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KI-Agenten: so finden Unternehmen den richtigen Ansatz

In welchen Fällen sind KI-Agenten die richtige Wahl zur Automatisierung? Wann sind es regelbasierte Systeme wie DMN, und wann sollten Unternehmen beides nutzen?

In den letzten Monaten ist der Begriff KI-Agenten in aller Munde. Sie versprechen, Geschäftsprozesse intelligenter, adaptiver und flexibler zu gestalten. Sie sollen Ausnahmefälle elegant handhaben, mit Unsicherheit umgehen und dort entscheiden, wo strikte Regeln versagen würden.

Das klingt verlockend. Und teilweise ist dieser Hype auch berechtigt. KI-Agentenbasierte Automatisierung ist das nächste große Ding, vorausgesetzt, es wird für die richtigen Aufgaben mit den richtigen Anforderungen eingesetzt. Aber hier liegt die Crux: Nicht jede Automatisierungsaufgabe braucht einen intelligenten KI-Agenten. Viele Unternehmen erreichen ihre Automatisierungsziele heute schon deutlich effizienter mit klassischen, regelgesteuerten Systemen.

Die zentrale Frage lautet also nicht Sollten wir KI-Agenten einsetzen?, sondern Welcher Ansatz passt zu welchem Prozess? Die Antwort zu kennen, kann der Unterschied zwischen Erfolg und teurem Über-Engineering sein.

Klassische Orchestrierung: Bewährt, einfach und oft genug

Beginnen wir mit der gewöhnlichen, also regelgesteuerten Automatisierung mittels deterministischer Logik – zum Beispiel in Form von DMN (Decision Model and Notation) oder ähnlichen Frameworks. Diese Systeme folgen einem einfachen Grundprinzip: Wenn Bedingung X erfüllt ist, dann führe Aktion Y aus. Kein Raum für Interpretation, kein Rätselraten und damit zuverlässig.

Das ist beispielsweise optimal für die Rechnungsverarbeitung in Unternehmen. Rechnungen kommen rein und ein System muss entscheiden, ob diese Rechnung sofort freigegeben werden kann, oder eine manuelle Prüfung benötigt. Die Kriterien sind strukturiert und können beispielsweise so aussehen:

  • Ist der Betrag unter 500 Euro?
  • Ist der Lieferant vertrauenswürdig?
  • Ist eine Bestellnummer vorhanden?

In solchen Szenarien sind deterministische Regelsysteme vollkommen ausreichend und die richtige Wahl. Sie laufen schnell, verbrauchen wenig Ressourcen und jede Entscheidung ist zu 100 Prozent nachvollziehbar. Das ist Gold wert, wenn es um Compliance und Auditing geht. Ein Prüfer kann exakt sehen, warum Rechnung Nummer 12345 freigegeben wurde und Rechnung Nummer 12346 nicht.

Die Stärken von DMN-Systemen:

  • Transparenz und Erklärbarkeit: Jede Entscheidung ist dokumentiert und begründbar
  • Einfachheit: Mitarbeitende verstehen die Logik selbst ohne technische Kenntnisse
  • Wartbarkeit: Änderungen an Regeln sind schnell implementiert und getestet
  • Vorhersehbarkeit: Gleiche Eingaben führen immer zu gleichen Outputs
  • Skalierbarkeit: Auch mit Millionen von Transaktionen bleiben sie zuverlässig und effizient

DMN hat aber auch klare Grenzen. Deterministische Regeln stolpern über Mehrdeutigkeit, über unerwartete Kombinationen von Bedingungen oder über Szenarien, die so in dieser Form nie vorgekommen sind. Sie können nicht mit natürlicher Sprache umgehen und nicht zwischen den Zeilen lesen. Wenn eine E-Mail sowohl eine Kundenbeschwerde, eine Anfrage und konstruktive Kritik enthält, kann ein Regelsystem schnell überfordert sein. Es wird anfällig für Einzelfallentscheidungen und wächst exponentiell in Komplexität, je mehr Sonderfälle es berücksichtigen muss.

KI-Agenten: Der intelligente Weg bei Komplexität

In solchen Fällen ist es sinnvoll, auf KI-Agenten zu setzen. Ein KI-Agent ist ein System, das auf Basis von Large Language Models (LLM) arbeitet und nicht strikt an vordefinierte Regelwerke gebunden ist. Durch dynamisches Reasoning kann der Agent kontextabhängig denken, Muster erkennen, mit Mehrdeutigkeit umgehen und sogar aus wenigen Beispielen lernen. Mit der richtigen Orchestrierung können solche KI-Agenten autonom in Prozessen agieren. Und dabei werden auch Kontrolle und Governance beibehalten.

Ein einfaches Beispiel, in dem KI-Agenten die bessere Wahl sind: Ein Versicherungsunternehmen erhält täglich Hunderte von Schadensmeldungen. Jede Meldung ist anders: Der Schaden wird in freier Form beschrieben, manchmal detailliert, manchmal vage. Der Ton ist unterschiedlich und die Informationen sind durchmischt. Ein Agent kann diese Unordnung verstehen, die relevanten Informationen extrahieren, den Schaden klassifizieren und sogar potenzielle Risikofaktoren erkennen, die in keinem vordefinierten Regelwerk auftauchen.

Die Stärken von KI-Agenten:

  • Flexibilität und Adaptivität: Sie passen sich neuen, unerwarteten Szenarien an
  • Sprachverständnis: Sie können natürliche Sprache verarbeiten und interpretieren
  • Kontextabhängigkeit: Sie berücksichtigen Nuancen und Zwischentöne
  • Generalisierung: Sie können von wenigen Beispielen lernen und auf neue Fälle übertragen
  • Robustheit gegen Ausnahmefälle: Sie sind nicht so anfällig für Edge Cases

Aber auch KI-Agenten haben ihren Preis. Sie sind weniger durchschaubar. Eine Entscheidung eines KI-Agenten lässt sich nicht immer erklären – man spricht von einer Black Box. In regulatorisch sensiblen Bereichen, wie Finanzen, Versicherungen und Medizin, kann das zum Problem werden. KI-Agenten sind zudem unpräziser. Sie können Fehler machen, und manchmal führen sie Schritte aus, die vom Menschen nicht unmittelbar nachzuvollziehen sind. Sie brauchen mehr Überwachung, mehr Feedback-Schleifen, mehr Testing, kurzum, sie benötigen Expertise, um sie richtig aufzusetzen und zu überwachen.

Das Beste aus beiden Welten: Hybrid-Ansätze

Unternehmen müssen sich jedoch nicht zwangsläufig zwischen einem der Ansätze – deterministisch oder dynamisch – entscheiden. Viele der besten Automatisierungslösungen kombinieren beide Ansätze strategisch.

Etwa bei der intelligenten Schadensmeldung im Versicherungswesen: Ein Kunde meldet einen Schaden an. Die Anmeldung enthält freie Textbeschreibung, Fotos, vielleicht sogar ein Video. Ein KI-Agent verarbeitet diese unstrukturierten Daten. Er fasst den Fall zusammen, extrahiert relevante Details und klassifiziert die Art des Schadens. Aus diesem Rohmaterial macht der Agent strukturierte, klare Informationen.

Daniel Meyer, Camunda

„Nicht jede Automatisierungsaufgabe braucht einen intelligenten KI-Agenten. Viele Unternehmen erreichen ihre Automatisierungsziele heute schon deutlich effizienter mit klassischen, regelgesteuerten Systemen.“

Daniel Meyer, Camunda

Danach kommt DMN ins Spiel. Ein regelgestütztes System verarbeitet nun die strukturierten Daten zusammen mit bekannten Metadaten (Versicherungstyp, Versicherungsdauer, frühere Schäden) und trifft eine Entscheidung. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar. Der Prozess ist regulatorisch sauber. Aber der Agent hat die schwierige Vorarbeit geleistet.

Balance als Mehrwert

Viele Unternehmen brauchen klassische, deterministische Orchestrierung für den Großteil ihrer Automatisierung. Die Rechnungsverarbeitung funktioniert mit DMN. Die Bestellverwaltung auch. Die Genehmigungsprozesse sowieso.

Gleichzeitig gibt es wachsende Bereiche, wo die deterministischen Regeln an ihre Grenzen stoßen. Hier zeigt die Dynamik von KI-Agenten ihre Kraft. Kundeninteraktion, Dokumentenverarbeitung, Anomalieerkennung, Priorisierung unter Unsicherheit, das sind die echten Einsatzgebiete für KI-Agenten. Unternehmen, die diese Balance meistern – die Regeln für den Regelfall nutzen, und KI-Agenten strategisch für Unregelmäßigkeiten – werden die besten Automatisierungssysteme bauen.

Über den Autor:
Daniel Meyer ist Chief Technology Officer bei Camunda, wo er die Produkt- und Entwicklungsteams leitet. Er ist der Visionär hinter einigen von Camundas größten technologischen Fortschritten und ist verantwortlich für die End-to-End-Entwicklung und Wartung von Camundas branchenführenden Produkten. Daniel hält regelmäßig Vorträge zu den Themen Automatisierung und Prozessorchestrierung bei Veranstaltungen der Technologiebranche. Er hat einen Masterabschluss in Informatik von der Universität Potsdam.

 

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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