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KI zwischen Hype und Realität: Viele Projekte scheitern

Die Begeisterung der Nutzung von generativer KI lenkt davon ab, dass die meisten KI-Projekte in Unternehmen scheitern. Organisationen unterschätzen die Komplexität der Umsetzung.

Die Ernüchterung in der KI-Landschaft ist spürbar. Während Europa mit der InvestAIInitiative 200 Milliarden Euro mobilisiert, zeigt die Realität ein anderes Bild: Bis zu 85 Prozent aller KI-Projekte scheitern. Deutsche Unternehmen stehen vor einem Dilemma: Der Innovationsdruck wächst, doch die praktische Umsetzung erweist sich als weitaus komplexer als erwartet.

Die weit verbreitete Vorstellung, KI-Projekte wie traditionelle IT-Projekte zu entwickeln und dann dauerhaft zu nutzen, erweist sich als fundamentaler Irrtum. Die Realität zeigt sich deutlich im amerikanischen Agribusiness-Sektor:  Laut der McKinsey-Studie „AI in the workplace: A report for 2025“ gehört die Landwirtschaft zu den Branchen mit den höchsten KI-Investitionen, zusammen mit Gesundheitswesen, Technologie und Telekommunikation.

Dennoch besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen Technologiepotenzial und tatsächlicher Implementierung. Trotz massiver Investitionen und vorhandener Technologien ist die tatsächliche KI-Adoption erschreckend gering. Während Sensorik und datengestützte Entscheidungssysteme seit Jahren verfügbar sind, bleibt die praktische Implementierung weit hinter den Erwartungen zurück.

Die unterschätzte Komplexität der KI-Wartung

Ein exemplarischer Fall verdeutlicht die Herausforderung: Ein globales Unternehmen entwickelte über drei Jahre eine innovative KI-gestützte Sensoriklösung für die Landwirtschaft. Nach erfolgreicher Patentierung und Markteinführung offenbarte sich das eigentliche Problem – die Wartungskosten explodierten auf mehreren Ebenen: Die KI-Modelle benötigten regelmäßiges Re-Training mit aktuellen Daten, um Genauigkeit zu gewährleisten. Die Sensorik selbst erforderte physische Wartung unter erschwerten Feldbedingungen. Besonders kostspielig erwies sich jedoch die notwendige Datenqualitätssicherung – Umwelteinflüsse, Saisonalität und sich verändernde landwirtschaftliche Praktiken machten kontinuierliche Anpassungen durch KI-Spezialisten erforderlich. KI-Modelle veralten mit erschreckender Geschwindigkeit, die Datenqualität degradiert kontinuierlich, und qualifizierte Spezialisten für die notwendigen Anpassungen sind kaum verfügbar.

Diese Erfahrung spiegelt ein branchenweites Phänomen wider. Unternehmen investieren zwar erhebliche Millionenbeträge in die Entwicklung maßgeschneiderter KI-Modelle, unterschätzen jedoch systematisch die laufenden Aufwände. Die kontinuierliche Datenpflege, das regelmäßige Nachtrainieren der Modelle und die Anpassung an sich verändernde Umgebungsbedingungen erfordern nicht nur technische Infrastruktur, sondern vor allem hochspezialisierte Teams. Diese Experten sind auf dem globalen Arbeitsmarkt rar und entsprechend kostspielig.

Analytische KI statt Generative KI: Der Einsatzzweck ist entscheidend

Die aktuelle Begeisterung für generative KI-Modelle wie ChatGPT lenkt oft von der komplementären Stärke analytischer KI-Ansätze ab. In der industriellen Praxis zeigt sich, dass die Kombination beider Ansätze oft den größten Nutzen bietet. Analytische KI-Modelle mit einigen tausend Parametern bieten Transparenz und Nachvollziehbarkeit, während generative Modelle mit Milliarden von Parametern kreative Lösungsansätze ermöglichen. Die Kunst liegt in der Auswahl des richtigen Werkzeugs – oder deren Kombination – für die jeweilige Aufgabenstellung.

Silvio Kleesattel, Skaylink Silvio Kleesattel,
Skaylink

Die Transparenz analytischer Modelle ist besonders in kritischen Anwendungsbereichen unverzichtbar. Wenn beispielsweise im biotechnologischen Bereich eine KI aus 150 Millionen genetischen Stämmen fünf zur Weiterverarbeitung empfiehlt, müssen Wissenschaftler die Entscheidungsgrundlage verstehen können. Ein neuronales Netzwerk, das als undurchsichtige Black Box agiert, ist hier schlichtweg unbrauchbar – unabhängig davon, wie beeindruckend seine Leistungsfähigkeit sein mag.

Die Frage, ob KI für eine spezifische Aufgabe überhaupt die richtige Lösung darstellt oder möglicherweise ein technologischer Overkill ist, wird zu selten gestellt. Oft liefern traditionelle analytische Methoden transparentere Entscheidungswege und verlässlichere Ergebnisse. Der Hype um KI sollte nicht dazu führen, bewährte Ansätze vorschnell über Bord zu werfen.

Deutschlands industrielle Stärke als Innovationsbremse

Deutschland steht vor einem strukturellen Paradoxon: Die solide industrielle Basis und der traditionell starke Mittelstand, eigentlich Garanten wirtschaftlicher Stabilität, erweisen sich bei der KI-Transformation als Hemmschuh. Die konservative, auf Generationen angelegte Unternehmensführung, die in vielen Bereichen Deutschlands Erfolg begründet, steht radikalen Innovationssprüngen im Weg.

Ein Blick auf andere europäische Länder zeigt alternative Wege: Die Niederlande und Schweden haben ihre Wirtschaft erfolgreich von der Industrie zur Servicewirtschaft transformiert. Deutschland hingegen diskutiert seit über zwölf Jahren über Industrie 4.0, während die praktische Umsetzung weiterhin stockt. Die logische Konsequenz wäre ein Übergang zu Industrie 5.0 – nicht als philosophisches Konzept, sondern als praktische Notwendigkeit. Nur durch extreme, KI-basierte Automatisierung kann Deutschland langfristig zu wettbewerbsfähigen Kosten produzieren.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während das Manufacturing den höchsten KI-Adoptionsgrad aufweist, gefolgt von IT und dem Gesundheitswesen, hinken traditionelle Sektoren wie Einzelhandel oder das Bauwesen deutlich hinterher. Diese ungleiche Verteilung zeigt, dass der Markt noch in den Kinderschuhen steckt, obwohl viele Unternehmen im Gespräch angeben, sich bereits seit fünf Jahren oder länger mit dem Thema zu beschäftigen.

Neue Geschäftsmodelle entstehen aus der Krise

Der hohe Anteil gescheiterter KI-Projekte eröffnet paradoxerweise neue Marktchancen. Spezialisierte Dienstleister positionieren sich zunehmend als Retter in der Not, wenn ambitionierte KI-Vorhaben ins Stocken geraten. Der Fokus liegt dabei nicht auf der Entwicklung neuer, noch innovativerer Lösungen, sondern auf der Stabilisierung und nachhaltigen Gestaltung existierender Implementierungen.

Helmut Weiß, SkaylinkHelmut Weiß,
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Erfolgreiche Ansätze konzentrieren sich auf drei Kernbereiche: Erstens die Entwicklung automatisierter Prozesse für kontinuierliches Fine-Tuning, die es ermöglichen, Modelle ohne enormen manuellen Aufwand aktuell zu halten. Zweitens die Implementation von Feedback-Mechanismen, durch die Anwender selbst zur Modellverbesserung beitragen können, ohne tiefgreifende technische Kenntnisse zu benötigen. Drittens – und vielleicht am wichtigsten – das Setzen realistischer Erwartungen von Anfang an.

Die weit verbreiteten Schwierigkeiten bei der Wertschöpfung aus KI-Investitionen unterstreichen die Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels. Statt auf schnelle Erfolge zu setzen, müssen Unternehmen KI-Projekte als langfristige Transformationsprozesse begreifen, die kontinuierliche Investitionen in Technologie und vor allem in Menschen erfordern.

Der Weg nach vorn: Evolution statt Revolution

Die Zukunft der KI in Deutschland und Europa liegt nicht in der Imitation amerikanischer Moonshot-Projekte oder chinesischer Skalierungsstrategien. Vielmehr gilt es, einen eigenen Weg zu finden, der auf den bestehenden industriellen Stärken aufbaut und gleichzeitig die notwendige Innovationsdynamik entwickelt.

Konkret bedeutet dies: KI-Projekte müssen von Beginn an mit Blick auf langfristige Wartbarkeit und Anpassungsfähigkeit konzipiert werden. Die Budgetplanung muss realistische Annahmen über laufende Kosten treffen – eine Faustregel besagt, dass die Wartungskosten über die Lebensdauer eines KI-Systems die initialen Entwicklungskosten um ein Vielfaches übersteigen können. Vor allem aber müssen die richtigen Probleme adressiert werden. Nicht jede Aufgabe erfordert eine KI-Lösung, und nicht jede KI-Lösung muss auf dem neuesten generativen Modell basieren.

Der europäische Ansatz sollte sich durch Nachhaltigkeit, Transparenz und Pragmatismus auszeichnen. Während die InvestAI-Initiative wichtige Infrastruktur schafft, liegt die eigentliche Herausforderung in der sinnvollen Nutzung dieser Ressourcen. Unternehmen, die verstehen, dass erfolgreiche KI-Transformation Evolution statt Revolution bedeutet, werden zu den 15 Prozent gehören, die nachhaltig Wert schaffen. Der Rest wird entweder Lehrgeld bezahlen – oder rechtzeitig die richtigen Partner und Methoden ausfindig machen, um KI-Projekte nachhaltig zum Erfolg zu führen. Denn die Technologie ist nicht das Problem; ihre durchdachte Implementierung ist vielmehr der Schlüssel.

Über die Autoren:
Silvio Kleesattel ist Technology & Innovation Lead bei Skaylink.
Helmut Weiß ist Cloud Architect bei Skaylink.

Die Autoren sind für den Inhalt und die Richtigkeit ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Die dargelegten Meinungen geben die Ansichten der Autoren wieder.

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