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Datenverarbeitung und Datenschutz im Web revolutionieren

Datenerfassung, Datenschutz und künstliche Intelligenz (KI) können friedlich koexistieren. Im Moment befinden sich Konsumenten und Unternehmen aber in unklaren Gewässern.

Die meisten Menschen haben eine gewisse Vorstellung davon, dass ihre Daten in IT- Systeme eingespeist werden. Diese Daten helfen Unternehmen, zum Beispiel Dienstleistern und Handelsplattformen, die Kunden effektiver anzusprechen und ihre Angebote besser auf ihren spezifischen Bedarf auszurichten: von Finanzdienstleistungsprodukten über Haushaltswaren bis hin zu Mitgliedschaftsangeboten.

Anbieter aus verschiedenen Branchen setzen auf maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (KI), um aus dem Verhalten ihrer Kunden bestimmte Signale herauszudestillieren und deren digitale Erfahrungen besser abzustimmen.

Das Gefühl des Kunden, dass ein Anbieter seine Bedürfnisse genau kennt, kann angenehm und praktisch sein, wenn eine Website ihm das perfekte Produkt zum perfekten Zeitpunkt anbietet. Diese Erfahrung kann aber auch etwas verunsichernd wirken, wenn der Kunde beim Online-Kauf auf Akzeptieren klickt, ohne vollständig zu verstehen, dass seine Cookies und Daten weit über die Seite hinaus verbreitet werden, die er (oder sie) gerade besucht. Geradezu beunruhigend ist die Erkenntnis, dass dabei die Sicherheit unseres gesamten persönlichen, finanziellen und digitalen Lebens auf dem Spiel stehen kann.

Diese Debatte ist im Zuge von COVID-19 noch realer und wichtiger geworden. Viele Menschen hantieren im Home-Office beruflich mit potenziell sensiblen Informationen. Die Umsätze im Online-Einzelhandel sind wegen COVID-19 sprunghaft angestiegen.

Beim Kauf und Versand von Produkten geben Kunden persönliche Daten online weiter. Dabei lernen die Systeme die Präferenzen der Benutzer kennen, womit sich die digitale Erfahrung verbessert. Das ist eine gute Nachricht, wenn man bedenkt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, bis die analogen Interaktionen wieder auf dem normalen Level angelangt sind.

Mit dem technischen Fortschritt werfen Kritiker jedoch die Frage auf, ob die künstliche Intelligenz als Enabler der Personalisierung und die Privatsphäre der digitalen Nutzer überhaupt eine friedliche Koexistenz führen können. Angesichts der rapiden Entwicklung von Techniken wie Datenerfassung, Bilderkennung und 5G-Kommunikation ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir gleichzeitig auch unser Verständnis dafür weiterentwickeln, wie und wann wir Daten digital teilen.

In dem Maße, wie den Verbrauchern immer bewusster wird, wie und zu welchen Zwecken Unternehmen ihre Daten nutzen, wird die Privatsphäre selbst zu einer handelbaren Ware. Wir werden selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang wir unsere Daten schützen und für uns behalten – oder sie dem vertrauenswürdigsten Bieter anvertrauen. Der Einsatz von KI wird dazu führen, dass die Verbraucher mit ihrer Privatsphäre umgehen wie nie zuvor, und künftige Infrastrukturen werden dies unterstützen müssen.

Die Revolution steht vor der Tür

Laut Statista hatten die sozialen Medien in Deutschland 2019 rund 43 Millionen aktive Nutzer. Das entspricht etwa 52 Prozent der Bevölkerung des Landes. Social-Media-Plattformen sind im Wesentlichen zum Synonym für digitale Kontakte untereinander geworden. Gleichzeitig sind sie der Ort, an dem die Auseinandersetzung zwischen zwei gegensätzlichen Momenten stattfindet: Dem Wunsch nach maximaler Kontrolle über seine ureigenen persönlichen Daten und dem Wunsch nach Zugang zu einer Plattform für die soziale Interaktion im Cyberspace.

Komplizierte Nutzerverträge, wie sie heute üblich sind, werden wir in Zukunft nicht mehr so oft sehen, da unsere Offline- und Online-Persönlichkeiten untrennbar miteinander verwoben sind. Wir brauchen nicht noch mehr Texte in Juristendeutsch und auch keine Life Hacks.

Wir brauchen mehr Transparenz. Wir stehen an der Schwelle einer Umwälzung des Datenschutzes, denn jeder wird jederzeit schnell und umstandslos entscheiden können, wie viele Daten er als Bezahlung für bessere Services freigeben möchte. Sobald die Konsumenten über mehr und bessere Kenntnisse zu diesem Thema verfügen, können sie ihre eigene, fundierte Entscheidung über den Tausch von Daten gegen den Komfort digitaler Annehmlichkeiten treffen.

Unter solchen veränderten Verhältnissen werden Konsumenten bald die vollständige Kontrolle über ihre Daten erlangen. Sie können beispielsweise einem Unternehmen für die Nutzung ihrer persönlichen Daten eine Gegenleistung abverlangen, oder die Nutzung dieser Daten von eigenen Bedingungen abhängig machen. So kann ein Verbraucher einem Unternehmen, das gegen seinen Willen sein Foto für das Training einer KI-basierten Gesichtserkennung nutzen möchte, verbieten, seine Facebook-Fotos auszuwerten und zu taggen. Oder man kann Tauschgeschäfte anbieten: Persönliche Daten gegen monetäre oder geldwerte Vorteile.

Daten als Tauschobjekt

Persönliche Daten unterliegen einem immer stärkeren Datenschutz. Gleichzeitig sind sie jener Stoff, aus dem Internethändler und Social Media die optimalen Angebote für ihre Kunden zimmern. Wie wäre es, wenn man diese Daten zum Tauschobjekt macht: Private Daten gegen optimalen Service? Voraussetzung ist allerdings eine maximale Transparenz hinsichtlich der Verwendung dieser Daten – und ein radikales Umdenken bei den Beteiligten.

Vor dem Hintergrund zunehmend strikterer Datenschutzgesetze und wachsender Forderungen nach mehr Transparenz ist vorstellbar, dass der Datenaustausch an jeden Dienst geknüpft wird, den wir konsumieren. Dieser Austausch besteht aus jedem Satz persönlicher Informationen, die gesammelt werden, und aus der Art und Weise, wie sie verwendet werden.

Die Benutzer haben dabei die Wahl, ob sie bei ihrer Entscheidung gegen die Sammlung bestimmter Informationen lieber eine Reduzierung der Servicequalität oder lieber einen finanziellen Nachteil in Kauf nehmen. Ein solches Modell wird unsere persönlichen Daten effektiv aufwerten, die dadurch einen Tauschwert erhalten und schließlich anwendungsübergreifend normalisiert werden können.

Wie schütze ich, was mir gehört?

Gegenwärtig ziehen Facebook und Google den Löwenanteil der Kritik in der Frage des Schutzes persönlicher Daten auf sich. Eine größere Bedrohung für den Datenschutz erwächst jedoch an anderen Schauplätzen: Bei den zahllosen kleineren Datentransfers in diversen Anwendungen. Wie viele Workout-Apps, Astrologie-Charts oder Instagram-Filter haben all die Nutzer im Laufe der Jahre heruntergeladen? Viele Menschen wären entsetzt, wenn sie wüssten, wie ihre Daten auf der Website ihres Vertrauens zu Dritten weitergeleitet werden.

Die Trennlinie zwischen digitalem Komfort und Gruselszenario ist dünn. Wenn zum Beispiel eine Marke, mit der Annette Mustermann regelmäßig interagiert, ihre Vorliebe für ein bestimmtes Oberteil kennt, stört es sie auch nicht, wenn dieses Unternehmen ihr entsprechende Angebote macht. Wenn sie andererseits von einem Unternehmen seit Monaten nichts gehört oder es nicht kontaktiert hat und dieses ihr dann plötzlich eine E-Mail zusendet, die den Eindruck erweckt, dass es aus den Daten Dritter ihr Profil erstellt hat und als anonymer Beobachter ihre privaten Vorlieben kennt, kommt leicht ein bedrohliches Gefühl auf.

Eine aktuelle Studie des norwegischen Verbraucherrats FobrukerRadet hat evaluiert, wie weit Daten ohne Wissen ihrer legitimen Eigentümer wandern können. Beispielsweise teilte die Dating-App Grindr detaillierte Benutzerdaten, einschließlich IP-Adresse, Werbe-ID, GPS-Standort, Alter und Geschlecht, mit einer beträchtlichen Anzahl von Dritten, die an Werbung und Profilerstellung beteiligt waren.

Viele der Drittparteien, die diese Daten erhielten, sammeln, verwenden und verkaufen auch Standortdaten für diverse kommerzielle Zwecke. Da die Mehrheit der Menschen das Kleingedruckte in Apps und Webservices nicht liest, wird all dies oft übersehen.

Was bedeutet dies für die Unternehmen?

Wenn wir uns kurz eine Welt voller Menschen vorstellen, die nur gute Absichten haben, würden wir gut finden, was die massive Erfassung von Daten alles ermöglicht hat: Verbesserungen im Gesundheitswesen, wie zum Beispiel die Möglichkeit, via Internet Hilfe zu leisten, Wahrscheinlichkeit und potenzielle Auswirkungen katastrophalen Wetters zu berechnen, um Katastrophenteams angemessen auszurüsten; die Unterstützung von Bedürftigen in einer Pandemie; oder die Erkennung ungewöhnlicher Aktivitäten, die auf Kreditkartenbetrug hindeuten könnten.

Philipp Fuhrmann, Lucidworks

„Angesichts der rapiden Entwicklung von Techniken wie Datenerfassung, Bilderkennung und 5G-Kommunikation ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir gleichzeitig auch unser Verständnis dafür weiterentwickeln, wie und wann wir Daten digital teilen.“

Philipp Fuhrmann, Lucidworks

Das ist jedoch nicht immer der Fall. Mehr Daten ermöglichen eine bessere KI. Das könnte Unternehmen und Regierungen dazu verleiten, Daten ohne jegliche Regulierung zu beschaffen. Als Organisationen in Wirtschaft und Staat den unglaublichen Wert von Daten erkannten, entstand gleichzeitig der Druck, diese auch zu nutzen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Diese Organisationen wissen vielleicht (noch) nicht, welchen Wert diese Daten in der Zukunft einmal haben werden, aber sie sammeln sie schon einmal, damit sie bereit sind, wenn sie herausfinden, was sie damit machen können.

Das Endziel: Transparenz

Das Wichtigste, was bei der Datenerhebung fehlt, ist die Wahlmöglichkeit. Ohne volle Transparenz darüber, wohin ihre Daten gelangen, können Verbraucher keine fundierte Entscheidung treffen. Die Menschen werden sich wahrscheinlich weiterhin dafür entscheiden, ihre persönlichen Daten zu teilen (oder zu verkaufen), um eine Plattform weiterhin nutzen zu können.

Der Seelenfrieden, der mit vollständiger Transparenz in Sachen Datenverwendung einhergeht, kann sogar dazu führen, dass Menschen bei der Entscheidung für oder gegen eine Weitergabe von Informationen großzügiger handeln, wenn die Gegenleistung nur attraktiv genug ist.

Datenerfassung, Datenschutz und KI können durchaus friedlich koexistieren. Im Moment allerdings befahren wir in dieser Frage höchst unklare Gewässer.

Über den Autor:
Philipp Fuhrmann (MBA) ist Regional Director Deutschland, Österreich und Schweiz bei Lucidworks und Ansprechpartner für Kunden, Partner sowie Interessenten in der gesamten DACH Region. Philipp berät seit über zehn Jahren Unternehmen im Bereich innovative und visionäre Technologien mit Fokus auf nachhaltiges Wachstum, Personalisierung und Optimierung für Enterprise Kunden.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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