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Was Softwareprojekte weniger komplex und skalierbarer macht

Digitale Projekte sollen Unternehmen voranbringen – doch häufig werden sie zum Bremsklotz. Die Ursache liegt nicht in der Technik selbst, sondern in deren Komplexität.

Eine aktuelle Umfrage von Gartner unter CIOs zeigt: Nur 48 Prozent der digitalen Initiativen erreichen oder übertreffen die angestrebten Ergebnisse. Warum? Weil viele in die Falle tappen, immer mehr Funktionen, Prozesse und Technologien zu integrieren – und damit auch unnötig die Komplexität erhöhen. Dabei gibt es einfache Wege, IT-Projekte gezielt zu vereinfachen.

Der Mythos von der notwendigen Komplexität

Natürlich brauchen digitale Systeme eine gewisse Tiefe – Skalierbarkeit, Flexibilität und Leistungsstärke sind kein Selbstzweck. Doch zu oft wird übersehen, dass nicht jede neue Technologie ein Fortschritt ist, nicht jede Anpassung ein Gewinn. Ein Beispiel: das gescheiterte SAP-Projekt von Lidl. Trotz jahrelanger Entwicklung und einer halben Milliarde Euro Investitionssumme in die Implementierung eines neuen Warenwirtschaftssystems musste das Projekt nach sieben Jahren eingestellt werden. Warum? Weil man versuchte, sämtliche Eigenheiten des Unternehmens 1:1 in Software zu übersetzen, statt sich an funktionierenden Standards zu orientieren.

Ein Lehrstück, das zeigt: Komplexität ist nicht automatisch ein Zeichen für Qualität. Oft ist sie das genaue Gegenteil.

Vier Fallen, die IT-Projekte unnötig verkomplizieren

1. Tech-Trends folgen, ohne eine klare Strategie

Die Versuchung ist groß, bei Tech-Hypes schnell mit aufspringen zu wollen. Microservices hier, neue Frameworks dort – weil es alle machen. Besonders häufig zeigt sich dieses Phänomen bei Softwarearchitekturen: Unternehmen setzen gerne auf Microservices, weil sie als State of the Art gelten – und große Technologieunternehmen wie Netflix sie einsetzen. Doch einem Trend zu folgen, ohne durchdachte Strategie und die notwendige Automatisierung, führt nur zu fragmentierten Systemen, erhöhtem Betriebsaufwand und einer unnötigen Komplexität.

2. Anforderungen im Blindflug umsetzen

Unklare oder sich ständig ändernde Anforderungen sind der natürliche Feind jedes Projekterfolgs. Der Feature Creep, also das schleichende Hinzufügen von Funktionen ohne Rückkopplung an die ursprünglichen Ziele, ist ein häufiger Stolperstein. Ohne ein klares Anforderungsmanagement führt auch agiles Projektmanagement nicht zu Flexibilität, vielmehr bleibt von der Geschwindigkeit am Ende nur noch Hektik und Planlosigkeit übrig.

3. Maßanfertigungen um jeden Preis

Natürlich will jedes Unternehmen seine Eigenheiten berücksichtigt wissen. Aber Individualisierung ohne Maßstab schafft keine Differenzierung, sondern Chaos. Wenn jedes Detail angepasst wird, entstehen schwer wartbare Unikate mit hohen Folgekosten. Standardisierte Systeme sind häufig kostengünstiger und auch belastbarer – vor allem, wenn Individualisierung mit klarem Mehrwert nur gezielt eingesetzt wird.

4. Sparen an der falschen Stelle

IT-Kosten zu senken, ist legitim – aber nicht auf Kosten der Architekturqualität. Wenn in der Entwurfsphase auf Sicherheits-, Performance- oder Skalierbarkeitsaspekte verzichtet wird, rächt sich das später mit hohen Wartungskosten oder sogar Systemausfällen. Statt Geld zu sparen, wird das Projekt langfristig meist teurer.

Fünf Hebel für mehr Klarheit und weniger Komplexität

Komplexität lässt sich nicht einfach wegwünschen – aber gezielt reduzieren. Entscheidend ist, die richtigen Stellschrauben zu kennen und bewusst an ihnen zu drehen. Die folgenden fünf Hebel unterstützen dabei, IT-Projekte klarer, schlanker und erfolgreicher zu gestalten:

1. Business Value in den Mittelpunkt stellen

IT darf kein Selbstzweck sein. Statt auf Vorrat zu entwickeln, sollte jede Maßnahme auf ein konkretes Unternehmensziel einzahlen. Welche Software bietet echten Value? Welche sind reine Gewohnheit oder nur ein nice to have? Ob durch Automatisierung von Anfragen oder durch bessere Datenqualität – Investitionen müssen gezielt dort ansetzen, wo sie echten Wert stiften. Smarte Bedarfsanalysen und datengetriebene Entscheidungen helfen, Prioritäten richtig zu setzen.

2. Architektur strategisch denken

Gerade historisch gewachsene IT-Landschaften leiden unter Wildwuchs. Ein klarer architektonischer Rahmen schafft Abhilfe: Modularität, Standardisierung und Cloud-First-Prinzipien sollten keine Buzzwords sein, sondern Leitplanken. Workshop-Formate wie Event Storming helfen, fachliche Prozesse mit technischen Lösungen zu verbinden. Gerade in cross-funktionalen Teams kann Event Storming für überraschende Aha-Erlebnisse sorgen: Fachbereiche erkennen, wie technische Entscheidungen Prozesse beeinflussen – und umgekehrt. Das schafft nicht nur Klarheit, sondern fördert auch eine gemeinsame Sprache über Abteilungsgrenzen hinweg.

Achim Kirchgässner, Exxeta

„Komplexität lässt sich nicht einfach wegwünschen – aber gezielt reduzieren. Entscheidend ist, die richtigen Stellschrauben zu kennen und bewusst an ihnen zu drehen.“

Achim Kirchgässner, Exxeta

3. Prozesse entschlacken durch Automatisierung

Oft ist es nicht nur die Struktur der IT-Organisation, die Komplexität verursacht, sondern auch ineffiziente Prozesse und Redundanzen. Hier kann künstliche Intelligenz ansetzen: durch Automatisierung von Routinetätigkeiten wie Codedokumentation oder Tests. Eine Studie von Capgemini zeigt: In der Softwareentwicklung kann durch den Einsatz von generativer KI die Produktivität bis zu 18 Prozent gesteigert und bis zu 35 Prozent bei bestimmten Aufgaben an Zeit gespart werden. Auch Lean-Prinzipien und automatisierte Workflows leisten einen Beitrag zu schlankeren Prozessen.

4. Governance mit gesundem Augenmaß

Effektive Steuerung braucht kein starres Regelwerk. Statt auf enge Genehmigungsprozesse zu setzen, sollten Führungskräfte ihren Teams klare Leitplanken geben. Der Ansatz Guardrails statt Gates ermöglicht agiles Arbeiten innerhalb sicherer Rahmenbedingungen – ohne Innovationsdrang durch Bürokratie zu ersticken. Adaptive IT-Governance verbindet agile Prinzipien wie schnelle Iterationen und kontinuierliche Verbesserung mit der strategischen Ausrichtung der Unternehmensziele.

5. Plattformen statt Individualentwicklung

Skalierbare Plattformansätze gewinnen meist gegen monolithische Ansätze. Um Komplexität in der IT zu reduzieren, sollten Unternehmen verstärkt auf Plattformen mit Low-Code- und No-Code-Funktionalitäten setzen, anstatt jede Software von Grund auf individuell zu bauen. Das reduziert Entwicklungsaufwand, beschleunigt den Time-to-Market und ermöglicht Flexibilität auf sich ändernde Anforderungen.

Komplexität raus, Wirkung rein

IT kann vieles – aber sie muss nicht alles. Wer meint, jedes Problem mit mehr Technologie lösen zu müssen, wird früher oder später ausgebremst. Der Schlüssel liegt im Mut zur Vereinfachung. In einer Architektur, die bewusst reduziert. In Prozessen, die auf Effizienz statt auf Spielereien setzen. Und in Entscheidungen, die sich am Nutzen für das Geschäft orientieren. Denn die Wahrheit ist: Weniger ist nicht nur mehr. Es ist oft genau das, was IT-Projekte erfolgreich macht.

Über den Autor:
Achim Kirchgässner ist seit über 20 Jahren in der Beratungsbranche tätig und hat zahlreiche Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung digitaler Strategien unterstützt. Als Treiber der Digitalen Transformation bei Exxeta verfügt er über umfassende Erfahrung in der Anwendung von Technologien zur Optimierung von Geschäftsprozessen und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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