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Storage Trends: Die Versorgung mit Halbleitern

Versorgungslücken bei der IT-Hardware können auch für die Storage-Branche enorme Auswirkungen haben. Wir zeigen, wie die Lage bei Halbleitern aussieht.

Wer die Wirtschaftsnachrichten liest, wundert sich wahrscheinlich eins ums andere Mal: Obwohl die Liefersituation für zahlreiche Elektronikartikel in den Jahren 2020/21 kritisch war und noch immer ist, stiegen die Gewinne bei so ziemlich allen Industrieunternehmen.

Sogar bei der Exportweltmeisterschaft reichte es im Jahr 2020 für Deutschland mit 1,38 Billionen US-Dollar immer noch zum dritten Platz, knapp hinter den USA mit 1,43 Billionen US-Dollar. Allein die schlechte Versorgung der Automobilindustrie mit Chips verhinderte den zweiten Platz.

Wir brauchen Chips – egal welche

Ein Hauptschuldiger an der Misere soll, so ist im Presseraum der EU-Kommission zu lesen, ein global tätiger Virus sein, der die Mobilität von Milliarden Menschen beschränkte und damit das Bedürfnis zahlloser Leute nach mehr Chips in dem Nachfolger ihres Altautos.

Derzeit soll es in konventionellen Autos 100 Bauteile wie ABS, Airbag, Bordcomputer und anderes mehr geben, die zum Funktionieren auf diverse Halbleiter angewiesen sind. Bei grob geschätzten 50 Millionen jährlich produzierter Autos kommt so leicht eine zweistellige Milliardensumme an Chips zusammen. Die Tendenz ist bei eAutos, dank Bordcomputer, digitaler Spiegel, Lidar und Spurhaltesystemen, um nur einige zu nennen, dramatisch steigend.

Die Welt braucht mehr eAutos

Als Großabnehmer von Halbleiterprodukten kann man die Autoindustrie trotzdem nicht bezeichnen. Bei welchen Einkaufsdimensionen die Halbleiterindustrie ernsthaft über eine „Supply Chain“ nachdenkt, zeigt ein kleiner Vergleich: Ebenfalls jährlich werden etwa 350 Millionen Computer produziert, bei Smartphones geht es gleich um über eine Milliarde Einheiten.

Drückt man das Produktionsvolumen in Umsätzen aus, so setzte die Halbleiter- und Chipindustrie im Jahr 2020 so um die 450 bis 500 Mrd. US-Dollar um. Der Anteil der Automobilindustrie daran - etwa 50 Mrd. US-Dollar.

Angesichts der angestrebten Digitalisierung gesellschaftlicher Infrastrukturen und den Umstieg auf eine Akku-betriebene Fortbewegung sehen die Marktforscher von Gartner schon im Jahr 2022 den Umsatz auf 600 Mrd. US-Dollar steigen. Und 2030 könnte der Umsatz über 1.000 Mrd. US-Dollar gestiegen sein.

Versorgungssicherheit, indem man Abhängigkeit reduziert?

Auch wenn die Covid-19-Pandemie die weltweite Chip-Knappheit nicht verursacht hat, das waren wohl in den vergangenen zwei Jahren neben den Storni professioneller Einkäufer auch Naturkatastrophen und Stromausfälle, die das Ihre dazu beigetragen haben, dass die traditionellen Lieferketten unterversorgt waren. Blöd gelaufen, könnte man jetzt sagen und sich damit trösten, dass das schon wieder wird. Mitte 2023, so die Marktauguren, haben wir wieder stabile Lieferverhältnisse.

Das Gegenteil deutet sich an. Warum es keine Rückkehr zu den historisch gewachsenen globalen Infrastrukturen mehr geben wird, liegt nicht am falschen Einkaufsverhalten, sondern an der schon länger dauernden wirtschaftspolitischen Konfrontation zwischen Amerika und China.

Die Regierung Biden ist nicht vom Kurs der Trump-Regierung abgewichen, die Hochtechnologie aus China wieder in die USA zurückzubringen wollte. Die Auswirkungen dieser Politik sind inzwischen überall zu sehen. Megafab-Pläne en masse, nicht nur in Asien. Ein europäisches Chip-Gesetz (Chip Act) kommt da fast schon ein wenig zu spät, um die Versorgungssicherheit mit den „Halbleiterchips als wesentlichen Bausteinen digitaler und digitalisierter Produkte“ herbeizuregieren.   

Globale oder doch lieber nationale Lieferkette

Eine Verlagerung der Chip-Produktion, weg von der Werkbank Asien, hin zu nationalen Standorten, wird nun von der Politik mit milliardenschweren Zuschüssen angestrebt. Für Europa stellte Binnenmarktkommissar Thierry Breton ein mit privaten und öffentlichen Geldern gefördertes „gigantisches Investitionsprogramm“ von mehr als 30 Mrd. Euro an, um die Ansiedlung von „fortschrittlichen Produktionsanlagen“ anzuschieben und mit weiteren 11 Mrd. Euro soll die Forschung in Halbleiter-Hochtechnologie bezuschusst werden.

Doch ein Blick in die Welt hinaus zeigt, dass in den USA ein Technologie-Förderprogramm von 350 Mrd. US-Dollar von der Politik angeschoben wird. Mit 45 Mrd. Euro ist die Rückgewinnung nationaler Chip-Forschung und Produktion in den Staatshaushalt eingeplant. Südkorea lässt sich ebenfalls nicht lumpen: Das Land bietet bis 2030 seinen Chipbauern steuerliche Anreize von 450 Mrd. US-Dollar.

Noch eins drauf setzt China: Eine Billion US-Dollar sollen in Hochtechnologie wie Halbleiter fließen. Damit möchte die chinesische Staatsführung im 14. Fünfjahresplan, der bis 2025 geplant ist, die Rückstände der chinesische Chip-Produktion, die immer noch mindestens zwei Generationen hinter der Konkurrenz zurück sind, schließen.

40 Mrd. Euro für die deutsche Mitgliedschaft im Chip-Club

Wenn Europa seine Schlüsseltechnologien mit Komponenten aus den „eigenen“ Chip-Fabriken versorgen will, werden 40 Mrd. Euro nicht lange reichen. So gab Intel-Chef Pat Gelsinger bei ersten Sondierungen bekannt, dass 20 Mrd. Dollar für zwei Chip-Fabriken in Europa vorgesehen sind, wenn die Kostenvorteile asiatischer Standorte von 30 bis 40 Prozent ausgeglichen werden.

Inzwischen plant der Marktgigant anscheinend den Bau einer Mega-Fab mit 8 Werken in Magdeburg. Für den Aufbau neuer Lieferketten, wäre das zwar erfreulich, aber selbst wenn das letzte Wort beim Bau dieser neuen Werke gesprochen wäre, kämen erst nach 5 Jahren die ersten Chips auf den Markt, weiß PwC-Experte Tanjeff Schadt.

Die Markterwartungen treiben nicht nur die Firma Intel zur Diversifizierung ihrer Produktionsanlagen und -standorte. Wenn alle großen Chiphersteller ihre Marktanteile behalten und eventuell vergrößern wollen, und ähnlich wie der taiwanische Chip-Gigant TSMC agieren, der knapp 40 Mrd. US-Dollar in neue Fabs investieren will, dass mit Oversupply und Preissprüngen zu rechnen ist.

Wird der deutsche Kredit verheizt?

Schon jetzt werden Stimmen laut, dass der Chips Act keine langfristige Perspektive hat. Hier setzt auch die Kritik von deutschen Branchenverbänden wie ZVEI, Bitkom oder dem europäischen Thinktank CEP (Centrum für europäische Politik) und anderen an: Warum eine Hochtechnologie mit Chipstrukturen von 7 bis 10 Nanometer mit Milliardensummen pampern, die innerhalb von 2 Jahren auf einen kleineren Nanometerlevel gebracht werden muss? Das CEP glaubt, das die derzeitigen Engpässe „vorübergehend“ seien.

Tech-Experte Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung spricht gar von einem „aussichtslosen Vorhaben“. Es gebe derzeit in Europa kein einziges Unternehmen, das auf solche Kleinstchips angewiesen ist, sagte er im Nachrichtenmagazin Spiegel. Stattdessen herrsche ein Riesenbedarf nach Chips in Größen von 10 bis 28 Nanometer.

Wenn man nicht alles selbermacht

Die Lieferkette ist, anders als der Name suggeriert, ein äußerst fragiles Netzwerk von logistischen Herausforderungen. Von grundlegenden zolltechnischen rechtlichen Abstimmungsprozessen wie im Warenverkehr mit England mal abgesehen. Jede Störung, sei es durch Streiks oder Sanktionen, ruft eine Kettenreaktion im Lieferprozess hervor, die bei Vor- wie auch bei Endprodukten mit kurzen Wirkungszeiten schnell zu Lieferengpässen führen.

Rainer Graefen, Freiberuflicher Autor

„Eine zukünftige europäische Schlüsselindustrie, die die inzwischen als sicherheitskritische geltende Energieversorgung auf Wasserstoff umzustellen soll, braucht mehr als Chips.“

Rainer Graefen, Freiberuflicher Autor

Produktionskonzepte wie die Just-in-Time-Fertigung vertiefen die eigenen Abhängigkeiten vom Funktionieren der Warenströme. Sollte tatsächlich die asiatische Lieferkette auseinanderbrechen, dann wird sich das auch auf alle Vorprodukte auswirken und nicht nur den Halbleitereinkauf betreffen, sondern die ganze Zulieferindustrie und nicht zuletzt deren bis an die Schmerzgrenze gehenden Kostenvorgaben.

Die Verlagerung der Lieferkette dürfte erhebliche Auswirkungen auf die Kostenstruktur des Endprodukts haben. Eine zukünftige europäische Schlüsselindustrie, die die inzwischen als sicherheitskritische geltende Energieversorgung auf Wasserstoff umzustellen soll, braucht mehr als Chips.

Über den Autor: 
Rainer Graefen schreibt seit 1985 als Freelancer über Themen aus dem Bereich Storage. Von 2007 bis 2018 war er als Chefredakteur bei Storage-Insider.de tätig.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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