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Große Beschaffungssuiten sind nicht für die Zukunft gerüstet

Traditionelle Beschaffungssuiten sind Geschichte. App-Ökosysteme werden künftig in Unternehmen Einzug halten, damit diese flexibler auf neue Anforderungen regieren können.

Traditionelle Beschaffungssuiten sind das Schweizer Armeemesser in der Versorgungskette und erfüllen eine Reihe von Funktionen in der Regel ausreichend. Aber in der heutigen Beschaffung ist das nicht gut genug.

Die Beschaffung ist einer Revolution unterworfen. Wo es früher nur um wenig mehr als die Lieferung von Produkten oder Rohstoffen ging, hat der Trend zur Auslagerung von immer mehr Geschäftsaspekten die Definition des Begriffs Lieferant erheblich erweitert, da diese Lieferantenbeziehungen weitaus komplexer, vielschichtiger und strategischer sind als je zuvor.

Bei diesen Beziehungen geht es nicht mehr nur um Kaufen und Verkaufen, sondern sie umfassen jetzt neben traditionellen Funktionen wie Transport, Rechnungsstellung und Beschaffungsprogrammen auch Faktoren wie Zusammenarbeit, Innovation, Risikomanagement und Nachhaltigkeit.

Die Beziehungen sind heute kultur- und rollenbezogen nutzerzentriert und erfordern eine Vielzahl von Werkzeugen und Benutzeroberflächen, um den dynamischen Bedürfnissen interner Kunden und Partner gerecht zu werden.

Große Beschaffungssuiten sind für diese neuen Lieferantenbeziehungen einfach nicht ausgelegt. Sie können zwar einige dieser Bedürfnisse mit den vorhandenen Funktionen erfüllen, aber viele dieser Funktionen ähneln dem Zahnstocher, den man in einem Schweizer Taschenmesser findet – sie werden eher für andere Aufgaben verwendet als für die, für die sie entwickelt wurden.

Von Suiten zu Apps

Früher stand das Schweizer Offiziersmesser auf dem Weihnachtswunschzettel vieler Schüler, aber die Kinder von heute verlangen wahrscheinlich ein weitaus funktionaleres Stück Ausstattung: ein Smartphone, auf das sie beliebig viele Apps für einen bestimmten Zweck herunterladen können. Und genau diese Entwicklung sollte auch die Beschaffungstechnologie gehen.

Mit Blick auf die Zukunft der Unternehmenssoftware – nicht nur auf die Beschaffung, sondern auf die gesamte Unternehmens-IT – ist das Smartphone und sein breiteres Ökosystem ein guter Ausgangspunkt. Seit Jahren wird den Verbrauchern gesagt, dass es für jeden erdenklichen Bedarf eine App gibt. Doch eine ähnliche Revolution ist in der Geschäftswelt erst am Anfang zu spüren.

Tatsächlich ist heute gerade einmal etwa ein Prozent der Auswirkungen sichtbar, die das App-Modell auf den Unternehmensbereich haben wird. Das sollte uns nicht überraschen – schließlich bewegen sich Business-Ökosysteme viel langsamer, sind risikoreicher und haben höhere Hürden für Veränderungen – doch das ändert sich mittlerweile.

Roy Anderson, Tradeshift

„Da die Zulieferer zu einem zentralen Bestandteil der Geschäftsstrategie werden, benötigen Unternehmen spezifische Anwendungen, die es Experten in den verschiedensten Rollen ermöglichen, effektiver als je zuvor zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen.“

Roy Anderson, Tradeshift

Eine der größten Triebfedern für diesen Wandel ist, dass die tieferen und komplexeren Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Zulieferern neue Instrumente erfordern. Da die Zulieferer zu einem zentralen Bestandteil der Geschäftsstrategie werden, benötigen Unternehmen spezifische Anwendungen, die es Experten in den verschiedensten Rollen ermöglichen, effektiver als je zuvor zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen.

Aufbau des Ökosystems der Beschaffungsapplikationen

Der Aufstieg von Consumer Apps zur Allgegenwart liefert wichtige Lektionen für die Unternehmenswelt:

  • Erstens müssen Unternehmen Apps zum Standard für die Beziehungen und Zusammenarbeit mit Lieferanten machen. Wie im Privatleben, müssen die Menschen ständig verbunden sein und diese Verbindungen müssen kostenfrei sein. Verbraucher nehmen dies für den Nachrichtenaustausch, die Musik, den Einzelhandel und vieles andere als selbstverständlich hin. Mit der Zeit wird sich das auch im Geschäftsleben so stark verankern, dass man sich fragen wird, wie man jemals mit monolithischen Softwaresuiten arbeiten konnte.
  • Zweitens ist es wichtig zu unterscheiden, dass wir von Apps und nicht von Anwendungen sprechen. Letztere sind riesige Softwarestücke, die komplexe Installationen und Integrationen erfordern und Monopole erzeugen, die Jahrzehnte überdauert haben. Apps hingegen sind klein, dynamisch, hochwertig und nutzerorientiert, wobei der praktische Nutzen und nicht die Größe den Ausschlag gibt. Apps werden durch leistungsstarke Plattformen ermöglicht, die weit mehr bieten als die Betriebssoftware der letzten Generation – man denke nur an den Standort, die Sensoren, Kameras und die Mobilität, die allesamt integriert sind.
  • Als nächstes müssen Unternehmen eine neue Denkweise einnehmen und nicht die Anpassung, die sie von traditionellen Beschaffungssuiten gewohnt sind. Anstatt endlose Zeit damit zu verbringen, Anwendungen zu konfigurieren und zu optimieren, um sie an unsere Arbeitsabläufe anzupassen, erfordert die schwindelerregende und sich schnell verändernde Palette von Geschäftsbeziehungen und damit verbundenen Arbeitsabläufen eine große Bibliothek von Anwendungen mit eingebetteten Collaboration-Funktionen.
  • Die letzte Lektion aus der Welt der Verbraucheranwendungen ist, dass die Technologie nie stillsteht. Im Gegensatz zu traditionellen Softwaresuiten, die sich von Iteration zu Iteration nur wenig ändern, ermöglichen Enterprise App Stores es Unternehmen, die neuesten Fortschritte in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI), virtuelle/erweiterte Realität, Predictive Analytics und andere neue Technologien zu nutzen, die die Beschaffung verändern und gleichzeitig die Beziehungen zu den Lieferanten vertiefen werden.

Bei einem App-first-Ansatz für die Beschaffung geht es nicht darum, die gleichen Dinge besser zu machen: Es geht darum, dass die Technologie den Übergang von der transaktionalen zur strategischen Ebene unterstützt. In dem Maße, wie die Automatisierung mehr alltägliche Aktivitäten in der Lieferkette übernimmt, wird die traditionelle Beschaffungssuite in die Geschichte eingehen und durch ein App-Ökosystem ersetzt werden.

Über den Autor:
Roy Anderson ist CPO und Digital Transformation Officer bei Tradeshift.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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