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Mit KI Angriffe frühzeitig erkennen und abwehren

Energieversorger stehen im Fokus von Cyberangriffen. Ein Praxisleitfaden zeigt, wie künstliche Intelligenz Schritt für Schritt in die Cyberabwehr integriert werden kann.

Laut IBM zählt die Energiebranche zu den drei am häufigsten attackierten Sektoren weltweit. Angriffe auf Strom- oder Gasnetze haben unmittelbare gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen: Von Produktionsausfällen bis hin zu Versorgungskrisen.

Besonders kritisch sind die vielerorts eingesetzten Operational-Technology-Systeme (OT). Sie wurden ursprünglich nicht für heutige Bedrohungsszenarien entwickelt und sind schwer abzusichern. In Verbindung mit IoT-Geräten, Cloud-Anwendungen und dezentralen Energiequellen entsteht eine komplexe Angriffsfläche. Gleichzeitig nehmen staatlich gesteuerte Attacken und geopolitisch motivierte Kampagnen zu. Der ENISA Threat Landscape Report nennt die Energieversorgung explizit als einen der meistgefährdeten Sektoren, häufig Ziel von Ransomware- und Supply-Chain-Angriffen.

Mit der Umsetzung der NIS2-Richtlinie in nationales Recht wird sich die Lage zusätzlich verschärfen. Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen künftig strikte Nachweispflichten erfüllen: vom Risikomanagement über kontinuierliches Monitoring bis zur Absicherung ihrer Lieferketten. Bußgelder bei Verstößen können bis zu zehn Millionen Euro oder 2 Prozent des Jahresumsatzes betragen – eine Größenordnung, die Investitionen in moderne Sicherheitsarchitekturen zwingend macht.

Schritt 1: Transparenz über IT und OT herstellen

Bevor KI sinnvoll eingesetzt werden kann, braucht es vollständige Sichtbarkeit. Viele Unternehmen wissen nicht exakt, welche OT-Systeme noch in Betrieb sind, welche Protokolle genutzt werden oder wo potenzielle Schwachstellen liegen. Erst wenn Netzwerke segmentiert, OT-Systeme inventarisiert und Logdaten zentral erfasst sind, entsteht die Grundlage für den Einsatz von KI.

Der SANS SOC Survey betont, dass Automatisierung und KI nur dann Wirkung entfalten können, wenn Datenflüsse vollständig erfasst und in konsolidierten SOC-Plattformen verfügbar sind. Studien zeigen, dass Organisationen mit integrierter Sichtbarkeit Angriffe deutlich schneller erkennen und eindämmen können.

Schritt 2: KI für Anomalieerkennung einsetzen

Wenn diese Basis geschaffen ist, kann KI für die Anomalieerkennung eingesetzt werden. KI-Systeme sind in der Lage, Muster in großen Datenmengen zu erkennen, die für Menschen unsichtbar bleiben. Besonders in OT-Umgebungen, in denen Protokolle wie Modbus oder DNP3 genutzt werden, kann KI abweichendes Verhalten frühzeitig identifizieren.

Ein aktueller systematischer Review in Energy Informatics zeigt, dass Echtzeit-Anomalieerkennung die Resilienz komplexer Energiesysteme signifikant erhöht. Abnormale Ereignisse, von Netzschwankungen bis zu potenziellen Cyberangriffen, können frühzeitig erkannt und adressiert werden. Das bedeutet, dass selbst Zero-Day-Angriffe sichtbar werden, weil sie vom gelernten Normalverhalten abweichen. Security Operations Center (SOC) profitieren, weil sie priorisierte Alarme erhalten, die Bedrohungen kontextualisieren und Reaktionszeiten senken.

Schritt 3: Automatisierte Reaktion implementieren

Angriffe auf Energienetze entwickeln sich oft in rasanter Geschwindigkeit. KI-gestützte Systeme können automatisch reagieren, etwa indem sie verdächtige Verbindungen isolieren, Regeln in Intrusion-Detection-Systemen anpassen oder segmentierte Netzbereiche vom Rest trennen.

Der SANS SOC Survey zeigt, dass Unternehmen mit KI-gestützten Reaktionsmechanismen ihre Mean Time to Respond (MTTR) signifikant verkürzen können. Viele SOCs berichten von einer deutlich höheren Eindämmungsgeschwindigkeit, wenn Automatisierung in die Abwehr integriert ist. Hier zeigt sich, dass moderne Verteidigung nicht nur Daten analysiert, sondern aktiv eingreift.

Schritt 4: Mitarbeitende einbeziehen

Doch Technologie allein reicht nicht. Damit KI effektiv eingesetzt werden kann, müssen Security-Teams geschult und eingebunden werden. Awareness-Programme helfen, Ergebnisse von KI-Systemen richtig einzuordnen und Fehlalarme zu reduzieren.

Gleichzeitig verändert KI den Arbeitsalltag in den SOCs. Der SANS-Report zeigt, dass viele Analystinnen und Analysten durch Automatisierung bis zu 40 Prozent mehr Zeit für strategische Aufgaben gewinnen. Erfolgreich sind Unternehmen, die hybride Modelle etablieren, mit klarer Rollenverteilung zwischen automatisierter Erkennung und menschlicher Validierung. Das fördert sowohl Effizienz als auch Vertrauen in die Technologie.

Herrmann Friesen, Atos Group Germany

„Die Umstellung auf KI-gestützte Systeme ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Erfolgreich sind Unternehmen, die KI nicht isoliert, sondern als Teil einer ganzheitlichen Sicherheitsstrategie begreifen – souverän, praxisnah und zukunftssicher zugleich.“

Herrmann Friesen, Atos Group Germany

Best Practices für Energieunternehmen

Energieunternehmen sollten beim Einsatz von KI in der Cyberabwehr schrittweise vorgehen. Ein sinnvoller Einstieg sind Pilotprojekte mit klar abgegrenztem Umfang, beispielsweise die Überwachung eines einzelnen Umspannwerks. Ebenso wichtig ist die Sicherung der Datenqualität, denn KI-Modelle sind nur so gut wie die Trainingsdaten.

Darüber hinaus empfiehlt sich die Teilnahme an Kooperationsprogrammen wie der ENISA Threat Landscape oder an nationalen CERTs, um von kollektivem Wissen zu profitieren. Parallel dazu sollte die Sicherheitsarchitektur modernisiert werden, etwa durch Zero-Trust-Prinzipien und den Einsatz von Digital Twins. Diese ermöglichen es, Angriffsszenarien realistisch zu simulieren, ohne die operative Infrastruktur zu gefährden.

Ein Praxisbeispiel aus dem europäischen Energiesektor zeigt: Mit dem Einsatz digitaler Zwillinge lassen sich Netzlasten simulieren und Angriffsmuster nachstellen, bevor sie kritische Systeme erreichen. So können Notfallpläne in einer sicheren Umgebung getestet und verfeinert werden – ein entscheidender Beitrag zur Resilienz.

Zukunftsausblick: KI als Teil einer souveränen Sicherheitsstrategie

Der Energiesektor wird auch in den kommenden Jahren im Fadenkreuz staatlicher wie krimineller Angreifer bleiben. Entsprechend wichtig ist es, KI nicht als punktuelle Lösung zu betrachten, sondern als Bestandteil einer souveränen, langfristig tragfähigen Sicherheitsarchitektur.

Mit KI-gestützten Plattformen werden Angriffe nicht nur erkannt, sondern auch aktiv neutralisiert – ein entscheidender Baustein für resiliente Energieinfrastrukturen.

Fazit: Sicherheit neu denken – mit KI vorausschauend handeln

Energieunternehmen können ihre Sicherheit durch KI entscheidend verbessern, wenn sie systematisch vorgehen. Transparenz, Anomalieerkennung, Automatisierung und Mitarbeitereinbindung sind die zentralen Schritte. Die Umstellung auf KI-gestützte Systeme ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Erfolgreich sind Unternehmen, die KI nicht isoliert, sondern als Teil einer ganzheitlichen Sicherheitsstrategie begreifen – souverän, praxisnah und zukunftssicher zugleich.

Über den Autor:
Herrmann Friesen ist Head of Cybersecurity Services Sales bei der Atos Group Germany.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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