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Das Prinzip Hoffnung ist beim Outsourcing gefährlich

Outsourcing ist keineswegs zum Erfolg verdammt. Wie Transition und Transformation zum Erfolg werden, erklärt microfin Consultant Clemens Gunne im Interview.

Mit dem Vertragsabschluss ist Outsourcing keineswegs zum Erfolg verurteilt. Transition und Transformation (T&T) sind weder organisatorisch noch wirtschaftlich Selbstläufer. Clemens Gunne von der Unternehmensberatung microfin spricht im Interview über die Bedeutung eines wirksamen T&T-Managements im Outsourcing.

Gunne ist Senior Consultant und für den gesamten Sourcing Lifecycle zuständig. Er konzentriert sich auf Transition & Transformation auch in weltweiten Großprojekten. Der Diplom-Volkswirt ist seit 1994 als Unternehmensberater tätig.

Outsourcing beginnt mit dem Vertragsabschluss. Der Provider ist damit auch für den Übergang verantwortlich. Müssen Unternehmen dabei „loslassen lernen“?

Clemens Gunne: Ganz klar: Nein. Der Übergang auf den externen Partner ist eine Schlüsselphase im Sourcing Lifecycle. Die IT soll und darf nicht die Zügel aus der Hand geben. Kontrolle und Übersicht sind wichtig, gerade wenn die Produktion ausgelagert wird. Wer sich nicht aktiv um eine erfolgreiche Transition und Transformation kümmert, gefährdet das gesamte Sourcing.

Was meinen Sie, wenn Sie von Transition sprechen und wann ist eine Transformation angesagt?

Gunne: Eine Transition ist der Wechsel zu einem neuen Dienstleister, oft auch der erstmalige Übergang eines internen Prozesses zu einem externen Partner, bei dem die grundsätzlichen Produktionsabläufe ansonsten unverändert bleiben. Hier heißen die vorherrschenden Themen Know-how-Transfer, prozessuale Schnittstellen und Verbindung zwischen den Infrastrukturen. Dies verläuft jeweils in verschiedenen Phasen, in denen der Kunde eingebunden ist und endet nach Tests und Abnahmen mit dem Wechsel in der Verantwortung, dem so genannten Change of Control.

Transformation hingegen kann zweierlei bedeuten: Einführung ganz neuer Services für den Kunden, so zum Beispiel die Erweiterung der reinen Telefonie auf moderne Unified Communications. Oder die Optimierung der bereits ausgelagerten Services, damit der Provider seine „Economies of Scale“ erzielen kann. Hierbei kommt es also zu einer tiefgreifenden Veränderung, also Transformation.

Sind die Anforderungen nicht ähnlich?

Gunne: Teilweise ja. Es kommen aber die wesentlichen Schritte einer Neueinführung hinzu, von Datenschnittstellen über einen Rollout, zum Beispiel von neuen Arbeitsplatz-Endgeräten bis hin zur Softwareverteilung. Die dafür erforderlichen Prozesse und Strukturen müssen auch im Unternehmen selbst abgebildet bleiben. Das kann nicht alles auf den Provider abgewälzt werden.  Wer in der Transition und Transformation seine Hausaufgaben nicht macht oder die Kontrolle über seinen Provider verliert, der riskiert, die mit dem Outsourcing verknüpften Ziele nicht zu erreichen.

Das Projekt für Transition und Transformation muss also genauso konsequent gesteuert werden wie jedes interne IT-Projekt?

Gunne: Sogar präziser und umsichtiger. Denn in einem Outsourcing-Projekt sind viele Faktoren außerhalb des direkten Einflusses. Die Steuerung und Kontrolle sind entscheidend für den Erfolg einer Transition und Transformation und auch des folgenden produktiven Betriebs, der meist schrittweise hochgefahren wird. Wir sehen das leider in schöner Regelmäßigkeit. Es werden immer wieder ähnliche Fehler gemacht und Chancen vergeben. Nicht aus Fahrlässigkeit, sondern aus fehlender Erfahrung.

Wo sehen Sie die wichtigsten Hebel für ein erfolgreiches Transitions- und Transformationsprojekt?

Gunne: Im Wesentlichen sind das fünf Faktoren. Erstens: Ein realistischer Business Case, sowohl auf Anbieter- und Provider- als auch auf Kundenseite, der konsequent verfolgt wird. Nur wenn beide Seiten ihre wirtschaftlichen Ziele erreichen können, hat der Deal eine Zukunft. Zum Zweiten: Ein transparentes Abnahme- und Mängelverfahren im Rahmen des Claim Managements. Die gemeinsame Sicht auf die vertragliche Projektleistung und die wirtschaftliche Bewertung eventueller Nicht-, Spät- oder Schlecht-Leistung hat Auswirkung auf den Zahlungsplan. Drittens: Ein gemeinsames Verständnis der zu erbringenden Projekt- und Betriebsleistung. Nicht immer kann die vertragliche Basis alle Detailthemen widerspruchsfrei ausleuchten – und erst in der Transition und Transformation kann man sich mit technischen oder prozessualen Themen im Detail beschäftigen.

Der vierte Faktor ist ein fokussiertes Servicemanagement, das sich ab Tag eins auf relevante Service Level konzentriert. Wichtig ist, was für den Nutzer spürbar ist – und das muss sich auch im Monitoring widerspiegeln. Ein rein technisches Monitoring hilft da wenig. Meist sind es die Nutzer, die Störungen schon bemerken, bevor ein technisches System Alarm schlägt. Unter dem Strich muss sich beim Nutzer der Eindruck verfestigen, dass die IT kein Selbstzweck ist; die neuen Services müssen überzeugen, um sich langfristig und solide im Unternehmen und bei den Stakeholdern zu verankern. Schließlich sind ein ordentlicher Plan und eine stringente Steuerung des Transitions- und Transformationsprojektes notwendig – mit allen Konsequenzen. Hier gilt es zunehmend, zwischen klassischem Wasserfall und agilen Sprints zu steuern.

Das klingt alles selbstverständlich…

Gunne: … und wird doch zu oft vernachlässigt. Nehmen wir das Thema Business Case. Ohne ein stringentes Controlling der Projektkosten sowie Remanenzen und Risiken fallen Abweichungen zu spät auf. Zudem empfiehlt es sich, Verhandlungsspielräume in der Due Diligence mit Augenmaß zu nutzen. Es gilt, die Preisschraube nicht zu überdrehen. Die Annahmen sollten realistisch, aber eher konservativ konkretisiert werden – und trotzdem bieten sich hier Risikoaufschläge an. Generell gilt: je konkreter, desto besser. Das Prinzip Hoffnung ist beim Outsourcing gefährlich.

Der Auftraggeber muss in der Rolle des Treibers bleiben?

Gunne: Genauso ist es. Das Unternehmen muss nicht nur seine Claims abstecken, sondern deren Einhaltung auch verfolgen. Dazu gehört zum Beispiel, einen Zahlungsplan nach Fortschritt vertraglich festzulegen und Hauptmeilensteine zu definieren, ein Abnahmeverfahren festzulegen und den Dienstleister auf ein Ergebnis zu verpflichten und die Erfüllung auch nachzuhalten.

Probleme kann es aber nicht nur beim Dienstleister geben, sondern auch beim Auftraggeber.

Gunne: Sicher. Die Gefahr besteht darin, sich den schwarzen Peter gegenseitig zuzuschieben und das Projekt so auszubremsen. Deshalb ist es wichtig, die Mitwirkungsleistungen des Kunden ebenso festzulegen und Versäumnisse gemeinsam zu bewerten. Gleiches gilt auch für interimistische Sonderlösungen, die fast immer irgendwann notwendig werden. Insgesamt kann ein Projekt von einer Kultur des Gebens und Nehmens nur profitieren. Der Begriff der Partnerschaft wird oft strapaziert – ist aber in diesem Fall besonders erstrebenswert.

Sind das Ziel 100 Prozent Qualität?

Gunne: Und diese 100 Prozent sind praktisch unerreichbar. Aber die Servicequalität muss vom ersten Tag an im Mittelpunkt stehen. Dazu gehört, die Service Level mit dem Endkunden abzustimmen und sie gegenüber dem Provider im vertraglichen Rahmen auch durchzusetzen, also bei Bedarf auch in geeigneter Weise zu sanktionieren. Oft ist das Einbestellen des Provider-Managements viel wirkungsvoller als Vertragsstrafen. Ein High Level Dashboard hat sich hier als Kontrollinstrument auf Managementebene zwischen Kunde, Endkunde und Provider bewährt.

Clemens Gunne, microfin

„Wer in der Transition und Transformation seine Hausaufgaben nicht macht oder die Kontrolle über seinen Provider verliert, der riskiert, die mit dem Outsourcing verknüpften Ziele nicht zu erreichen.“

Clemens Gunne, microfin Unternehmensberatung

Ist ein sauberes Projektmanagement dabei am wichtigsten?

Gunne: Natürlich. Aber das ist nicht in erster Linie eine organisatorische Frage. Wichtig ist vor allem eine funktionierende Zusammenarbeit im Team. Der Provider kann seine Projektleistung nur mit Unterstützung des Kunden bringen. Deshalb hat es sich bewährt, in den einzelnen Projektteams verantwortliche Doppelspitzen zu installieren. Die Abnahmen müssen ordentlich getrackt werden, insbesondere die Mängelbeseitigung, damit die Services sauber in den Betrieb überführt werden können. Insgesamt muss die Retained Organization verantwortlich eingebunden sein, schließlich lebt sie nach dem Projekt längerfristig in der Provider-Beziehung. Das Projekt ist nur dann erfolgreich, wenn die Teilprojekte beziehungsweise die Doppelspitzen ihrer Verantwortung gerecht werden: Nicht Probleme berichten, sondern Lösungen liefern.

Was passiert, wenn es nicht klappt?

Gunne: Der erste Schritt ist wie üblich eine Eskalation bis ins Top-Management. Aber auch hier gibt es Sackgassen. Und für diese zum Glück seltenen Fälle empfiehlt es sich, eine valide Alternative vorzuhalten – und diesen Plan B auch schnell und ernsthaft zu verfolgen.

Wo können Transitions- und Transformationsprojekte besonders viel gewinnen?

Gunne: Oft werden zwei Bereiche unterschätzt. Erstens das Stakeholder-Management: Widerstände im beziehungsweise gegen das Projekt rühren oft von zu wenig Einbindung und Information her. Wer Betroffene zu Beteiligten macht, gestaltet das Leben für das gesamte Team entscheidend leichter. Und zweitens ein professionelles Projektmanagement. Die Retained Organization des Kunden ist meist für Projekte nicht gut aufgestellt. Etwas locker formuliert: Provider können Betrieb, aber kein Projekt. Das ist sicherlich pointiert, verdeutlicht aber, vor dem Hintergrund der fünf Hebel, die Dringlichkeit, sich aus Kundensicht mit einer erfahrenen Projektsteuerung für die Transition und Transformation zu positionieren.

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