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Quantencomputer: Realität und Fiktion auf dem Prüfstand

Quanten-Computing ist der Hoffnungsträger der IT-Branche. Oft ist es schwer abzuschätzen, welche Erwartungen realistisch sind – und welche nur Träumerei. Wir haben nachgefragt

Quanten-Computing ist derzeit auf dem Weg, den Kinderschuhen zu entwachsen – doch wohin die Reise geht, ist noch nicht ganz eindeutig. Wir haben mit Jan Wender, Consultant für Big Data, HPC and Quantum bei Atos darüber gesprochen, wie er die Lage beurteilt, welche Einsatzszenarien in greifbare Nähe gerückt sind und wie Quantencomputer sich in Zukunft in die IT-Landschaft einfügen werden.

Simulationsplattformen – wozu brauchen wir Quanten-Computing auf Probe?

Der Zugang zu echten Qbits ist derzeit eher beschränkt. Über Cloud-Dienste von Azure und AWS sowie Forschungsinstitute, wie Fraunhofer, haben Nutzer zwar schon jetzt Zugang zu Quantencomputern, aber von einer regelmäßigen Nutzung sind wir noch weit entfernt – geschweige denn vom eigenen Quantencomputer im Rechenzentrum, auf dem Unternehmen ihre Algorithmen verfeinern können, ohne dass der Anbieter ihnen dabei über die Schulter schaut.

Derzeit ist der Einsatz von Simulationen zum Erlernen und Testen des Quanten-Computings eine wesentlich praktikablere Vorgehensweise. Das ist bei den genannten Cloud-Plattformen möglich und besonders bei Unternehmen eine beliebte Wahl. Es gibt jedoch auch eine Hardware-Appliance namens Quantum Learning Machine (QLM) von Atos, die sich verhält, wie ein echter Quantencomputer – und im Gegensatz zu den Cloud-Angeboten sogar Quantenrauschen nachbilden kann.

Jan Wender, Atos

„Simulationen werden selbst, wenn Unternehmen Zugang zum eigenen Quantencomputer haben, noch ein wichtige Rolle spielen. Sie werden als Entwicklungsumgebung dienen, um das Programm zu prüfen, bevor es auf dem Quantencomputer läuft.“

Jan Wender, Atos

Technisch ist das eine Herausforderung, denn Quantencomputer und klassische Computer unterscheiden sich in der Architektur grundlegend. „Während im Quantencomputer ein Qbit die Superposition von 1 und 0 abbildet, muss ein klassischer Computer für jedes davon zwei verschiedene Speicherstellen bereithalten – für eine Simulation benötigt man also bei n Qbits 2n Hauptspeicher, auf den der Prozessor laufend zugreifen muss.“, sagt Jan Wender. Die Hardware muss also für aufwendigere Simulationen, an ihre ungewöhnliche Aufgabe angepasst werden.

In der QLM befindet sich eine weiterentwickelte Version der Bull Sequana S-Machine; diese ist x86-basiert und besteht aus bis zu 16 CPU-Modulen mit jeweils zwei Sockeln. Diese CPUs können direkt über den Inter-CPU-Bus untereinander kommunizieren und auf den Hauptspeicher zugreifen. Atos gibt an, dass sich dadurch Quantencomputer mit bis zu 41 Qbits simulieren lassen.

Solche Simulationen sind dazu gedacht, für Quantencomputer programmierte Berechnungen zu testen und generell zu lernen, wie man mit der Technologie interagiert. Sie sind weniger geeignet, um Quantenberechnungen wirklich durchzuführen. Heißt das, sie werden überflüssig, sobald physische Qbits fürs eigene Rechenzentrum verfügbar sind?

„Simulationen werden selbst, wenn Unternehmen Zugang zum eigenen Quantencomputer haben, noch ein wichtige Rolle spielen.“, sagt Jan Wender. „Sie werden als Entwicklungsumgebung dienen, um das Programm zu prüfen, bevor es auf dem Quantencomputer läuft.“ Die eigentliche Berechnung auf den physischen Qbits würde dann erst erfolgen, nachdem der Code getestet wurde – auch, weil sich in der Anfangszeit mehrere Mitarbeiter einen Quantencomputer teilen werden.

Atos arbeitet daher derzeit daran, dass das Frontend der Simulationsmaschine bald den Wechsel zwischen simulierten und echten Qbits ermöglicht – Nutzer könnten dann ihren getesteten Code an einen richtigen Quantencomputer übergeben, ohne die Plattform zu wechseln.

Wann wird der eigene Quantencomputer eine realistische Option?

Jan Wender gab im Gespräch mit uns an, dass Atos plant, bis zum Jahr 2023 physische Qbits – also Quantencomputer als Hardware zum Kauf anzubieten. Dafür sei man mit verschiedenen Hardwarepartnern im Gespräch.

Ein Unternehmen, das sich gegenwärtig am Markt für Quantencomputer in Stellung bringt, ist IQM, ein finnisches Startup das am ersten Supraleiter-System mit 50 Qbit arbeitet.

AQT in Österreich hingegen hat im Juni ein Paper veröffentlicht, in dem das Unternehmen demonstriert, dass ihre 24 Qbits in zwei 19-Zoll-Racks passen würden – und somit in ein normales Rechenzentrum. Würde die technische Herausforderung bei der Verschränkung bewältigt, wären es sogar 50.

Systeme mit Supraleitung, wie der Quantencomputer von IQM – aber auch der, den IBM im Sommer 2021vorgestellt hat und auf den Nutzer Zugang über Fraunhofer erhalten, sind bei der Infrastruktur sehr anspruchsvoll, da sie einen mehrstufigen Kühlprozess benötigen. Durch ein Vermischen von Helium 3 und Helium 4 wird das System auf 10 Millikelvin heruntergekühlt. Das bringt neben dem Platzbedarf noch weitere Herausforderungen mit sich – so ist nicht nur Helium 3 als Nebenprodukt der Atomwaffen- und Kernenergieindustrie knapp und schwer zu beschaffen, sondern die Quantencomputer sind zudem extrem sensibel im Hinblick auf Vibrationen.

IBMs ursprünglicher Standort in Deutschland etwa eignete sich nicht für den Bau von Q System One, weil er sich in der Nähe einer Autobahn befand, deren Vibrationen das System stören würden. Die Konsequenz: Der Bau eines neuen Datencenters in Ehningen.

Wenigstens sind Quantencomputer trotz der aufwendigen Kühlung keine Energiefresser: Q System One liegt laut IBM bei 10 Kilowattstunden und die Racks von AQT benötigen 3,7. Jan Wender gibt jedoch zu bedenken, dass Quantencomputer im Moment eine sehr geringe Chipdichte und deshalb eine niedrige Leistungsaufnahme aufweisen.

Auch das Konjunkturprogramm der Bundesregierung könnte dazu beitragen, dass Quanten-Computing im eigenen Rechenzentrum alsbald Realität wird: „Nach der Ankündigung im Sommer 2020 kam das Paket erst einmal ins Stocken, aber im Juni 2021 haben wir uns auf die erste Förderrunde beworben.“, sagt Jan Wender. „Betrachtet man die Ankündigungen der Hardwareentwickler, sieht es allerdings so aus, als könnten sie die vom BMBF veranschlagten 24 Qbits in zwei Jahren um mehr als das Doppelte übertreffen.“

Sorgen bereitet ihm hingegen der Nachwuchsmangel. „IT-Fachkräfte bekommt man, wenn man sich bemüht, am Ende irgendwie – der Markt für Quanten-Computing-Experten ist jedoch leergefegt.“

Anwendungsszenarien für Quanten-Computing

Wenn ein Unternehmen nun Zugang zu einem Quantencomputer – und geschulten Mitarbeitern – hat, was sind dann die geeigneten Anwendungsfälle? Die Antwort ist gar nicht so einfach.

Jan Wender sieht die vorrangigen Einsatzbereiche vor allem in der Chemie und in der Fertigung. So gehört Proteinfaltung in der Biochemie zu den Paradebeispielen – denn hier sind ohnehin selbst Quanteneffekte am Werk. Daneben lassen sich weitere hyperkomplexe Probleme lösen, zum Beispiel beim Erstellen von Zeitplänen oder Optimieren von Fertigungsprozessen.

Doch auch hier wird man nie ohne klassisches High-Perfomance-Computing (HPC) auskommen: „Wir sehen in der Komplexitätstheorie, dass nicht alle Probleme, die sich von einem handelsüblichen Computer lösen lassen, sich mit Quanten-Computing besser lösen ließen.“, erklärt Herr Wender. Bei den Optimierungsproblemen wird ein Teil der Berechnung auf dem klassischen Computer ausgeführt; der Quantencomputer ist nur ein Schritt des Gesamtprozesses, der auf einer HPC-Infrastruktur zu lange dauern würde.

Außerdem müsste überall, wo die grundlegenden Eckpunkte einer Berechnung sich laufend ändern – zum Beispiel beim Berechnen von Routen – ein gewöhnlicher Computer die Informationen aufarbeiten und anpassen, um neue Daten in den Quantencomputer einzuspeisen. Solche Konzepte lassen sich mit dem derzeitigen Stand der Hardware noch nicht umsetzen.

Probleme, bei denen es darum geht, möglichst kurze Wege zu finden, gibt es aber auch in der Fertigung. Hier reichen einige wenige Berechnungen aus, um viel Zeit, Ressourcen und Energie zu sparen. Gerade im Bereich der Effizienzverbesserung wird das Quanten-Computing viele Vorteile bringen – und sich damit irgendwann für mittelgroße fertigende Betriebe lohnen – und nicht nur für die großen Player auf dem Markt.

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