Alessandro Biascioli - stock.ado

Enterprise Architects in der Pandemie: Zurück zur Technik

In der Pandemie mussten sich viele Enterprise-Architekten vorläufig von strategischen Überlegungen verabschieden und stattdessen drängende technische Herausforderungen überwinden.

Die Covid-19-Pandemie hat wieder einmal die Rolle des Enterprise Architect (EA) verändert. In den vergangenen Jahren waren EAs in eine Rolle hineingewachsen, in der sie sich stärker auf übergreifende Themen konzentrierten und versuchten, die IT an die Geschäftsstrategie anzupassen, als sich mit rein technologischen Herausforderungen und Strategien zu befassen.

Allerdings haben vielerorts die aktuellen Ereignisse diesen Trend wieder umgekehrt so ergab eine neue Studie von Forrester Research (Cambridge, Mass.): Neue Cloud-Services, die Betonung von Sicherheit und die Zunahme von Home-Office-Nutzung erzwangen so viel Aufmerksamkeit, dass für geschäftsstrategische Überlegungen der EAs kaum Raum blieb. „Viele Unternehmen sind im Überlebensmodus“, sagt Gordon Barnett, leitender Analyst bei Forrester. Und das gilt auch für die IT-Abteilungen.

Die Rolle des Enterprise Architect ändert sich

Die Forrester-Studie mit dem Titel The State of EA 2022 hat ergeben, dass der Anteil der EAs, die die Geschäftsstrategie und geschäftliche Projekte beeinflussen, zwischen 2021 und 2022 von 15 auf 7 Prozent abgenommen hat. Die geschäftsrelevanten Projekte nahmen von 28 auf 14 Prozent ab. Weiter haben 67 Prozent der EA-Führungskräfte sich stärker auf Technologiestrategie konzentriert.

In rauen Zeiten mit knappen Budgets reden Unternehmen weniger über Strategien und mehr darüber, ob sie Gewinn erwirtschaften. Ein Beispiel dafür ist Southwest Airlines. Als die Pandemie begann, reisten Kunden weniger oder gar nicht mehr. Das Unternehmen begrub seine Expansionspläne und änderte die Richtung, berichtet Christian Holston, Senior Enterprise Architekt bei der Airline in Dallas. „Statt zu modernisieren rationalisierten wir“, sagt er.

Zwar ging das Unternehmen davon aus, dass die Reiseaktivitäten am Ende wieder zunehmen würden. Deshalb optimierte es während der Pandemie seine Plattform, so dass es anschließend in einer besseren Wettbewerbsposition wäre. Ein Silberschein am Horizont?

Doch das Geschäftsvolumen war unten, deshalb bedeutete es ein geringeres Risiko, dramatische Veränderungen an der IT vorzunehmen, die sonst den Geschäftsbetrieb möglicherweise gehemmt oder behindert hätten.

Außerdem versuchte das Unternehmen, einen strategischen Überblick seiner IT-Architektur zu gewinnen, sich sozusagen den ganzen Wald und nicht nur einzelne Bäume anzusehen. „Das hilft dabei, in den knappen Zeiten zu investieren“, sagt Holston.

Diese Weitwinkelbetrachtung ihrer Technologie ermöglicht dem Führungspersonal, sich darüber bewusst zu werden, was außerhalb ihrer Abteilungen passiert. Diese Perspektive liefert laut Holston auch Erkenntnisse über Risiken in anderen Unternehmensbereichen.

Holston: „Das war wirklich erhellend für die einzelnen Bereiche, denn sie kannten zwar ihre eigenen Herausforderungen, aber nicht die ihrer Kollegen.“

Nicht jede Branche war so direkt betroffen wie die Luftfahrt. In manchen Unternehmen wurde die Geschäftsstrategie weniger gestört und der Fokus des EA blieb, wo er war.

Bei Clario, einem Unternehmen aus Philadelphia, das medizinische Ausrüstung für klinische Versuche herstellt, bewegten sich die Aufgaben des EA weiterhin auf der Schnittstelle von Technologie und Geschäftsstrategie. „Unser Fokus lag immer auf Technologie“, sagt Dan Brandl, Chief EA bei Clario. „Wir bauen unsere eigenen Produkte und kaufen nicht nur Software von anderen.“

Die Komplexität der Rolle des Enterprise Architect

Forrester skizziert vier EA-Archetypen. Jeder von ihnen ist wertvoll für das Unternehmen. Einige beeinflussen die Geschäftsstrategie, einige fokussieren sich auf die Technologiestrategie, die wiederum die Geschäftsstrategie ermöglicht. Andere kümmern sich vor allem um das strategische Portfolio und stellen sicher, dass ihr Unternehmen in die richtigen Technologien investiert. Ein vierter EA-Typ ist vor allem mit der Auslieferung von Technologieprodukten beschäftigt.

Die Rolle des EA wird meist vom Top-Management unterstützt. Anders sieht das bei den tieferen Rängen aus, meint Forrester-Analyst Barnett. Hier könne es herausfordernd sein, funktionierende Beziehungen aufzubauen. Barnett ist oft überrascht, dass die beiden einzigen Bereiche, die sich stark für EA aussprechen, die IT-Führung und der Sicherheitsbereich sind. Tatsächlich unterstützen 61 Prozent der IT-Führungskräfte den EA, außer wenn gespart werden muss. EAs sind oft die ersten, die gehen müssen. „Das ist erstaunlich. Man würde erwarten, dass, wenn ein EA Werte generiert, die Unterstützung für ihn wächst. Das ist aber nicht so“, berichtet Barnett.

Brandl (Clario) meint, dass es stark vom richtigen Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen Teams abhängt, ob ein EA Erfolg hat. Ohne Harmonie steige das Risiko eines Misserfolgs erheblich. Brandl fühlt sich gut unterstützt von Kollegen und dem höheren Management. Hilfreich ist, dass er in seiner vorigen Position als Vice President Engineering bei Clario über Jahre Beziehungen aufgebaut hat.

Brandl managt derzeit ein Team von bis zu sechs Anwendungs- und technischen Architekten. Sie arbeiten zusammen, um eine Enterprise-Architektur aus einem Guss zu entwickeln. „Nicht nur Sicherheit, sondern alle Architekturschichten“, betont er.

Nur wenige verwenden spezielle EA-Tools

Zu den großen Herausforderungen der EA gehört es, aktuelle und korrekte Daten aller Interessenträger im Unternehmen zu bekommen. Dafür gibt es Softwarewerkzeuge. Doch laut der Forrester-Studie nutzen 53 Prozent der Unternehmen die Microsoft-Suite für EA-Aufgaben.

Im vergangenen Jahr waren es noch 70 Prozent. Das könnte laut Barnett daran liegen, dass während der Pandemie EA-Stellen gekürzt wurden. Nur etwa 30 Prozent der Unternehmen verwenden laut Forrester ein kommerzielles EA-Tool. „Sie sehen keinen Vorteil darin, oder die Tools kosten zu viel“, erklärt er.

Dabei bieten am Markt erhältliche Tools eine vereinfachte Schnittstelle und komfortable Reporting-Funktionen, weiß Holston, dessen Unternehmen EA-Software des deutschen Unternehmens LeanIX verwendet.

Auch Clario hat sich für einen Tool-basierten Ansatz entschieden. Das Unternehmen nutzt ein EA-Modellierungswerkzeug von Sparx Systems, einem australischen Anbieter. Damit hat Clario über zwölf Jahre hinweg ein Repository aufgebaut, das viele Geschäfts- und Technologieschichten, die mit der Zeit gewachsen sind, dokumentiert.

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