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Wie Vibe Coding klassisches Programmieren verändert

Generative KI übernimmt in der Softwareentwicklung zunehmend Aufgaben, die bislang von menschlichen Entwicklerinnen und Entwicklern erledigt wurden. Das bringt Risiken mit sich.

Generative KI übernimmt vielfältige Aufgaben vom Schreiben einzelner Codezeilen bis hin zur Erstellung kompletter Anwendungen. Damit wandelt sich nicht nur der Prozess der Entwicklung selbst, sondern auch das Rollenverständnis innerhalb der Branche.

Ein besonders spannender Trend in diesem Zusammenhang ist das Vibe Coding. Den Begriff brachte der Entwickler und Code-Influencer Andrej Apathy in den Umlauf und beschreibt damit die Entwicklung eines intuitiven, oft KI-gestützten Zugangs zur Softwareentwicklung. Es geht weniger um strukturierte Programmierung im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine gefühlsbasierte Herangehensweise, bei der die Entwicklerinnen und Entwickler sich von Ideen und Impulsen leiten lassen. Mit der Unterstützung von Sprachmodellen entsteht Code so fast beiläufig – die technische Komplexität gerät dabei in den Hintergrund.

Dieses Prinzip eröffnet neue Wege in der Softwareentwicklung, gerade für Menschen ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse. Die Einstiegshürden sinken, kreative Prozesse werden gefördert und Ideen lassen sich schneller umsetzen. Gleichzeitig erfordert Vibe Coding ein hohes Maß an Achtsamkeit. Ohne solides technisches Verständnis oder eine klare Struktur können die so entstehenden Anwendungen anfällig für Instabilitäten und Sicherheitsprobleme sein.

Welche Risiken mit der Automatisierung verbunden sind

So schnell KI-basierte Tools lauffähigen Code liefern, so herausfordernd ist es, diesen langfristig wartbar, sicher und skalierbar zu halten. Oft mangelt es an Dokumentation, Nachvollziehbarkeit oder struktureller Klarheit. Untersuchungen zeigen, dass Vibe Coding in der Praxis zu erhöhter Komplexität und Korrekturaufwand führen kann – vor allem, wenn Nutzer den generierten Code ungeprüft übernehmen, ohne Kontext, Herkunft oder Risiken ausreichend zu reflektieren. Ein konkretes Beispiel dafür ist Slopsquatting: Angreifer nutzen gezielt Tippfehler in Paketnamen aus, um manipulierte Bibliotheken einzuschleusen. Wird eine solche Abhängigkeit beim automatisierten Einbinden nicht erkannt, kann sie unbemerkt Schadcode enthalten. Gerade im Vibe-Coding-Umfeld, in dem Abhängigkeiten häufig automatisch verwaltet werden, steigt die Angriffsfläche deutlich.

Hinzu kommt, dass die erhöhte Geschwindigkeit der Codegenerierung häufig die Bereitschaft oder Möglichkeit zu manuellen Code-Reviews reduziert, da man sich zu sehr auf den Output der KI verlässt. Klassische Kontrollmechanismen wie Peer Checks treten in den Hintergrund. Laut einer Studie von OutSystems berichten 62 Prozent der IT-Fachkräfte, die KI im Entwicklungsprozess einsetzen, von wachsenden Herausforderungen bei Sicherheit und Governance.

Tino Fliege, OutSystems

„Je automatisierter der Code entsteht, desto wichtiger werden systematisierte Formen der Qualitätssicherung – klassische Kontrollinstanzen greifen seltener oder erst verzögert. Die wichtigste Regel lautet daher: Nicht blind auf die KI verlassen, sondern deren Stärken gezielt nutzen und Schwächen kompensieren.“

Tino Fliege, OutSystems

Vibe Coding bringt ohne Frage neue kreative Freiräume und Geschwindigkeit – aber nur dann echten Mehrwert, wenn diese Freiheiten mit klaren Qualitätsstandards, technischer Kompetenz und einem Bewusstsein für die Grenzen generative KI-Systeme einhergehen. Unternehmen müssen diesen Wandel also mit klar definierten Prozessen, gezielter Kompetenzentwicklung und  einer reflektierten, verantwortungsvollen Auseinandersetzung mit der eingesetzten Technologie begleiten.

Neue Rollen, neue Anforderungen

Mit dem neuen Trend verschieben sich klassische Rollenbilder innerhalb der Softwareentwicklung weiter. Entwicklerinnen und Entwickler überlassen die operative Implementierung zunehmend der KI, während sie selbst die Verantwortung für Qualitätssicherung und übergeordnete Strukturierung tragen. Dafür benötigen sie ein tiefes Verständnis für den Umgang mit generativer KI, ebenso wie ein Bewusstsein für deren Grenzen. Denn je automatisierter der Code entsteht, desto wichtiger werden systematisierte Formen der Qualitätssicherung – klassische Kontrollinstanzen greifen seltener oder erst verzögert. Die wichtigste Regel lautet daher: Nicht blind auf die KI verlassen, sondern deren Stärken gezielt nutzen und Schwächen kompensieren.

Neue Kompetenzanforderungen entstehen insbesondere im Umgang mit Prompting. Denn die Eingaben müssen Entwicklerinnen und Entwickler so gestalten, dass sie stabile und reproduzierbare Ergebnisse erhalten. Wer heute mit Vibe Coding erfolgreich sein will, sollte also nicht nur wissen, wie man mit Sprachmodellen kommuniziert, sondern auch, welche Tools und Prinzipien dabei unterstützen.  Auch die Grenzen zwischen Rollen verschieben sich, da Entwicklerinnen und Entwickler zunehmend Aufgaben übernehmen, die bislang typischerweise im Verantwortungsbereich von Produktverantwortlichen lagen – etwa das präzise Zerlegen von Anforderungen und deren kontextreiche Übergabe an KI-Systeme.

Parallel treten auch juristische und ethische Fragestellungen stärker in den Vordergrund. Es ist zum Beispiel unklar, wer die Verantwortung trägt, wenn KI-generierter Code gegen Lizenzbedingungen verstößt. Ebenso ist fraglich, wie geistiges Eigentum zu bewerten ist, wenn KI-Modelle mit öffentlich zugänglichem Quellcode trainiert wurden. Solche Fragestellungen betreffen nicht nur Entwicklerinnen und Entwickler, sondern haben auch strategische Relevanz für Unternehmen und Plattformbetreiber.

Plattformlösungen als Stabilitätsanker

Trotz der aufgezeigten Risiken bleibt Vibe Coding ein bedeutender Fortschritt in der Softwareentwicklung. Unternehmen, die sich dieser Entwicklung öffnen, können von gesteigerter Innovationskraft und beschleunigten Entwicklungsprozessen profitieren – vorausgesetzt, sie begegnen den Herausforderungen mit einem klaren Qualitätsbewusstsein und gezielter Kompetenzentwicklung.

Low-Code-Plattformen bieten dabei eine wertvolle Ergänzung: Sie schaffen strukturierte Umgebungen für die sichere Einbettung von Vibe-Coding-Ansätzen, indem sie Governance, Skalierbarkeit und Wartbarkeit gewährleisten. So lässt sich der kreative Freiraum generativer KI-Technologien mit den etablierten Anforderungen an Softwarequalität und Sicherheit sinnvoll verbinden. Unternehmen, die diesen hybriden Ansatz verfolgen, können das volle Potenzial von Vibe Coding nutzen – ohne dabei die Kontrolle über ihre Entwicklungsprozesse zu verlieren.

Über den Autor:
Tino Fliege ist Senior Solution Architect bei OutSystems. Er berät Unternehmen dabei, maßgeschneiderte Software-Architekturen für komplexe, unternehmenskritische Anwendungen zu bauen.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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