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Kältemittel stellen Rechenzentren vor ein Dilemma

Verdunstende synthetische Kältemittel tragen zu einer schlechten Klimabilanz von Rechenzentren bei. Doch die Alternativen sind mit ihren eigenen Herausforderungen verbunden.

In den Neunzigern war das FCKW in Kühlgeräten – seien es Klimaanlagen oder Kühlschränke – eines der drückendsten Umweltthemen. Seitdem hat sich an dieser Front viel getan. Durch ein weitgehendes Verbot konnte tatsächlich das Ozonloch erheblich reduziert werden. Heute steht hingegen der Klimawandel im Vordergrund der Umweltdebatte und in diesem Zusammenhang häufig der Energiebedarf von Rechenzentren.

Doch nicht nur die indirekten Emissionen aus der Stromerzeugung, auch die neueren Kältemittel in den Kühlgeräten von Rechenzentren sind klimaschädlich. Wir haben mit Thomas Rabensteiner, der bei Prior1 als Planer für die Klimatechnik in Rechenzentren zuständig ist, über das Problem gesprochen.

Kältemittel und ihre Folgen für das Klima

Die Kältemittel, die heute in vielen Klimaanlagen statt FCKW zum Einsatz kommen sind die sogenannten HFKW- oder FKW-Kältemittel. Da sie kein Chlor enthalten, schädigen sie nicht die Ozonschicht, doch zur Erderwärmung tragen sie immer noch bei. Das derzeit gängige Kältemittel R134a hat beispielsweise einen GWP von 1.430 und verursacht somit bei Freisetzung in die Atmosphäre durch Herstellung, Wartung, Betrieb und Entsorgung einen 1.430 Mal so starken Treibhauseffekt wie CO2. In der Regel verzeichnen Klimaanlagen zwar derzeit durch ihren Strombedarf höhere indirekte Emissionen, als direkte durch austretende Kältemittel, doch mit der Zunahme regenerativer Energien könnte sich das alsbald ändern.

Dieses Problem ist technisch unvermeidbar – um die fünf Prozent des Kältemittels treten im Jahr aus einer Klimaanlage durch Wartung oder Leckagen aus. Das gilt bei Umluftkühlungsanlagen ebenso, wie bei der Flüssigkühlung (beispielsweise der Immersionskühlung). Letztere ist nur insofern von Vorteil, da sie eine effizientere Kühlung ermöglicht sowie eine bessere Nutzung der Abwärme, so dass insgesamt weniger Kühlleistung erforderlich ist. Auch eine adiabatische Kühlung kann ergänzend den Bedarf an Kühlleistung aus den Klimageräten senken. Dennoch bleibt es dabei: überall, wo keine freie Kühlung möglich ist, müssen Kältemittel im Einsatz sein.

EU-Richtlinien und ihre Folgen

Das soeben geschilderte Problem ist schon seit längerem bekannt. Das Umweltbundesamt hat in einer Studie 2004 geschätzt, dass 1,3 Prozent des Treibhauseffekts weltweit durch F-Gase hervorgerufen werden mit stark steigender Tendenz. Aus diesem Grund wurde 2016 mit der Kigali-Änderung in den Montrealer Protokollen eine Reduktion dieser Gase in der Kühlung beschlossen, die seit 2019 in den Industrienationen angelaufen ist. In Europa regelt dies seit 2015 die sogenannte F-Gase-Verordnung. Sie versucht, die Reduktion durch Verbote, Verknappung und Verteuerung zu erreichen. Das hat dazu geführt, dass zum einen ein blühender Schwarzhandel mit Kühlmitteln aufgekommen ist, zum andern sehen Betreiber sich nach Alternativen um. So ist das vom Gesetzgeber schließlich auch gewünscht – leider gibt es aber einige technische und rechtliche Hürden, die diesen Weg erschweren.

Thomas Rabensteiner, Prior1

„Bei der Planung eines Rechenzentrums sind viele Faktoren miteinander verzahnt. Je anspruchsvoller die Planung der Kühlung ist, desto schwieriger ist das normenkonforme Zusammenstellen der anderen Komponenten der Anlage.“

Thomas Rabensteiner, Prior1

Bereits vor den FCKW-Kältemitteln gab es chlor- und halogenfreie Kältemittel, beispielsweise Ammoniak, Dimethylether, CO2 und Propan – sowie unter bestimmten technischen Voraussetzungen auch Wasser. Diese Kältemittel haben einen GWP unter 10 und schädigen auch nicht die Ozonschicht, doch sie bringen ein anderes Problem mit: sie sind toxisch, brennbar, oder technisch schwer umzusetzen. CO2 hat beispielsweise einige der genannten Probleme nicht, muss aber unter hohem Druck gehalten werden. Aus diesem Grund wurden sie auch ursprünglich von HFCKW, HFKW und FCKW ersetzt, die daher auch als Sicherheitskältemittel bezeichnet werden. Beim Einsatz alternativer Kältemittel müssen Klimaanlagen umfangreicheren Sicherheitsauflagen genügen, um Sach- und Personenschäden zu vermeiden. Das ist teuer und kompliziert. Um die hohen Preise für FKW-Kältemittel zu vermeiden und Umweltsiegel wie den Blauen Engel zu erhalten, interessieren sich trotz alledem Rechenzentrumsplaner wieder für diese älteren Kältemittellösungen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle fördert zudem den Umbau von gewerblichen Anlagen.

„Ich bin ein großer CO2-Fan, aber auch Ammoniak und Wasser sehe ich im Kommen.“, sagt Thomas Rabensteiner. Seine beiden Favoriten haben einige Einschränkungen. CO2 und Wasser sind zwar bei den Umgebungstemperaturen in Deutschland fast das ganze Jahr über sehr effizient, während der heißen Sommertage wird die Umsetzung jedoch etwas schwieriger – auch Wasser eignet sich nur situativ. Und der ebenfalls sehr effiziente und nicht brennbare Ammoniak ist giftig und schwerer als Luft, wodurch er im Falle eines Lecks für Mitarbeiter gefährlich werden kann. Wenigstens, so Thomas Rabensteiner, bemerkt man ihn schnell durch seinen beißenden Geruch. Tatsächlich ist Ammoniak schon sehr verbreitet, besonders in Großanlagen der Lebensmittelindustrie. Dafür gibt es bereits Standardsysteme und ab einer bestimmten Größe ist Ammoniak als Kältemittel sogar vorgeschrieben, weil die Unternehmen keine ausreichend großen Gebinde von F-Gasen lagern dürfen.

Wie können Rechenzentrumsbetreiber reagieren?

Wieso haben also nicht schon längst alle Rechenzentren eine Kälteanlage mit nicht-halogenierten Kältemitteln? Das Problem ist zum einen der Preis, zum anderen gibt es bauliche Einschränkungen: „Im Neubau auf der grünen Wiese sind die Mehrinvestitionen für Kältemittel wie Ammoniak vertretbar. Möchten Unternehmen jedoch bestehende Anlagen umbauen, dann geht das nur, wenn sie die Kühlanlage austauschen und im Idealfall im Freien aufstellen können.“ sagt Thomas Rabensteiner. Wer das nicht kann, setzt auf die Low-GWP-Kältemittel, die derzeit unter Hochdruck entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Hier müssen Betreiber laut Bitkom aber eine niedrigere Effizienz in Kauf nehmen sowie zusätzliche Brandschutzauflagen und möglicherweise weitere Verbote in der Zukunft. Eine Übersicht der verfügbaren Alternativen für Anlagen in Rechenzentren ist in einem Bitkom-Positionspapier aufgeführt.

„Nicht in jedem Fall eignen sich alternative Kühlmittel. Der Sach- und Personenschutz muss auf jeden Fall die oberste Priorität erhalten.“, sagt Thomas Rabensteiner. Und genau hier liegt der Knackpunkt: zwar sind Kältemittel in der DIN EN378 alle gleich gestellt, doch bei den Sicherheitskältemitteln hatten Fehler keine größeren Auswirkungen. Sobald ein Unternehmen mit brennbaren oder giftigen Kältemitteln arbeitet, gibt es eine Reihe an Normen und Auflagen, die das Unternehmen kennen, deuten und befolgen muss, um die Rechtssicherheit und die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Hier fehlt es auch an Schulungen für Kälteanlagenbauer und -planer, die sich teilweise mit alternativen Kältemittel kaum auskennen.

Thomas Rabensteiner wünscht sich mehr Klarheit und Einheitlichkeit: „Es wäre ein großer Schritt, wenn die EU eine Harmonisierung der Normen und Gesetze in allen Staaten erwirken würde. Viele Klimageräte kommen beispielsweise aus Italien – unterlägen diese den gleichen oder sehr ähnlichen Auflagen wie in Deutschland, könnte man diese als deutscher Rechenzentrumsplaner ohne aufwendige Recherchen und Unsicherheiten einsetzen.“ Außerdem wäre seiner Ansicht nach eine Revision der Richtlinien für Kältemittel wie Propan, CO2 und Ammoniak angezeigt. Hier stünden die Regelungen zum Teil in keinem sinnvollen Verhältnis mehr zum Risiko mit moderneren, sichereren Anlagen.

An allererster Stelle steht jedoch, dass mechanische Kälteerzeugung so sparsam wie möglich zum Einsatz kommen muss: „Mit adiabatischer Kühlung, Abwärmenutzung, Immersionskühlung und freier Kühlung lassen sich diese Probleme von Anfang an minimieren. Das hat seinen Preis, aber auch hier sollte mehr Druck vom Gesetzgeber ausgehen.“

Die EU und der Bund können noch so sehr umweltschädliche Kältemittel verbieten und innovative Technologien monetär fördern; wenn die Unternehmen keine ausreichende Rechtssicherheit erhalten, werden sie neue Wege nur zögerlich beschreiten.

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