Laurent - stock.adobe.com

KI und IoT: Wie Hersteller digitale Ökosysteme aufbauen

Mit Coopetition können Hersteller als Data Provider ihre Partner mit wertvollen Informationen versorgen und als Solution Provider eigenständige digitale Lösungen entwickeln.

Künstliche Intelligenz zur Auswertung von Sensordaten kann in IoT-Projekten einen deutlichen Mehrwert bieten. Insbesondere Komponentenhersteller können von den neuen Möglichkeiten profitieren, denn smarte Komponenten bieten neue Anreize für Systemlieferanten und OEMs, schaffen Mehrwerte für Endkunden und steigern den Innovationsdruck auf die Mitbewerber. Dabei können Hersteller entweder als Data Provider ihre Partner mit wertvollen Informationen versorgen oder als Solution Provider eigenständige digitale Lösungen entwickeln.

Traditionelle und digitale Ökosysteme im Vergleich

Laut Statista gibt es derzeit in Deutschland 228.724 Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe, davon 16.924 im Baugewerbe und laut BMWI 6.600 im Anlagen- und Maschinenbau. Allein im Jahr 2019 wurden 4,67 Millionen Fahrzeuge produziert, es waren über 250.000 Baumaschinen und 221.500 Industrieroboter im aktiven Einsatz.

Das sind beeindruckende Zahlen. Doch mit Blick auf die 643 Milliarden US-Dollar Umsatz, die im Jahr 2020 allein im App Store von Apple generiert wurden, wird schnell deutlich, dass insbesondere die Digitalisierung enormes Potenzial birgt – und davon wenig genutzt wird: Vor allem Komponentenhersteller stehen vor großen Herausforderungen, wenn es um ganzheitliche Digitalisierung geht. Denn sie produzieren nur einen Teil einer größeren Lösung, die dann durch Systemlieferanten und OEMs ausgebaut und von Kunden genutzt wird.

Ob Hydraulikpumpe, Kugellager oder Batteriesystem – das traditionelle Ökosystem von Komponentenherstellern ist produktzentriert und umfasst verschiedene Einzelteile, die – teilweise durch Wechselwirkungen – miteinander verbunden sind. Aus der Kombination dieser Komponenten entstehen Systeme, wie zum Beispiel Produktionsanlagen, Fahrzeuge oder Roboter.

Digitale Ökosysteme hingegen sind lösungs- und kundenzentriert ausgerichtet und umfassen in der Regel eine Plattform sowie alle Akteure, die in unterschiedlichen Rollen darauf interagieren und die Plattform orchestrieren. Während in traditionellen Ökosystemen häufig Konkurrenz herrscht, setzen digitale Ökosysteme auf Coopetition, also die Zusammenarbeit von Wettbewerbern, um gemeinsam das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Um die hohe, aber sinkende Wertschöpfung von traditionellen Ökosystemen zu überwinden und künftige digitale Potenziale zu nutzen, müssen klassische Produzenten ihre etablierten Gefüge verlassen und sich in bisher unbekannte Strukturen einfinden.

Wie gelingt der Wechsel in die digitale Welt?

Grundsätzlich haben Komponentenhersteller zwei Möglichkeiten, digitale Ökosysteme mit dem Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) und künstlicher Intelligenz (KI) für sich zu nutzen. Sie können die eigene Wertschöpfungskette optimieren, indem sie mehr Transparenz schaffen und so ihre Prozesse reibungsloser gestalten. Dieser Ansatz der Smart Value Chain ermöglicht die Reduzierung der eigenen Kosten und den Ausbau der Kapazitäten, um für Kunden zuverlässiger zu werden und weitere Geschäftsfelder bedienen zu können.

Die Alternative ist die Entwicklung von smarten Produkten und Leistungen. Hier geht es für Komponentenhersteller darum, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und sich zu differenzieren, indem sie intelligente Lösungen anbieten und innovative Geschäftsmodelle verfolgen.

Welche Rolle spielt KI?

Auf dem Weg zu digitalen Ökosystemen können smarte Komponenten ein wichtiges Differenzierungsmerkmal sein. Mittels Edge Gateways können sie Live-Daten und KI-Insights liefern und so einen großen Mehrwert generieren. Das schafft neue Anreize für Systemlieferanten und OEMs, weil sie Einblicke gewinnen, auf die sie vorher keinen Zugriff hatten.

Außerdem profitieren Endkunden von spürbaren Mehrwerten, da sie direkt auf wichtige Informationen zugreifen können und etwa rechtzeitig erkennen, wenn Ist-Werte von vorgegebenen Soll-Werten abweichen. Auf diese Weise können sie reagieren, bevor es zu einem Ausfall kommt, smarte Komponenten anbieten, den Innovationsdruck auf ihre Mitbewerber erhöhen und sich gleichzeitig als First Mover etablieren.

Dabei gibt es zwei mögliche Rollen, die Komponentenhersteller innerhalb eines digitalen Ökosystems einnehmen können. Entweder liefern sie als Data Provider lokale Schnittstellen für IoT-Daten und KI-Insights an Systemlieferanten und OEMs, die mit diesen Informationen weiterarbeiten. Oder sie entwickeln als Solution Provider eigenständige digitale Lösungen, von denen auch die Endkunden profitieren. Solche Lösungen können beispielsweise Cloud Monitoring oder Predictive Maintenance umfassen, aber auch andere, branchenspezifische Szenarien sind durchaus denkbar.

Wie erschließen Komponentenhersteller ein digitales Ökosystem?

Ein praktisches Beispiel für die Digitalisierung von Komponentenherstellern findet sich im Ökosystem Hafen. Hier befinden sich an Kränen zahlreiche kleine Komponenten, die für den produktiven Betrieb essenziell sind und dennoch als Einzelteile häufig nicht die Beachtung finden, die sie verdienen. Erst wenn sie ausfallen, wird ihr Einfluss spürbar.

Die Motortrommel, der Leitungsschleppwagen und die Verfahreinheit an einem Hafenkran sorgen beispielsweise dafür, dass sich alle notwendigen Leitungen reibungslos durch den Kran bewegen und immer genau in der optimalen Länge zur Verfügung stehen.

All diese Komponenten kommen von unterschiedlichen Herstellern und müssen dennoch miteinander interagieren, um im Ökosystem Hafenkran optimal zu funktionieren. Denn der Hafenbetreiber setzt mehrere Krane ein, um seinen Hafen produktiv zu führen. Die einzelne Komponente hat er dabei kaum im Blick, auch wenn alle Einzelteile optimal funktionieren müssen, um keine Störungen oder gar Ausfälle hervorzurufen.

Ein transparenter Gesamtüberblick über alle Systeme und Komponenten generiert hierbei einen echten Mehrwert. Ein erster Schritt zur Digitalisierung dieses traditionellen Ökosystems besteht darin, die Komponenten in einem System miteinander zu verbinden und zu IoT-Komponenten zu entwickeln, die den benötigten Einblick gewähren.

Am Hafen ist das Platzangebot groß genug, um beispielsweise Edge Gateways an der Stromrolle anzubringen, die sämtliche Informationen aus Sensoren an eine digitale Plattform weitergeben, wo sie mit künstlicher Intelligenz und smarten Algorithmen verarbeitet werden können. Einen Schritt weiter gedacht können geeignete Edge Gateways künftig sogar selbst KI-Insights produzieren (zum Beispiel Anomaliedetektion) und brauchen dazu nicht einmal die digitale Plattform als Mittler.

Schließlich wissen die Hersteller am besten, wie ihre jeweilige Komponente funktioniert. In beiden Fällen sind unter anderem Berechnungen zum Verschleiß möglich, sodass sich eine Komponente selbstständig meldet, wenn eine Wartung oder Fehlerbehebung notwendig wird. Wenn Hersteller diese Informationen über Schnittstellen lokal vor Ort und über eine Plattform bereitstellen, öffnen sie damit ein digitales Ökosystem in einer traditionellen Umgebung und können anderen Playern im gleichen Umfeld die Möglichkeit bieten, ihre Daten ebenfalls zu integrieren.

Marcel Möstel, tresmo

„Komponentenhersteller können den Weg in digitale Ökosysteme wagen, indem sie auch als Data Provider auftreten.“

Marcel Möstel, tresmo

Mit diesem Coopetition-Ansatz profitieren alle Akteure von einer neuen Transparenz und können sich und ihr Aufgabengebiet gemeinsam weiterentwickeln. First Mover haben die Chance, völlig neue Anreizstrukturen im Ökosystem zu schaffen und damit die Basis für neue, kundenorientierte Produkte und Services zu schaffen.

Fazit

Komponentenhersteller können den Weg in digitale Ökosysteme wagen, indem sie auch als Data Provider auftreten. Sie müssen nicht immer die komplette digitale Lösung liefern, sondern können schon mit dem Teilen ihrer Informationen einen wichtigen Beitrag liefern. Um das in der Praxis umzusetzen, braucht es einen positiven Umgang mit der eigenen Datenhoheit und die Bereitschaft, aus Coopetition Vorteile für das eigene Business zu erzielen.

Mit diesem Ansatz treten Komponentenhersteller aus dem Schatten des Zulieferer-Daseins heraus und bieten durch das Teilen ihrer Informationen dem Endkunden einen erheblichen Mehrwert für seine Geschäftsziele. First Mover können so strategische Vorteile im digitalen Ökosystem generieren und den Wandel einer ganzen Branche aktiv vorantreiben.

Über den Autor:
Als Head of Solutions von tresmo ist Marcel Möstel verantwortlich für das Lösungsportfolio und dessen stetige Weiterentwicklung sowie die Kundenberatung rund um innovative IoT-, Cloud- und App-Lösungen. In den vergangenen fünf Jahren entwickelte er sich bei tresmo vom Engineer über Product Owner bis hin zur aktuellen Leitungsfunktion. Als Head of Solutions blickt er insbesondere auf die strategischen Themen und treibt diese aktiv voran. Vor tresmo wirkte Marcel Möstel im Design bei TERRITORY webguerillas. Sein Studium im Bereich Interaktive Medien absolvierte er an der Hochschule Augsburg.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

Erfahren Sie mehr über Business-Software

ComputerWeekly.de
Close