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Low-Code-Entwicklung: Ein Mittel gegen IT-Fachkräftemangel?

IT-Abteilungen haben mehr Entwicklungsaufträge, als sie stemmen können. Low-Code-Plattformen versprechen Entlastung, da damit verschiedene Fachkräfte Anwendungen bauen können.

Beschäftigte, die sich auf ihre Elternzeit freuen, sehen sich in vielen Firmen ins analoge Zeitalter zurückversetzt. Bevor sie sich ihrem Nachwuchs widmen, müssen sie einen Wust an Papierformularen ausfüllen, scannen und per E-Mail an die Personalabteilung schicken.

Natürlich ließe sich die Prozedur digitalisieren und automatisieren. Aber wer übernimmt diese Aufgabe? In vielen Unternehmen fehlen die dafür notwendigen Entwicklungskapazitäten und wenn es sie gibt, sind sie mit Kundenprojekten stark ausgelastet.

Stehen Low-Code/No-Code-Entwicklungsplattformen und -Tools zur Verfügung, kann die HR-Abteilung diesen Job dagegen selbst übernehmen.

Visuelles ersetzt textbasiertes Coding

Solche Lösungen stellen Anwenderinnen und Anwendern ein vorgefertigtes visuelles Tool- oder Code-Set zur Verfügung, mit dessen Unterstützung Fachfremde viele Prozesse automatisieren können. Die dafür notwendigen Bestandteile und Schnittstellen können die Beschäftigten auf einer grafischen Nutzeroberfläche per Drag-and-Drop miteinander verbinden. Weil grafische Komponenten wie Icons, Schaltflächen und Symbole Codezeilen ersetzen, sind profunde Programmierkenntnisse dafür nicht notwendig. No-Code-Lösungen kommen sogar ganz ohne Programmierwissen aus. Konfigurieren statt Programmieren lautet die Devise.

In Deutschland setzen laut Bitkom inzwischen 34 Prozent der Unternehmen auf Low-Code/No-Code-Ansätze – vor allem dann, wenn es um die Automatisierung ihrer Geschäfts- und Verwaltungsprozesse geht. Gartner analysiert, dass außerhalb der IT-Abteilungen schon 41 Prozent der Mitarbeitenden Softwarelösungen eigenständig anpassen. Tendenz steigend prognostiziert Gartner: Bis 2025 werden Unternehmen rund 70 Prozent aller neuen Anwendungen auf LC/NC-Basis entwickeln.

Low-Code/No-Code senken Barrieren für Entwicklung

Anders können Unternehmen ihre anstehenden Digitalisierungsprojekte nicht abarbeiten. Bereits vor der Pandemie klagten Unternehmen über einen IT-Rückstau von bis zu zwei Jahren. Seitdem hat sich das Problem weiter verschärft. Denn zwei Dritteln der Unternehmen fehlt für die digitale Transformation qualifiziertes Personal. Anfang des Jahres blieben laut Bitkom 96.000 IT-Stellen in Deutschland unbesetzt.

Angesichts dieser Fachkräftelücke müssen sich Unternehmen und ihre Beschäftigten für Alternativen öffnen, wenn sie an ihrer IT-Zukunftsstrategie festhalten möchten. Das sogenannte Citizen-Developer-Konzept ermöglicht es Firmen, zusätzliche Kräfte in ihre digitale Transformation einzubinden. Dabei erstellen technisch versierte Mitarbeitende softwarebasierte Anwendungen für ihren jeweiligen Fachbereich, ohne die Ressourcen der IT-Abteilung anzuzapfen. Da diese Beschäftigten häufig keine oder nur geringe IT- oder Programmierkenntnisse besitzen, sind sie auf einfache und intuitive Hilfsmittel angewiesen. Das passende Instrument dafür heißt visuelles Entwickeln.

Low-Code/No-Code-Plattformen unterstützen nicht nur dabei, den Personalmangel in den IT-Abteilungen zu lindern, sie statten auch die Fachkräfte aus Controlling, HR, Marketing oder Beschaffung mit mehr Durchsetzungskraft aus. Denn deren Know-how fließt unmittelbar in mobile Apps, Bots oder digitale Prozesse des Unternehmens. Davon profitiert jedes Unternehmen. Wer über seinen Bereich gut Bescheid weiß, kennt alle Anforderungen und Abläufe. Versteht, wie Prozesse oder Anwendungen digital aufgesetzt sein müssen, um das eigene Team oder die Kunden zu unterstützen.

No-Code- und Low-Code-Tools machen Unternehmen somit agiler: Denn die Geschäftseinheiten müssen nicht auf einen freien Zeit-Slot ihrer IT-Abteilung warten, sondern können die Anwendungen selbst anpassen, wenn sie rasch auf Marktveränderungen reagieren möchten.

Auch Low-Code/No-Code braucht Übung

Wer noch nie eine Zeile Code in einer professionellen Programmiersprache geschrieben hat, traut sich die Entwicklung neuer Anwendungen vermutlich erst einmal gar nicht zu. Deshalb unterstützen gute Low-Code/No-Code-Plattformen ihre Nutzer mit integrierten Tutorials, Anwendungsfällen oder Videos. Denn auch das visuelle Entwickeln will geübt sein. Darüber hinaus sollten Unternehmen ihren Beschäftigten gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich Low-Code/No-Code anbieten, um Ungeübte mit den neuen Möglichkeiten vertraut zu machen und ihnen die Scheu vor den zusätzlichen Aufgaben zu nehmen.

Am Ende solcher Kurse steht eine Zertifizierung als Citizen Developer und damit die Kompetenz, mit den Low-Code/No-Code-Programmen versiert umzugehen. Die Unternehmen sollten sich allerdings auch im Klaren sein, dass auch die besten Citizen-Developer-Weiterbildungsangebote kein fünfjähriges Masterstudium ersetzen.

 Sebastian Schrötel, SAP SE

„Low-Code-Plattformen unterstützen nicht nur dabei, den Personalmangel in den IT-Abteilungen zu lindern, sie statten auch die Fachkräfte aus Controlling, HR, Marketing oder Beschaffung mit mehr Durchsetzungskraft aus.“

Sebastian Schrötel, SAP SE

Wie blicken professionelle Entwickler auf Low-Code/No-Code-Tools? Durchaus positiv. Verschaffen sie ihnen doch Freiräume. Luft, um sich wieder den eigentlichen Kernthemen und -prozessen des Unternehmens zu widmen. Sie gewinnen Zeit, um sich auf strategische Projekte zu konzentrieren, sie warten die Kernsysteme oder achten darauf, dass das Unternehmen Data Governance und Sicherheit gewährleistet.

Und immer häufiger nutzen sie Low-Code/No-Code selbst: Beispielsweise bei Aufgaben, die für einen Citizen Developer weiterhin zu komplex sind: für Sicherheitsfunktionen (Single Sign-On), außergewöhnliche API-Aufrufe oder wenn es um Response-Zeiten bei Fertigungsschnittstellen geht. Solche Aufgaben verlangen profundes Wissen. Doch mit Low-Code/No-Code können Profis solche Funktionen schneller und sicherer entwickeln.

Selbst wenn in naher Zukunft künstliche Intelligenz (KI) Software mitentwickelt, können Unternehmen auf ihre IT-Teams nicht verzichten. Schließlich braucht es Menschen, die dem KI-Tool die richtigen Anweisungen geben, um den Code für benutzerfreundliche Anwendungen zu schreiben. SAP hat sich zum Beispiel auf der TechEd 2022 verpflichtet, bis 2025 weltweit zwei Millionen Entwickler weiterzubilden. Zu diesem Zweck hat SAP das Schulungsangebot auf der SAP-Learning-Plattform verdreifacht und arbeitet künftig eng mit der Lernplattform Coursera zusammen, um so neue Zielgruppen zu erreichen.

Über den Autor:

Sebastian Schrötel ist Vice President SAP SE und Head of Low Code / No Code Products.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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