vorfälle haben Unternehmen keinen Einfluss – egal, ob die Ursache in Napoli oder Nepal, dem Suezkanal oder der Alster liegt, ob verstopfte Verkehrsadern oder Coronaviren die Wertschöpfung lahmlegen. Doch sie können sich gegen Krisen wie diese wappnen – mit einer digitalisierten Lieferkette.

Eine globale Studie von SAP und Oxford Economics unter Procurement-Verantwortlichen aus 1.000 Unternehmen zeigt: Vorreiter, die digitale Tools und Daten für den Aufbau robuster Lieferantenbeziehungen nutzen, haben einen Wettbewerbsvorteil auf dem Weg zum Procurement 3.0 – also dem Aufbau eines tool-gestützten Beschaffungsprozesses, der die Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern und Lieferanten auf ein neues Level hebt. Wie aber lässt sich eine traditionelle Lieferkette mit digitaler Unterstützung optimieren? Eine Anleitung in fünf Schritten:

1. Digitalisieren und zentralisieren Sie Ihre Daten

Die Vereinheitlichung aller relevanten Daten und die Abbildung aller Kernprozesse von Anfang bis Ende in einem ERP-System beziehungsweise einer einzigen integrierten Cloud-Plattform schafft Transparenz. Dynamische Marktplätze ermöglichen statt der bisher eher losen Zusammenarbeit an den Schnittstellen der Prozesskette eine echte Kooperation. Die digitale Abwicklung der Transaktionen spart Papier und damit vor allem manuellen Aufwand ein, automatische Checks verbessern die Qualität und letztendlich die Compliance von Bestellungen und Rechnungen. Zusätzlich können Einkäufer und Lieferanten durch die engere Vernetzung Probleme wie Lieferengpässe oder Bestandsknappheiten wesentlich schneller erkennen und entsprechend darauf reagieren – zum Beispiel durch eingebautes Messaging und kontextgetriebene Chat-Funktionen.

Der direkte Austausch vertieft die Beziehungen, das Verständnis für die anderen Bereiche wächst. Dadurch können Risiken frühzeitig identifiziert und gemeinsam innovative Lösungen entwickelt werden – Zeit dafür ist nun vorhanden, denn um Routineaufgaben und Workflows beim Vertrags- oder Rechnungsmanagement kümmern sich intelligente Assistenten, die auf eine zentrale Datenbank zugreifen und unter anderem Dokumente auf landesspezifische Regelungen und Compliance-Konformität überprüfen.

2. Setzen Sie auf agile Zusammenarbeit

Agile Methoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking werden immer populärer. Der Grund: Unternehmen versprechen sich so mehr Handlungsfähigkeit angesichts sich rasch verändernder Kundenwünsche und immer kürzer werdender Produktlebenszyklen. Selbstorganisierte Scrum-Teams sollen interdisziplinär und in kurzen Zyklen (Sprints) zusammenarbeiten, um innovative, kundenzentrierte Produkte schneller auf den Markt zu bringen.Das stellt allerdings auch die Beschaffung vor neue Herausforderungen – um dem entgegenzuwirken, sollten Unternehmen den Einkauf als zentralen Bestandteil in agile Planungsprozesse mit einbeziehen. 

Für wirklich agiles Handeln reicht das aber noch nicht aus: Die Digitalisierung der Procurement-Prozesse sollte dazu führen, dass Lieferantenbeziehungen selbst agil werden. Voraussetzung dafür: Die Zusammenführung und Vereinheitlichung der Prozesse, damit Stakeholder und Partner an einem gemeinsamen Plan arbeiten können. Technologien wie Robotic Process Automation (RPA), künstliche Intelligenz (KI) oder Blockchain helfen dabei, Daten zu sammeln, zu speichern und weiterzuverarbeiten. Die gewonnene Transparenz macht es möglich, mehrstufige Lieferketten zu verwalten und Inventar zu reduzieren.

Auch die Beziehung zu den Lieferanten selbst lässt sich durch moderne Lösungen für Experience-Management analysieren und verbessern. Einblicke in die Zufriedenheit der Lieferanten und kontinuierliche Feedbackschleifen zu zentralen Prozessen verbessern auch die kritischen Beziehungen und steigern so das Vertrauen und die Motivation der Beteiligten. Doch Agilität erfordert mehr als Digitalisierung und den damit verbundenen Abschied von Papier und unflexiblen Tools: Der Schlüssel zur erfolgreichen Optimierung der Lieferkette ist auch das Mindset aller Beteiligten, also die Bereitschaft, an einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess mitzuwirken und Vertrauen zu schenken – den Methoden, den Tools und nicht zuletzt den Daten.

3. Verschlanken Sie Ihre Lieferkette

Komplexe Wertschöpfungsketten erschweren agiles Procurement. Also entflechten Sie das Durcheinander. Eine einheitliche Datenstruktur bringt Transparenz und macht deutlich, an welchen Punkten der Supply Chain Unternehmen Zeit und Geld sparen können: Etwa, indem sie im Direkteinkauf Sub- oder Vorlieferanten in die Verhandlungen einbeziehen, auf Zwischenhändler verzichten oder Verträge mit den größten Lieferanten auf Basis der homogenen Daten neu verhandeln. Redundanzen und weniger wertschöpfende Tätigkeiten sind auf diese Weise schnell identifiziert und abgestellt.

Auch hier tragen lernende Maschinen und intelligente Assistenten zur nachhaltigen und fortwährenden Optimierung der Lieferkette bei, weil sie bei Bedarf alternative Lieferquellen rund um den Globus in Sekundenschnelle identifizieren. Statt linearer Beziehungen stehen Unternehmen heute globale dynamische Marktplätze wie das Ariba Network zur Verfügung. Das hat nicht nur positiven Einfluss auf die Qualität der Zusammenarbeit und der Partnerschaften, sondern hilft Unternehmen dabei, viele weitere Herausforderungen schneller zu bewältigen. So können Unternehmen einfach alternative Lieferanten finden und neue Geschäftsbeziehungen aufbauen, um die Abhängigkeit von einigen wenigen Zulieferern zu verringern.

4. Nutzen Sie künstliche Intelligenz und Predictive Analytics

Strukturierte Daten sind für den Weg zum digitalen Beschaffungsmanagement unerlässlich. In einem ERP-System beziehungsweise einer gemeinsam genutzten Cloud-Plattform laufen sie aus unterschiedlichen Quellen und in verschiedener Form zusammen: zum Beispiel als Word-Datei, PDF, Foto oder via IoT-Gerät gesendet. Künstliche Intelligenz macht es nicht nur leichter, diese Daten zu erfassen, zu vereinheitlichen und zu verwalten. Sie unterstützt auch bei der automatisierten Rechnungslegung oder dem Vertragsmanagement und liefert Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen in Echtzeit. So können Einkäufer und Lieferanten gemeinsam Verträge bearbeiten, das System schickt Erinnerungen bei anstehenden Vertragsverlängerungen. Fehler bei Bestellungen oder Rechnungen können durch die Hinterlegung von so genannten Business Rules vermieden werden, was die Compliance weiter erhöht.

Selbst die Zukunft lässt sich anhand von Datenmodellierung in gewissem Maße voraussehen. Predictive Analytics arbeitet mit lernenden Algorithmen, die interne und externe Daten auswerten und darin Muster erkennen. Anhand dieser Muster lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf aufkommende Trends und globale Marktentwicklungen ziehen: Wer weiß, welche Veränderungen zu erwarten sind, kann sich besser darauf einstellen.

Ellen Förster, SAP

„Eine einheitliche Datenstruktur bringt Transparenz und macht deutlich, an welchen Punkten der Supply Chain Unternehmen Zeit und Geld sparen können.“

Ellen Förster, SAP

Datenanalysen bieten also eine wichtige Informations- und Entscheidungsgrundlage und steigern die Effizienz – ob bei der Voraussage von Lieferengpässen, der Bedarfsprognose oder der Wartung von Maschinen im Rahmen der Predictive Maintenance. Dies bestätigen die Teilnehmer der Studie Agile Procurement Insights Research von SAP und Oxford Economics, die bereits auf KI setzen. Durch die Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse können sich Mitarbeiter im Beschaffungswesen strategischeren Aufgaben widmen, was für einen Wandel essenziell ist – um hier mitzuspielen, braucht es nämlich nicht nur die passende Software und das passende Mindset, sondern auch die Zeit, um Änderungen umzusetzen und nicht zuletzt das fachliche Know-how.

5. Managen Sie Ihr Wissen

Eine einheitliche, gemeinschaftlich genutzte E-Procurement-Software macht Daten nicht nur transparent und verbessert die Zusammenarbeit mit Lieferanten, sie hilft auch, Silodenken zwischen Abteilungen zu überwinden. Durch die Automatisierung manueller Prozesse und die Sichtbarmachung aller Abläufe entfällt so mögliches Konfliktpotenzial.

Zusätzlich können neben Informationen wie dem Überblick über Lagerbestände, Warengruppen, Verträgen oder Lieferantenterminen auch externe Wissensquellen und Projektberichte verwaltet werden. Durch die zentrale Dokumentation von Best Practices, beispielsweise in Bereichen wie Datensicherheit und Materialqualität, geht wertvolles Wissen nicht mehr verloren, sondern kann zur weiteren Optimierung von Prozessen entlang der gesamten Supply Chain beitragen. Dank der so geschaffenen Transparenz können Unternehmen auf historische Daten und wertvolle Learnings zurückgreifen – und das kann beim nächsten Schiffsunglück der rettende Anker sein.

Über den Autor:

Ellen Förster ist General Manager, SAP Intelligent Spend & Business Network Middle & Eastern Europe. Mit mehr als sieben Jahren Vertriebserfahrung in verschiedenen Führungspositionen im IT-Sektor, liegt Ellen Försters Fokus als Leiterin des Intelligent Spend & Business Network Teams in Mittel- und Osteuropa vor allem auf dem Vorantreiben der Digitalen Transformation der SAP-Kunden durch die Verknüpfung von digitalem Wissen mit Geschäftsprozessen im Einkauf.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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