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Software Defined Vehicles: wie OEMs die Entwicklung verkürzen

Software Defined Vehicles verändern die Fahrzeugentwicklung. Wie Hersteller mit passendem Application Lifecycle Management und der richtigen Strategie die Entwicklung verkürzen.

Fahrzeuge bestehen heute aus über 150 Millionen Zeilen Code, Tendenz steigend – mehr als ein modernes Betriebssystem. Damit rückt nicht mehr das Aggregat, sondern die Architektur der Software in den Mittelpunkt der Fahrzeugentwicklung. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Cloud-native Funktionalität, Vernetzung, Security und Wartbarkeit. Die Zeiten, in denen Software eine ergänzende Funktion hatte, sind vorbei: In modernen Fahrzeugen definiert sie maßgeblich die Produktidentität – und entscheidet damit über Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Markteintrittsgeschwindigkeit.

Für OEMs (Original Equipment Manufacturer) bedeutet das einen Strukturwandel. Die Entwicklung von Fahrzeugen wird zunehmend vergleichbar mit der Entwicklung hochkomplexer IT-Produkte. Zentrale Fragen sind daher:

  • Wie lassen sich solche Systeme beherrschbar gestalten?
  • Wie gelingt die Integration neuer Funktionen bei gleichzeitiger Einhaltung regulatorischer Vorgaben?
  • Welche Werkzeuge und Methoden unterstützen die sichere Transformation hin zum Software Defined Vehicle (SDV)?

Architekturfrage: SDV verlangt nach modularer Entwicklung

SDVs folgen einer neuen Architekturlogik: Statt verteilten Steuergeräten dominieren zentralisierte E/E-Architekturen (elektrisch/elektronische Architekturen) mit Hochleistungsrechnern. Diese ermöglichen es, Funktionen modular zu organisieren und klar zwischen sicherheitskritischen und komfortorientierten Features zu trennen. Gleichzeitig verschiebt sich der Fokus von statischer zu dynamischer Funktionalität: Over-the-Air-Updates, Feature-on-Demand und fahrzeugindividuelle Konfigurationen erfordern flexible Softwarearchitekturen.

Model-Based Systems Engineering (MBSE) wird dabei zur tragenden Säule. MBSE ersetzt dokumentenzentrierte Entwicklungsansätze durch digitale, domänenübergreifende Modelle. Architektur, Anforderungen, Funktionen, Tests – alles wird modelliert und miteinander verknüpft. Dies schafft eine gemeinsame semantische Grundlage für alle Disziplinen, verbessert die Konsistenz und erlaubt simulationsgestützte Validierung weit vor der physischen Umsetzung. Gerade bei sicherheitskritischen Systemen, etwa Fahrdynamikregelung oder Steer-by-Wire, ist dies entscheidend.

Variantenmanagement im Zeitalter von SDV

Der Variantenreichtum moderner Fahrzeugflotten, dazu gehören Antriebsformen von regionaler Regulatorik bis zu differenzierten Fahrerassistenzsystemen, erhöht die Komplexität der Softwareentwicklung drastisch. Product Line Engineering (PLE) adressiert dieses Problem, indem es auf Wiederverwendung und modulare Produktplattformen setzt.

PLE-Systeme ermöglichen es, Varianten systematisch zu konfigurieren und mit klarer Rückverfolgbarkeit entlang des V-Modells zu verknüpfen. Ein effektives Variantenmanagement sorgt also dafür, dass Funktionen gezielt für spezifische Märkte oder Modellreihen aktiviert oder deaktiviert werden können, ohne Redundanzen im Code oder manuelle Eingriffe. So entsteht eine skalierbare Entwicklungsstrategie, die Komplexität beherrschbar macht und gleichzeitig Effizienz und Qualität über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg sichert.

Security by Design: Regulatorik trifft Methodik

Mit UNECE R155 und ISO/SAE 21434 erhalten Hersteller jeweils ein Framework an die Hand, mit denen sie Cybersicherheit bereits in der Entwicklung systematisch berücksichtigen können. Security by Design bedeutet konkret: Risikobewertungen bereits in der Architekturphase, sichere Boot-Prozesse, segmentierte Netzwerke und lückenlose Nachverfolgbarkeit aller Softwarekomponenten.

Moderne, Cloud-native ALM-Plattformen (Application Lifecycle Management) unterstützen dies durch integriertes Anforderungsmanagement, automatisierte Compliance-Checks und systematische Verifikation sicherheitskritischer Funktionen. Darüber hinaus ermöglichen sie einen durchgängigen Audit-Trail für Zulassungsbehörden und Zertifizierungsstellen. Angesichts wachsender Haftungsrisiken ist das ein entscheidender Faktor für die Absicherung von Entwicklungsprozessen gegenüber regulatorischen und rechtlichen Anforderungen.

Lifecycle im Griff: Rückverfolgbarkeit, Zertifizierung, Updates

Mit der wachsenden Anzahl an Softwarefunktionen steigen auch die Anforderungen an Wartung, Zertifizierung und Update-Management. SDVs müssen während ihres gesamten Lebenszyklus gewartet, aktualisiert und dokumentiert werden. Cloud-basiertes Application Lifecycle Management sorgt dafür, dass alle Änderungen vom ersten Requirement bis zum letzten Release nachvollziehbar sind.

Michele Del Mondo, PTC

„Wer ein Software Defined Vehicle umsetzen möchte, braucht mehr als nur neue Steuergeräte – es braucht Cloud-native Prozesse und einen Kulturwandel in der Entwicklung. MBSE, ALM und PLE bilden gemeinsam das methodische Fundament, um Softwarequalität, Time-to-Market und Compliance in Einklang zu bringen.“

Michele Del Mondo, PTC

Über Over-the-Air-Mechanismen (OTA) lassen sich Updates sicher verteilen und bei Bedarf auch zurückrollen. Ein Beispiel: Ein Elektrofahrzeughersteller rollt ein optimiertes Batteriemanagement per OTA aus, wodurch sich Reichweite und Ladezeiten signifikant verbessern. Ohne ALM und integrierte Rückverfolgbarkeit wären sowohl Testabdeckung als auch Zertifizierbarkeit dieses Updates kaum sicherzustellen.

BMW setzt beispielsweise auf die SMArDT-Methodik und modellbasierte Entwicklung, um eine durchgehende Rückverfolgbarkeit sicherzustellen, insbesondere in sicherheitskritischen Domänen wie Bremsen oder ADAS. ZF kombiniert MBSE mit digitalen Zwillingen, um komplexe Steuergeräte in frühen Phasen zu simulieren, Energieeffizienz zu optimieren und funktionale Sicherheit vorab zu validieren.

Fazit: SDV verlangt nach ganzheitlichem Lifecycle-Management

Wer ein Software Defined Vehicle umsetzen möchte, braucht mehr als nur neue Steuergeräte – es braucht Cloud-native Prozesse und einen Kulturwandel in der Entwicklung. MBSE, ALM und PLE bilden gemeinsam das methodische Fundament, um Softwarequalität, Time-to-Market und Compliance in Einklang zu bringen. Nur wer Architektur, Sicherheit und Variantenmanagement integriert denkt, wird langfristig im Markt bestehen können.

Über den Autor:
Michele Del Mondo startete seine Karriere nach dem Maschinenbaustudium 1994 am Steinbeis-Transferzentrum in Karlsruhe. 1997 wechselte er zu Webasto SE und leitete die Einführung eines unternehmensweiten PLM-Systems. Später übernahm er als Director Sales die Verantwortung für den globalen Vertrieb für die Mercedes Car Group. Seit 2011 ist er bei PTC tätig und verantwortet als Global Advisor Automotive das weltweite Automotive Business.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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