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Cloud 2018: Sehnsuchtsort entzaubern

Gegenüber allzu vollmundigen Versprechungen in der Cloud ist Skepsis angebracht und der Sehnsuchtsort sollte entzaubert werden. Es ist Zeit, über reale Dinge zu reden.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe den Eindruck, die Technikgläubigkeit hat im Silicon Valley mittlerweile einen quasi-religiösen Punkt erreicht. Ein Beispiel: Für manche Technikgläubigen ist die Cloud – die öffentliche natürlich – der Sehnsuchtsort der Unsterblichkeit, mehr noch: keine Utopie mehr, sondern ein realer Ort in greifbarer Nähe, wo sich das eigene Bewusstsein ohne sterbliche Hülle am Leben erhalten lässt, am besten für die Ewigkeit.

Nun, ich fürchte, dass sich trotz der eigentlich nicht mehr überbietbaren Hoffnung auf Unsterblichkeit zurzeit bereits ein neues technisches Heilsversprechen rund um das Hype-Thema Künstliche Intelligenz (KI) abzeichnet.

Eröffnen sich bei der Verschmelzung von Cloud und KI nicht noch unerhörtere Möglichkeiten? So neu wäre die Idee im Übrigen nicht. Ein solches Szenario, wenngleich in negativer Form, hat der amerikanische Science-Fiction-Autor Daniel F. Galouye 1964 in seinem Roman Simulacron-3 bereits vorausgesehen. Und kein Geringerer als Rainer Werner Fassbinder hat den Stoff unter dem Titel „Welt am Draht“ verfilmt; dieser wurde 1973 als Zweiteiler im Fernsehen ausgestrahlt.

Angesichts dieser „ewigen Wiederkehr des Gleichen“, einem eigentümlich kosmologischen Weltverständnis, halte ich es persönlich dann doch eher mit der Moderne. Deren Weg zu immer mehr und gleichzeitig nüchterner Rationalität hat einmal der berühmte Soziologe Max Weber fast wehmütig als „Entzauberung der Welt“ bezeichnet.

Und ich finde, im Bereich der Technik ist nur diese Haltung angebracht, sonst wird sie ein Selbstzweck, der uns beherrscht, statt uns zu dienen.

Die Cloud ist überall

Apropos Zweck: Es ist an der Zeit, die Cloud zu entzaubern. Denn auch sie ist nur Mittel zum Zweck, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im Kern bedeutet Cloud Computing, IT als Dienst bereitzustellen.

Die „Wolke“, die in der Regel mit der öffentlichen Cloud und ihren Anbietern gleichgesetzt wird, ist kein Ort, sondern ein Modus. Denn es geht um die Art und Weise, wie sich die IT gestalten lässt, damit das Geschäft billiger, schneller, besser, effizienter und agiler läuft.

Wenn die Cloud kein Ort ist, dann ist sie auch kein Zustand, sondern durchläuft eine Entwicklung und Weiterentwicklung. Das lässt sich aktuell an den neuen Cloud-Varianten „Edge Computing“ oder „Fog Computing“ ablesen. Die fortschreitende Digitalisierung hat die Welt der Dinge erfasst; ihre Vernetzung führt zum „Internet of Things“ (IoT).

Die dadurch entstehende Datenmenge lässt sich mittelfristig aber gar nicht mehr an zentraler Stelle sammeln und verarbeiten. Genau das ist aber das bisherige Paradigma der öffentlichen Cloud, die sich indes durch das IoT in eine Art dezentrale Rechenmaschine verwandelt.

Immer mehr Rechen- und Analyseaufgaben werden an den Ort der Dinge verlagert werden. Folglich werden nur noch relevante Daten und Ergebnisse an zentrale Rechenzentren zur dortigen Verarbeitung weitergeleitet.

Was ausgewertet werden soll und wie, wird wohl jedes Unternehmen für sich selbst entscheiden müssen. Denn es handelt sich hier um unternehmensspezifische digitale Wertschöpfungsketten, die im Entstehen begriffen sind. Sie gehören damit als Basis digitaler Geschäftsmodelle zum geistigen Eigentum der Unternehmen.

Und die Softwaredienste, mit deren Hilfe diese digitalen Wertschöpfungsketten abgebildet und unterstützt werden, lassen sich – zumindest teilweise – nicht als „Ware von der Stange“ beziehen, sondern gehören zum unverwechselbaren Firmeneigentum.

Software statt Infrastruktur

Apropos Eigentum: Wenn Softwaredienste mit hoher Wertschöpfung Teil des Unternehmensvermögens sind und bleiben, entfällt neben der Zentralität auch die zweite bislang kennzeichnende Eigenschaft der (öffentlichen) Cloud: das Abonnement.

Ich meine damit nicht, dass diese Charakteristika in Zukunft verschwinden werden. Aber sie werden nicht mehr die Ausschlusskriterien sein, die das Cloud Computing vom Rest der IT unterscheiden.

Die Unternehmens-IT wird sowohl zentrale als auch dezentrale Komponenten haben. Und sie wird teilweise abonniert werden und teilweise im Eigentum der Firmen verbleiben. Dieses Sowohl-als-auch ist angesichts des aktuellen Stands der Technik das beste Mittel, um die damit verbundenen Unternehmensziele zu erreichen.

Das bedeutet konkret, dass die Firmen ihre eigenen zentralen Rechenzentren mit der öffentlichen Cloud wie auch mit den zentralen Standorten ihrer „intelligenten Dinge“ nahtlos verbinden müssen. Dabei ist das Wörtchen „nahtlos“ entscheidend. Denn Softwaredienste müssen sich zwischen all diesen Standorten auf Knopfdruck verschieben lassen.

Die IT-Experten müssen zum Beispiel in der Lage sein, einen neuen Analyseservice für, sagen wir mal, Maschinendaten im zentralen Unternehmensrechenzentrum zu entwickeln, zu testen und von dort aus an den Standorten dieser Maschinen per Softwaresteuerung zu implementieren und zu warten.

Umgekehrt brauchen sie die Möglichkeit, weniger wertschöpfende Standardservices vom eigenen Rechenzentrum in die öffentliche Cloud zu verlagern, ebenfalls per Softwaresteuerung. Ein anderes Szenario wären Dienste, deren Ressourcenauslastung in der Vergangenheit nur schwer vorauszusagen war, die mittlerweile aber kaum noch Schwankungen unterliegen.

Markus Pleier, Nutanix

„Die Unternehmens-IT wird sowohl zentrale als auch dezentrale Komponenten haben.“

Dr. Markus Pleier, Nutanix

Lohnte sich bislang ihr Betrieb in der „elastischen“ öffentlichen Cloud, so kann ihre Rückführung in das eigene Rechenzentrum wieder wirtschaftlich sinnvoll erscheinen. Auch hierfür sollten die Administratoren nicht zu den Standorten der Cloud-Giganten fahren müssen.

„Nahtlos“ meint in diesem Zusammenhang aber darüber hinaus, dass die Bewegungsfähigkeit der Softwareservices zwischen den verschiedenen IT-Infrastrukturen nicht dadurch eingeschränkt wird, dass vor jeder Bewegung erst einmal aufwändige manuelle Anpassungen vorzunehmen sind.

Nur Mittel zum Zweck

Beide Aspekte zusammengenommen verlangen folglich nach einer Modernisierung der Unternehmensrechenzentren in Richtung Softwaresteuerung. Diese sollte wie ein standort- und infrastrukturübergreifendes Betriebssystem funktionieren, das sich, wie es sich für ein ordentliches OS gehört, zentral verwalten lässt.

Ob Sie das Ergebnis einer solchen Modernisierung nun hybride Cloud oder Unternehmens-Cloud oder Enterprise Cloud nennen, ist nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, dass es das Potenzial hat, den Sinn und Zweck von Cloud Computing, nämlich IT als Service zur Geschäftsunterstützung bereitzustellen, tatsächlich zu erreichen.

Das ist freilich alles andere als magisch, sondern äußerst profan. Eben rational.

Über den Autor­:
Dr. Markus Pleier ist CTO und SE Director Central Europe, Nutanix.

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