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Prozesse verstehen und optimieren mit Process Mining

Process Mining ermöglicht Unternehmen, ihre Geschäftsprozesse anhand von digitalen Fingerabdrücken automatisch zu visualisieren, zu analysieren und datengetrieben zu optimieren.

Die Welt ist so schnelllebig wie nie zuvor. Mit dem zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) sind Fähigkeiten wie Effizienz und schnelle Anpassungsfähigkeit wichtiger denn je. Zahlreiche Unternehmen möchten daher ihre Geschäftsprozesse verbessern, um auch zukünftig wettbewerbsfähig zu sein.

Hier kann die noch junge Disziplin Process Mining einen erheblichen und vor allem schnell erschließbaren Mehrwert liefern: Sie ermöglicht Unternehmen, ihre Geschäftsprozesse anhand von digitalen Fingerabdrücken automatisch detailliert zu visualisieren, zu analysieren und datengetrieben zu optimieren. Die Fähigkeit, relativ einfach Daten in Transparenz zu verwandeln und verborgene Ineffizienzen aufzudecken, hat Process Mining bereits in vielen Unternehmen einen festen Platz als Schnittstelle zwischen Prozessmanagement und Data Science eingebracht.

Einen Schritt weiter als übliche Business Intelligence Tools

Wie Geschäftsprozesse modelliert werden und wie sie in Wirklichkeit ablaufen, können zwei sehr unterschiedliche Dinge sein. Tatsächlich sind Abweichungen eher die Regel als die Ausnahme. Process Mining macht die zahlreichen Prozessvarianten sichtbar, die neben dem Soll-Prozess existieren. Sogenannte Spaghetti-Diagramme spiegeln die Komplexität der Abläufe wider.

Process Mining: Spaghetti-Diagramme Beispiel
Abbildung 1: In der Realität gibt es eher Spaghetti-Diagramme als Perfekte-Welt-Szenarien.

Dem steht gegenüber, dass Organisationen gleichzeitig nach operativer Exzellenz streben müssen, sei es aufgrund des zunehmenden Drucks auf das Kosten-Ertrags-Verhältnis, des zunehmenden Ressourcen- und Fachkräftemangels oder der immer umfassenderen Compliance-Anforderungen. Das wirft Fragen zu den Prozessen im Unternehmen auf: Wie oft und wie stark weichen sie vom Ideal ab? Gibt es gute Gründe für diese Abweichungen? Wird die Qualität der Prozesse beeinträchtigt?

Bei der Beantwortung dieser Fragen kann Process Mining unterstützen. Es macht Wissen aus Ereignisprotokollen nutzbar und bietet dadurch tiefere Analyseebenen als herkömmliche Business-Intelligence-Technologien (BI), die üblicherweise aggregierte Daten analysieren.

Michelle Scherer, adesso

„Die Fähigkeit, relativ einfach Daten in Transparenz zu verwandeln und verborgene Ineffizienzen aufzudecken, hat Process Mining bereits in vielen Unternehmen einen festen Platz als Schnittstelle zwischen Prozessmanagement und Data Science eingebracht.“

Michelle Scherer, adesso

Nutzen, was schon da ist

Unternehmen verwenden zahlreiche IT-Systeme zur Steuerung ihrer betrieblichen Prozesse. In den meisten Anwendungen finden sich neben fachlichen Informationen und Dokumenten auch detaillierte Prozessdaten, die die Nutzung der Software dokumentieren – Daten, die erfassen, wann welche Aktivität durchgeführt wurde. Genau hier setzt Process Mining an. Diese Daten, die oft in Form von sogenannten Event Logs vorliegen, enthalten Tausende, teils Millionen, Datenpunkte, die für faktenbasierte Entscheidungen genutzt werden können. Sie zu erfassen, ist die wesentliche Voraussetzung für den Einsatz von Process Mining. Der Vorteil? Die Daten existieren in IT-Systemen ohnehin.

Mit diesen Daten können dann die drei grundsätzlichen Haupttypen von Process Mining, Discovery, Conformance Checking und Enhancement, durchgeführt werden. Beim Discovery geht es um die automatische Rekonstruktion von Prozessmodellen aus den existierenden Prozess- und Aktivitätsdaten, mit dem Ziel den sogenannten Happy Path, also den optimalen Prozessablauf, und die neben ihm existierenden Varianten zu identifizieren. Das Conformance Checking geht einen Schritt weiter. Es vergleicht die aus den Prozess- und Aktivitätsdaten erkannten Ist-Prozesse mit zuvor definierten Soll-Prozessen, beispielsweise aus dem Business Process Modeling (BPMN). So können Abweichungen untersucht und es kann festgestellt werden, ob Prozesse regelkonform ablaufen oder nicht. Der dritte Haupttyp, das Enhancement, rundet die vorherigen beiden Typen ab. Es nutzt die gewonnenen Erkenntnisse für Anpassungen, Erweiterungen und Optimierungen von Prozessen und Prozessmodellen.

drei Haupttypen von Process Mining
Abbildung 2: Input und Output der drei Haupttypen von Process Mining.

Mehr als nur Erkenntnisse: Konkrete Use Cases

Process Mining schafft in erster Linie Transparenz – und das unabhängig von der Komplexität eines Prozesses. Die datenbasierten und damit fundierten Einblicke bilden die Grundlage für weitere Schritte, die sich in der Regel vor allem auf Prozessoptimierungen fokussieren. Identifizierte Potenziale wie beispielsweise fehlerhafte Abfolgen, wiederholte Schritte, prozessuale Engpässe oder unerwünschte Anpassungen können gezielt angegangen werden.

Die Umsetzung entsprechender Maßnahmen führt wiederum nicht nur zu effizienteren Prozessen, sondern auch zu Kostensenkungen und kürzeren Durchlaufzeiten. Hinzu kommt die Möglichkeit, positive und negative Zusammenhänge zwischen einzelnen Prozessvarianten und den jeweils eingesetzten Ressourcen aufzudecken. Ein weiterer wesentlicher Mehrwert ist die Identifizierung von Automatisierungspotenzialen. Deren Umsetzung kann inzwischen häufig sogar direkt mit der Process-Mining-Software und Applikationsschnittstellen ermöglicht und orchestriert werden.

Anwendungsfälle, aus denen starke Wettbewerbsvorteile resultieren können, gibt es in sämtlichen Branchen. Ein paar konkrete Beispiele kurz skizziert:

  • Banking und Versicherungen: Analyse von Antrags- und Sachbearbeitungsprozessen, um die Compliance zu verbessern und die Kundenzufriedenheit durch beschleunigte Entscheidungen zu erhöhen.
  • Energiewirtschaft: Analyse von Instandhaltungsprozessen zur Maximierung der Anlagenverfügbarkeit und Senkung der Instandhaltungskosten.
  • Fertigungsunternehmen: Analyse von Produktionsprozessen, um die Produktivität zu optimieren, Ausfälle und Kosten zu reduzieren, Materialfluss und Qualität zu verbessern und Liefertermine zu sichern.
  • Handel: Analyse von Bestellungen, Lieferungen und Retouren, um Überbestände, Fehllieferungen und Retourenquoten zu reduzieren und das Einkaufserlebnis zu verbessern.
  • Logistik und Transport: Analyse und Optimierung der Lagerauslastung, Verbesserung der Picking- und Packing-Prozesse sowie Steigerung der Transporteffizienz, um Lieferverzögerungen, hohe Transportkosten und unzufriedene Kunden zu vermeiden.
  • Telekommunikation: Analyse der Kundenserviceprozesse, um diese zu verkürzen und zu beschleunigen und so die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.
  • Öffentliche Verwaltung: Analyse von Genehmigungsverfahren, um Bearbeitungszeiten zu verkürzen und die Bürgerfreundlichkeit zu erhöhen.

Process Mining und KI: Ein Ausblick

Analog zum Process Mining leistet auch künstliche Intelligenz (KI) bereits in vielen Bereichen einen Beitrag zur Simplifizierung von Komplexität und zur Unterstützung bei der Erledigung analytischer Aufgaben. Die Synergien der beiden Disziplinen werden daher bereits intensiv erforscht und erprobt.

Gerade für generative KI (GenAI) sind Prozessdaten von höchster Wichtigkeit. Sie unterstützen dabei, Halluzination zu vermeiden, und ermöglichen es, mehr als nur allgemeingültige und dadurch unspezifische Outputs zu generieren, die nicht auf die tatsächlichen, spezifischen Prozesse des eigenen Unternehmens anwendbar sind. Hier liefert Process Mining genau das, was gebraucht wird: Daten aus den eigenen Prozessen, die der KI realen Kontext für exakte Ergebnisse geben. Basierend auf den passenden Kontextdaten, können dann beispielsweise Prozesse nach der Discovery- und Conformance-Checking-Phase im Rahmen eines Enhancements mit KI automatisch analysiert, richtige Kausalitäten abgeleitet und passende Annahmen und Empfehlungen für eine Optimierung generiert werden.

Marco Becker, adesso

„Analog zum Process Mining leistet auch künstliche Intelligenz (KI) bereits in vielen Bereichen einen Beitrag zur Simplifizierung von Komplexität und zur Unterstützung bei der Erledigung analytischer Aufgaben.“

Marco Becker, adesso

Die Potenziale für Process Mining sind also noch lange nicht ausgeschöpft und die Umsetzung intelligenter Anwendungen hat gerade erst begonnen. KI wird dabei eine zunehmend wichtige Rolle spielen und Process Mining im Hinblick auf noch tiefergreifende Optimierungen, autonome Entscheidungen und die Interaktion zwischen Menschen und Prozessdaten noch wertstiftender machen.

Über die Autoren:
Als Masterstudentin im Studiengang Data Analytics forscht Michelle Scherer an vorderster Front des akademischen Diskurses rund um Datenanalysen und ihrem wertschöpfenden Einsatz in Unternehmen. Ihr Fachwissen bringt sie auch in der Praxis als Werkstudentin bei adesso im Geschäftsbereich „Data & Analytics“ in Beratungsprojekten ein.

Marco Becker ist Business Development Manager für das Thema Data & Analytics bei adesso und beschäftigt sich seit mehr als 10 Jahren für verschiedene nationale und internationale Beratungsunternehmen mit IT- und Data-Trends. Bei adesso berät er Kunden dazu, wie sie ihre Daten und Dateninfrastrukturen fit für hochwertige und performante Business Intelligence, Advanced Analytics und KI machen.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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